Die Psysche leidet

Es war nur durch Überforderung

Psychose einer Bekannten

 

 

Es war ein nebliger Donnerstagvormittag im Oktober 1986. Eine Mitarbeiterin unseres damaligen, zuständigen Jugendamtes und ich, saßen im Wohnzimmer, um den Hilfeplanbericht für unseren Pflegesohn zu besprechen. Eine recht zeitaufwendige Angelegenheit immer wieder, und ich war froh, wenn solche Sachen dann endlich erledigt waren.

 

Damals durften wir recht traumhaft und idyllisch, am äußeren Ortsrand einer kleinen Gemeinde im schönen Norden, inmitten eines idyllischen, wunderschönen Moores, das leider für Gartentorf abgebaut wurde, leben.

 

Es kam nicht so häufig vor, dass mal Jemand einfach so dort vorbei sah, weil er zufällig in der Nähe war. Hierher, ins Moor, musste man gewollt kommen.

 

Nachdenklich blickte ich bei dem Gespräch mit der Sozialarbeiterin zum Wohnzimmerfenster hinaus, in den langsam hoch steigenden Nebel und bemerkte plötzlich, dass ein weißer VW-Bus direkt vor unserem Hoftor anhielt.

 

Nanu, G. hier , ? , dachte ich verwundert bei mir. Was will er denn hier draussen? Eigentlich hatte ich recht wenig Kontakt zu ihm. Seine Familie lebte in einem Nachbarort.

 

Unsere Söhne nahmen zufälliger Weise bei dem gleichen Musiklehrer Gitarrenunterricht, in der nahe gelegenen Kleinstadt, einmal nachmittags in der Woche, in den Räumen einer Schule.

 

Da es sich vom Zeitaufwand her nicht lohnte, wieder nach Hause zu fahren, warteten G., oder I., Gs. Frau und ich oft gemeinsam in der Eingangshalle der Realschule, in welcher der Musikunterricht statt fand, auf unsere Söhne.

 

So kamen wir auch ins Gespräch, manchmal sogar in ganz interessante Gespräche: Irgendwie mochte ich den Sohn von G. und I. nicht sonderlich. Er war ein typisches Einzelkind, von seiner Familie vergöttert und angehimmelt und über die Maßen verwöhnt. Immer bekam er schon aus Prinzip Recht und seinen Willen, so dass er mit seinen 10 Jahren recht arrogant und altklug, egoistisch wirkte und einen merkwürdigen Ton an sich hatte..

 

Viele, seiner Mitschüler lachten über ihn und wollten ihn auch nicht sehr gerne dabei haben, in ihrer Mitte, wie ich immer wieder, zufällig mal mit bekam.

 

Irgendwie konnte ich es sogar ein Stück verstehen, obwohl es auch damals schon schlimmere Kandidaten an den Schulen gab. Die Lehrkräfte beneidete ich jedenfalls schon zu dieser Zeit nicht um ihre Jobs.

 

Schon alleine dieser junge Mann war ein Grund für mich, den Kontakt zwischen G. und I. nicht zu intensiv werden lassen, obwohl ich die Beiden ansonsten ganz gerne mochte.

 

Sie waren politisch auch links orientiert, wie wir voller Stolz und Hoffnung, auf eine bessere Welt, und die damalige Fesselballonaktion gegen Tiefflieger machten sie auch aus Überzeugung mit. Was waren wir doch mutig damals, wir dachten ja wirklich noch , wir können die Welt verändern.

 

I. wurde damals sogar samt Riesenballon von einschreitenden Gesetzeshütern mit auf die Wache genommen, weil sie sich weigerte, sich auf ihrem eigenen Grundstück aus zu weisen.

 

Aber mehr als auf dieser Ebene, wollte ich , zumindest damals, mit den Beiden nicht unter nehmen, da war ganz einfach eine innere Grenze für mich.

 

Inzwischen kannten wir uns so ca. 3 ½ Jahre, trafen uns ab und an , mit vielen Anderen ,bei den Treffen und an Büchertischen der Partei und eben in der Halle der Realschule, auf unsere Söhne wartend.

 

Dass gerade G. nun auf einmal so plötzlich vor unserem Tor stand. überraschte mich doch sehr.

 

Durch das Fenster sah ich ihn aus seinem Bulli aussteigen und konnte seine gequälten Gesichtszüge wahr nehmen, die nichts Gutes verheißen ließen.

 

Für einen Moment bat ich die Sozialarbeiterin um eine kurze Pause, da ich G. draußen begrüßen wollte.

 

Er stand vor mir , wie ein geprügelter Hund, die Augen voller Trauer, seine Körperhaltung war nach vorne gebeugt. Es musste etwas Schlimmes passiert sein.

 

Während er mich ansah, kamen ihm die Tränen. Vorsichtig berührte ich seine linke Schulter um ihn zu fragen, was geschehen ist.

 

G. schluckte trocken dann sprach er :" Ich komme mir vor wie ein Schwein. Gestern habe ich meine Frau in Heiligenhafen, in der Psychiatrie abgeliefert."

 

Ich war total schockiert und da ich die amtliche Besprechung erst zuende bringen musste, bat ich G. noch ein paar Minuten, in der Nähe spazieren zu gehen, bis ich Zeit für ihn hatte.

 

G. ins Haus zu holen, wollte ich vermeiden, da ich ihn in diesem Zustand nicht vorstellen wollte und auch nichts erklären wollte.

 

Mein Vertrauen zu Behördenmitarbeitern war bescheiden und ich wollte lieber Vorsicht walten lassen. Man kann ja nie wissen, was durch solch eine Begegnung ausgelöst werden könnte.

 

G. sah von einem Spazierweg in der Nähe des Hauses, wie das Auto der Sozialarbeiterin endlich weg fuhr und kam umgehend ins Haus zu mir.

 

Sofort brach es aus ihm heraus. Er wisse momentan nicht wohin und mit wem er überhaupt reden könne, noch könne er irgend einen klaren , sinnvollen Gedanken fassen.

 

I: sei völlig ausgeklinkt. Es sei schon öfters passiert in letzter Zeit. Sogar handgreiflich sei sie ihm gegenüber schon geworden. Sie selber hatte ihren Mann aufgefordert, sie in eine psychiatrische Klinik zu bringen, da sie selber spürte, sie habe sich nicht mehr in der Gewalt und wisse nicht, was mit ihr los sei. Sie verspüre nur sehr große, heftige Angst.

 

Eigentlich war mir sofort klar, was mit I. passiert sein musste. Im Laufe der Jahre hatte ich mir schon so meine Gedanken dazu gemacht, über die Dinge, die I. mir, bei unseren Begegnungen erzählt hatte.

 

Wirklich krank , im eigentlichen Sinne, war sie ganz bestimmt nicht, nur einen beachtlichen Tick zu ehrgeizig . Irgendwann begann I. die Ansprüche ans sich selber so hoch zu schrauben, dass mir alleine beim Zuhören schon tüchtig Angst und Bange wurde.

 

I. hatte sich zum Ziel gesetzt, alles , in der Kindheit Versäumte, in Sachen Bildung nach zu holen, was nur irgendwie möglich war.

 

Nach dem Hauptschulabschluss, machte sie eine Ausbildung als Krankenschwester. Arbeitet danach einige Jahre im psychiatrischen Bereich und mit behinderten Menschen.

 

I. ist eine sehr schöne Frau und passt von ihrem Äußeren so richtig in das Klischee der Nachkriegszeit, - das Deutsche , blonde Fräuleinwunder.

 

Zierlich, schlank, leuchtende , blaue Augen, lange, blonde Haare. So sah sie aus, wie einem Modemagazin entsprungen, und das völlig ohne Schminke.

 

Meines Erachtens nach sah I. auch noch viel jünger aus, als sie damlas war. Sie hätte gut als die große Schwester ihres Sohnes durch gehen können.

 

Ziemlich zu Beginn unserer Bekanntschaft berichtete mir I. von ihren Plänen in der Erwachsenenbildung , über zwei Jahre den Realschulabschluss nach zu machen, danach das Abi und dann wollte sie unbedingt studieren.

 

Ob ich nicht auch Lust hätte, mit zu machen fragte sie mich. Aber mir langten damals Kinder, Haushalt, Ehrenamt und ein wenig Kommunalpolitik voll und ganz. Ich hätte die Kraft nicht aufbringen können. Mir fehlte außerdem eine liebe Oma, in der Nachbarschaft lebend, die meine Kinder mit versorgt hätte und mir ein wenig Freiraum geschenkt hätte. Lernen wollte ich noch eine ganze Menge in meinem Leben, aber nicht unter Druck und nicht um jeden Preis.

 

Während der zwei Jahre, in denen I. tatsächlich den Realschulabschluss nach machte, in einer Abendschule, trafen wir uns wie vorher auch, wenn wir unsere Söhne vom Musikunterricht abholten und bei politischen Aktionen.

 

I. war ansonsten nur noch am büffeln und sie schaffte den Realschulabschluss- als Klassenbeste.

 

Welche Energie und welcher Ehrgeiz dachte ich. Nichts für mich, diesem Stress hätte mein Gehirn nicht stand gehalten. Manchmal war es mir auch ohne Schule schon fast zuviel, an was ich alles denken musste und was täglich gewuppt werden musste.

 

Aber I. schaffte es und war irre stolz auf ihren Erfolg.

 

Und sie machte weiter. Nun wollte sie das Abi, auf normalem Wege nach machen, gleich im Anschluss an den Realschulabschluss.

 

Auf einem ganz normalen Gymnasium, inmitten ganz normaler Gymnasiasten, die fast I. s Kinder hätten sein können, vom Alter her.

 

Von da an sahen wir uns immer seltener, und wenn, war I. immer in totaler Eile, hatte irgendwelche Klausuren vor sich, Termine, die mit ihrem Amt als Klassensprecherin, in ihrer Klasse zu tun hatten , oder dem Amt als Klassensprecherin in der Klasse ihres Sohnes.

 

Irgendwann bekam ich dann so nebenbei mit, dass I. es auch im Gymnasium darauf angelegt hatte, Klassenbeste zu sein.

 

Für mich war völlig unvorstellbar woher I. dieses enorme Kraftpotenzial nahm. Als Außenstehende, die sehr mit ihren Kräften haus halten musste, sah ich mir diesen Ehrgeiz mit zwiespältigen Gefühlen an.

 

Einmal stellt ich I. die Frage, o b es Ihr denn nicht ausreiche, den Abschluss mit einem guten Durchschnitt zu machen . Ich bekam keine Antwort auf diese Frage.

 

So nach und nach begann es nun damit, dass das Abi Sie schaffte.

 

Teilweise erreichte sie den Notendurchschnitt nicht, den sie sich vor genommen hatte und sie begann, sich restlos zu überfordern.

 

I. hatte es sicherlich nicht wahr genommen, dass sie an ihre Grenzen gekommen war und dass sie besser ein wenig hätte zurück schrauben müssen.

 

Irgendwann war das Selbstvertrauen weg und was I. sagte und tat, war nicht mehr sie selber.

 

Ausrasten, los toben, sich schreiend fallen lassen in einen dunklen Abgrund, von Angstzuständen überwältigt, die sie sich nicht erklären konnte. Kurz vor der Grenze in eine andere Welt stehend.

 

So muss es I. wohl ergangen sein und niemand hatte mehr Einfluss auf sie.

 

Sie fiel und fiel und fiel.

 

Plötzlich konnte sie nichts mehr, hatte alles vergessen. Sogar das Schreiben und Autofahren. I. war nur noch eine Hülle ihrer selbst.

 

Worte , die an sie gerichtet waren, erreichten sie nicht mehr. Stets hatte sie das Gefühl, sich gegen alles, was um sie herum war und passierte, wehren zu müssen.

 

Nun war ihr Mann abgrundtief verzweifelt. Er wusste nicht mehr, was richtig oder falsch war und er hatte heftige Schuldgefühle. Er selber hatte seine Frau in die Krallen der Psychiatrie fallen lassen, ob wohl er ihr dieses normaler Weise nie tun wollte.

 

G. war nur klar, dass seine Frau Hilfe brauchte, dass es so nicht mehr weiter gehen konnte, dass I. zu einer Gefahr geworden war, für sich und andere.

 

Aber diese große Klinik, das wollte er eigentlich auf keinen Fall und er wollte es wieder korrigieren können. Dieses weg Sperren wollte er seiner Frau nicht antun und er hoffte nur, dass es noch nicht zu spät war.

 

Spontan bot ich im meine Hilfe an. So gut ich konnte, wollte ich G. und I. unterstützen.

 

Auch meine Mutter war aufgrund ihrer Psychosen in psychiatrischen Händen gelandet, zu einer Zeit, in der ich diese Ausmaße noch nicht verstehen konnte. Meine Mutter starb letztendlich an diesem Drama, ohne wirkliche Hilfe. Wie gerne hätte ich heute ihre Betreuung übernommen, und ihr ein halbwegs vernünftiges Leben ermöglicht. Für meine Mutter und mich war es zu spät in diesem Leben. Aber meine Gedanken und meine Liebe und heute auch endlich das Verstehen sind immer bei ihr.

 

I. und G. wollte ich helfen, mit all meiner Kraft und dem Glauben an die Seele des Menschen.

 

G. musste seine Frau wieder aus der Klink heraus holen, egal wie.

 

Ich war mir sicher, dass wir einen Weg heraus finden würden für I. wieder ins Leben zu kommen. Wir mussten planen, für die Zeit, wenn I. wieder zu Hause ist, wenn ihr Mann es geschafft hatte, sie dort wieder los zu eisen, wo es ihr mit Sicherheit nicht gut ging.

 

So versprach ich G. mich um I. zu kümmern, wenn er wieder arbeiten gehen musste. Schon bevor I. sich von ihrem Mann in die Klinik bringen ließ, wollte und konnte sie nicht mehr alleine sein. Sie wollte Menschen um sich haben, die die Verantwortung für sie tragen sollten und keine Angst vor ihrer momentanen Unberechenbarkeit hatte. Menschen, die es verstanden, in welchem Tief sie sich derzeit befand.

 

Bloß- ohne Arzt würde diese Resozialisierung sicher nicht funktionieren. Das könnte heftig nach hinten los gehen, war mir schon irgendwie klar.

 

Mein damaliger Hausarzt schien mir der Einzige, mir bekannte Arzt zu sein, der eventuell soviel Vertrauen zu G. und mir entwickeln konnte, um mit einer behutsamen, medizinischen Behandlung, unser Vorhaben zu begleiten.

 

Eigentlich war er dann doch der Meinung, es sei zu gefährlich und diese Form von Schüben seien nicht kontrollierbar und wenn überhaupt, müsse er noch einen Psychiater mit an Bord haben.

 

Der Doc. nahm Kontakt zu einem Psychiater auf und hielt mit ihm und G. gemeinsam Rücksprache. Der Psychiater hatte glücklicher Weise keine Bedenken, sofern I. den ganzen Tag Menschen um sich habe, die sie so, wie sie im Moment , in diesem traurigen Zustand ist, tragen und schützen können.

 

Ein wenig Bauchweh bekam ich nun doch. Hatte ich mir vielleicht zuviel zugetraut? Würde ich I., wenn sie anfangen würde, zu toben, sicher in den Griff bekommen? Es war mir schon klar, welche Kräfte frei gesetzt werden können bei einem Tobsuchtsanfall.

 

Aber meiner Mutter war ich es schuldig, wenigstens I. etwas von dem zu geben, was ich bei ihr versäumt habe aus Unwissenheit und damals noch nicht konnte. Ich sah es als meine Aufgabe an .

 

Inzwischen war ich so belesen zu diesem Themenbereich, hatte Vorträge besucht und Psychiater gelöchert, hatte es , zwar auf Distanz, bei einer anderen Bekannten schon einmal mit erlebt und wollte nun davon ausgehen, dass wir gemeinsam I. wieder auf die Beine und ins Leben zurück bekommen.

 

Als alle Arztgespräche und ein Beratungsgespräch mit einem Juristen erledigt waren, fuhr G. los nach Heiligenhafen.

 

Spät Abends rief er weinend und verzweifelt an . „ Du, ich krieg sie nicht raus hier. Sie haben sie mit Medikamenten so derartig abgeschossen und am Bett fixiert. Ihre schönen, langen Haare sind total verfilzt, ich darf sie nur ganz kurz sehen."

 

Der Stationsarzt drohte G. an, umgehend gerichtlich eine Zwangseinweisung zu erwirken, wenn G. weiter versuchen würde, diese tickende Zeitbombe aus der Klinik zu entfernen. I. sei mehr wie gemein gefährlich, für sich selber und für die Allgemeinheit.

 

I: sah so elend aus. Wie ein zu Unrecht geprügelter Hund, dem man ins kalte Wasser zum ertrinken geworfen hatte. G. konnte den Anblick seiner Frau so kaum ertragen.

 

G. schlief auf dem Parkplatz der Klinik in seinem Bus, und bat darum, seiner Frau weniger Medikament zu geben, damit er wenigstens mit ihr zum einem Friseur gehen konnte. Die verfilzten Haare, damit konnte sie sich nur noch elender fühlen, wenigstens das wollte er erst mal für seine Frau tun können. Sie sah doch immer so hübsch und gepflegt aus.

 

Und am zweiten Tag, nach dem Mittagessen, bekamen G. und I. tatsächlich die Erlaubnis für einen Friseurbesuch in der Nähe der Klinik und durften die Station verlassen.

 

Nachdem I. weniger Medikamente bekam, konnte sie sich bei einem Blick in einen Spiegel wahr nehmen. Sie selber fand , dass sie unmöglich aussieht und dass sie zum Haare schneiden gehen müsse.

 

Das passte dann ja alles prima und direkt nach dem Friseurbesuch führte Gerhard seine Frau zum Auto und sie fuhren direkt zu uns, ins Moor.

 

I. äußerste wohl während der Fahrt Bedenken, ob denn nun die Polizei nach ihr suchen wird, aber sie fand es irgendwie schon toll, von ihrem eigenen Mann entführt zu werden., so frisch vom Friseur weg, fort von der Psychiatrie.

 

Als die Beiden dann nachmittags so vor mir standen und G. ganz trocken erzählte, er hätte I. entführen müssen, weil sie niemand offiziell entlassen wollte, musste ich lachen und beglückwünschte die Beiden zu dieser Aktion. Da war er endlich wieder, dieser Kampfgeist für das Gute.

 

Mit der neuen Kurzhaarfrisur sah I. noch jünger aus. An ihren betrübten Augen konnte man erkennen, dass sie harte Medizin bekommen hatte und ihr Gang war mehr tippelnd, vorsichtig, so als hätte sie Angst zu fallen, wenn sie große Schritte macht.

 

Auf dem Weg ins Moor hatten die Beiden bei einem Bäcker unterwegs Kuchen gekauft und I. verzehrte mit wirklichem Appetit ein ganzes Stück davon. Durch die Medikamente war ansonsten jegliches Hungergefühl bei ihr verschwunden.

 

Sie wirkte erleichtert hatte, aber irgendwie einen Schlechtegewissen Blick.

 

Da G. nur noch dreiTage Urlaub hatte, bot ich an, am nächsten Vormittag zu ihnen nach Hause zu kommen um zu bereden, wie wir weiter verfahren sollen.

 

Die ganze Zeit über saß Jule auf I.s Füßen, so als ob dieser kleine Hund dieser Frau Wärme geben wollte. I . streichelte Jules Öhrchen ohne Unterlass. Jule war ein kleiner, süßer, schwarzer Wischmopp ähnlicher Mischlingshund, der einem Freund von uns gehörte. Dieser Freund leistete gerade seinen Zivildienst ab in einem Alten und Pflegeheim und aus Zeitmangel seinerseits, war Jule nun ein angenehmer Dauergast bei uns im Moor.

 

Bei meinem Besuch am anderen Morgen, ließ ich I. wissen, dass sie nun erst mal jeden Tag zu mir gebracht würde, wenn G. zur Arbeit fährt. Sie könne nicht alleine bleiben, sagte sie..

 

Ihr Aussage empfand ich als sehr positiv, dass sie diese Entscheidung anscheinend auch selber getroffen hätte.

 

Da es bis zum 1. Advent nicht mehr lange hin war, schlug ich vor, dass wir vielleicht gemeinsam versuchen könnten, Weihnachtskekse zu backen.

 

I. meinte traurig, sie könne das gar nicht mehr, hätte alles vergessen, was sie je konnte , aber sie wolle es gerne versuchen, mit mir zusammen.

 

Mir kam es einfach nur darauf an, I. auf irgend eine Art und Weise zu bewegen, ihre alten Muster wieder zu finden, dass sie es wieder finden sollte, ihre Werkzeuge zu benutzen.

 

Alles konnte doch nicht soweit verschüttet sein, dass es nicht mehr möglich war, es hervor zu holen.

 

Das Streicheln von Julchens Köpfchen, das wohl I. sowie Jule gut tat , als sie zu I. Füßen lag, von Anfang an, so , als könne sie spüren, das dort auf dem Stuhl ein Mensch saß, der ihre warmen, liebenvollen Schwingungen empfangen muss, zeigte mir so deutlich, dass I. wieder zurück kommen konnte. Es war mein Bauchgefühl.

 

Ich war froh und dankbar dafür, dass I. es als so selbstverständlich angenommen hatte, von ihrem Mann nun für viele Tage, jeden Morgen in meinen Haushalt gebracht zu werden. Sie stellte nur eine Bedingung, sich hin legen zu dürfen, wenn sie spüren sollte, dass es ihr zuviel wird.

 

Jeden zweiten Tag fielen dann noch nachmittags Arzttermine für I. an, die G. mit seiner Frau gemeinsam wahr nahm, nach der Arbeit. So hatte I. wirklich ein volles Programm, ohne Druck, aber geregelt.

 

Plötzlich, wie von Zauberhand empfand ich eine sehr tiefe Verbundenheit mit dieser Frau, das war mehr, als ich von mir erhofft hatte. Ich konnte mich auf sie einlassen und voll und ganz auf ihren Zustand einstellen.

 

Ich hatte kein bisschen Gefühle der Ausweglosigkeit. Mehr wie sicher war ich mir, dass das , was wir hier Anfangen wollten, ein gutes Ende nehmen wird.

 

Am nächsten Morgen machte ich mich auf den Weg in I. und G. s Dorf um einfach nur zu schauen, wie es den Beiden in der Nacht ergangen ist und um die kommenden Tagesabläufe zu reden.

 

I. und G. saßen beim Frühstück. I würgte die Bissen herunter, das Essen fiel ihr sichtlich schwer, aber immerhin, sie nahm Nahrung zu sich.

 

Die neuen Ärzte hatten I. aus Sicherheitsgründen für den Anfang natürlich Psychopharmaka verordnet, die aber im Laufe der nächsten Wochen wieder langsam runter dosiert werden sollte. Herbe Nebenwirkungen dieser Medikamente waren Mundtrockenheit, kein Hungergefühl und Einfluss auf das Gangbild und die Motorik. Aber nun wurden wir auch von den Ärzten ermuntert, den geplanten Weg ein zu schlagen, und ich musste versprechen, dass , wenn etwas aus dem Ruder laufen sollte, umgehend an zu rufen und laut Hilfe zu schreien.

 

Nun bat ich G. noch dafür Sorgen zu tragen, dass seine Frau vollwertige Nahrungsmittel zu sich nimmt um ihre Vitalität zu fördern, machte einen Merkzettel , mit den wichtigsten Lebensmitteln, die am besten immer im Hause sein sollten und bat , morgens , auf dem Weg zu uns, ein paar Vollkornbrötchen vom Bäcker im Ort mit zu bringen.

 

Wir hatten um die Zeit am Morgen, zu der I. nun regelmäßig zu uns kommen würde, noch drei Kinderchen und einen Zdler am Frühstückstisch sitzen.

 

Obwohl ich gerade diesen Zdler nicht in mein Herz schließen konnte,( wir passten absolut nicht zusammen und hier prallten Welten auf einander) hatten er und I. von Anfang an einen guten Draht zueinander, was die Gesamtsituation natürlich wesentlich entspannte.

 

I. konnte über ihre Ängste reden und es war mir möglich, ihr plausibel zu vermitteln, was mit ihr passiert war und warum sie in diesen Abgrund gestürzt war.

 

Sie konnte mir glauben und auch annehmen, dass das, was mit ihr passiert war, eine vorübergehende Psychose war, die sich auch wieder in wohlgefallen auflösen konnte.

 

Jedes mal wenn I. zur Tür rein kam, flippte unser kleines, schwarzes Wollknäuel Jule völlig aus vor Freude. Erfreut und verwundert durfte ich erleben, wie diese kleine Hündin von ganz alleine, zum allerbesten Cotherapeuten für I. wurde.

 

Jule zuliebe konnte I. vor die Tür gehen, hinaus ins Moor, und gemeinsam mit der neuen Hundefreundin das Leben wieder erfahren lernen. Etwas Besseres hätte fast nicht passieren können.

 

Ich hatte Keksteig vorbereitet, aus Vollkornmehl, Nüssen, Butter Eier und Honig, und bat I. einige Kekse aus zustechen, aus den ausgerollten Teigplatten, damit wir ein greifbares Ergebnis des Tages verbuchen können.

 

Dank Jule, die immer zu I. Füßen lag und ihr so wohl Sicherheit und Kraft gab, konnte I. zwei ganze Bleche Kekse ausstechen, eine beachtliche Leistung in Anbetracht der kleinen Ausstecherleförmchen und ihrer seelischen Verfassung.

 

Mittags kam nun auch I. Sohn zu uns nach der Schule, dessen Verhalten mir Probleme bereitete. Auch mein gleichaltriger Sohn hatte Schwierigkeiten mit ihm und so war der Nachmittag für mich immer anstrengender, als der Vormittag.

 

Abends, als G. seine Familie bei uns abholte, konnte I. stolz eine Tüte frischer Kekse, die auch wenn vollwertig, doch sehr lecker schmeckten, vorweisen. Sie hatte an etwas mit gearbeitet, was nun auch zu sehen und schmecken war.

 

In den nächsten drei Wochen hatten wir eine große Menge Weihnachtskekse produziert. I. traute sich wirklich Stück für Stück immer mehr zu und wir redeten in einer Tour miteinander, nicht so oft über diese psychischen Belange, sonder eher wie zwei ,gute, alte Freundinnen, die sich länger nicht mehr gesehen hatten, über alles Mögliche . .

 

Nach der ersten Woche, mussten wir Bestandsaufnahme der Backzutaten machen , I. hatte einen Block und einen Kuli vor sich liegen.

 

Wir sprachen mehrere Rezepte durch, die wir noch abbacken wollten, und I. schrieb auf, was noch eingekauft werden musste für die Backstube.

 

„Mensch, ich kann ja wieder schreiben. Hast Du gemerkt, ich kann wieder schreiben"? sagte I. auf einmal ganz glücklich zu mir.

 

Es war die Bestätigung dafür, dass es Aufwärts geht und I. ihre Kenntnisse sicher alle wieder zurück bekommen würde.

 

Die geplanten Einkäufe wollte I. an diesem Abend mit ihrem Mann selber erledigen. Das teilte sie mir zielstrebig und selbstbewusst mit.

 

Am anderen Morgen, als G. seine Frau zu uns brachte, mit einem Karton voller Arbeitsmaterial für uns, hatte I. sogar selber Rezepte zusammen gesucht, die wir nun auch noch ausprobieren sollten.

 

Jule wurde immer trauriger, wenn I. abends abgeholt wurde und auch I. hatte Probleme damit, ihre neue Freundin so zurück zu lassen.

 

Ich rief unseren Freund, den eigentlichen Besitzer von Julchen an, erzählte im alles und stellte ihm direkt die Frage, ob er nicht auch denke, dass Jule selber entschieden hätte, wo sie nun hin gehören möchte.

 

Durch seinen Zivildienst, Praktikum, Arbeit hatte unser Freund eh nicht mehr viel Zeit für sein Hundchen, das er wirklich liebte, aber manchmal sind die Veränderungen der Lebenssituationen eben nicht mehr für eine Tierhaltung geeignet.

 

Die letzten drei Jahre war diese Hundemaus eh mehr bei uns , als bei ihrem Besitzer, klar, hätte sie auch bei uns bleiben können, aber sie schien es selber zu wissen, bei wem sie sein möchte.

 

Mitten in der Nacht rief unser Freund an und mit Tränen in der Stimme gab er mir das okay, Jule in I. Familie zu übergeben..

 

Als I. am nächsten Abend von ihrem Mann abgeholt wurde, drückte ich ihr Jules Leine und eine Tüte Hundefutter in die Hand , mit den Worten „Es ist okay, probiert es aus."

 

Diese Worte hatte auch Jule irgendwie verstanden, sie lief umgehend zu dem VW Bus und stieg mit ihrer neuen Familie ein, ohne weiteres Reden.

 

Die ganze Familie mochte diesen Hund und sie waren so lange zusammen, bis Jule dann an Altersschwäche friedlich eingeschlafen ist, nach vielen, glücklichen Jahren.

 

Bis zu den Weihnachtsferien kam I. Täglich zu mir und es ging ihr immer besser. Die Angstzustände ließen nach, die Medikamente wurden herunter dosiert und fast konnte I. selber nicht mehr glauben, dass sie vor Kurzen noch in einer so tiefen Psychose steckte und ihr Leben nicht mehr verstand.

 

Im Januar fuhr I. wieder selber Auto, holte mit Hilfe einer Mitschülerin den ganzen, versäumten Unterrichtsstoff nach und schaffte das Abi.

 

Nicht das beste Abi, aber immerhin., I.. hat gelernt, sich nicht selber zu überfordern und die Dinge so an zu gehen , dass sie auch Spaß machen und ihr gut tun.

 

Ich habe I. zufällig im Frühjahr 2002 wieder gesehen, beim tanken, an der Zapfsäule..

 

Sie ist inzwischen Lehrerin an einer Realschule geworden, hatte einen schweren Autounfall überlebt und ist von G. geschieden. Beide sind noch freundschaftlich miteinander verbunden.

 

I. Sohn ist verheiratet, hat Kinder und hat einen Handwerklichen Beruf gelernt.

 

Es gehe ihr gut und sie liebe das Leben und ihre Schüler.

 

Von ganzem Herzen wünsche ich I. dass sie immer so zufrieden und glücklich sein darf.