Juni 2011

 

Nun bin ich stolze 58 Jahre alt geworden und will so alt noch gar nicht sein. Ich habe doch noch so Vieles vor  will noch so Vieles kennen lernen bevor ich ganz alt und unfähig sein werde.

 

Seit nun fast 5 Jahren leben meine Jüngsten in der Wohngruppe und mein Großer lebt schon seit 18 Jahren nicht mehr zu Hause.

 

Das Leerenestsyndrom habe ich endlich überstanden und eigentlich müsste es mir inzwischen sehr gut gehen.

 

Seit Martins Hirnblutung 2009 und seiner gesundheitlichen, traurigen Veränderung, die stete Angst um sein junges Leben das jeden Tag vorbei sein kann, sind  die Leichtigkeit und das Glücksgefühl des Lebens nicht mehr so in mir, wie es zuvor war.

 

Oft habe ich Angst vor jedem neuen Tag und es schmerzt mich, immer mehr so nach und nach Dinge die Ballast geworden sind aus Martins Zimmer zu entfernen, mit denen er nie wieder etwas anfangen kann.

 

Entweder verwendet Ricky  diese Dinge  für Flohmärkte oder ich weiß ganz gezielt von ein paar Kids, die sich über diese Dinge freuen und verschenke sie.

 

Jürgen und ich müssen beginnen unsere nahe Zukunft planen und irgendwie fest legen, wo wir, wie  unsere letzten Jahre des Lebens verbringen wollen und wo wir passend zu einem neuen Wohnort eine gute Einrichtung in der Nähe für die Kleinen finden könnten.

 

Alleine die Suche nach einer passenden Einrichtung gestaltet sich sehr schwierig. Irgendwie sind wir bundesweit noch nicht so wirklich auf dem Laufenden, Menschen mit Behinderungen gut unter zu bringen, wenn sie flügge werden oder aus anderen Gründen nicht mehr im Elternhaus versorgt werden können.

 

Inzwischen ist uns klar dass wir unser Haus hier in BW wieder verkaufen müssen, da wir es in unserem Leben nicht mehr abzahlen können. Es fällt mir auch immer schwerer, immer noch mit 58 Jahren jeden Cent umdrehen zu müssen und einfach kein normales Leben leben zu können.

 

Jürgen verdient gut, aber es geht fast alles für die Abträge an die Bank drauf. Der Preis dafür noch einmal mit Null angefangen zu haben. Ich finde keinen passenden Job mehr, kann eigentlich auch gar nicht mehr alles so bewältigen wie früher. Die immer anwesenden Rücken und Fußschmerzen machen mir oft  jede Bewegung zur Qual und gehen die Temperaturen über 25 Grad hinaus, habe ich das Gefühl zu ersticken. Für andere Menschen ist dann schönes Wetter und mir geht es richtig mies dabei. Auch Jürgen leidet unter diesem Klima obwohl er sehr schlank ist und schon aus diesem Grunde sollten wir in eine Region umziehen, in der es nicht so heiß wird wie hier im Süden und die kalten Monate länger andauern.

 

Diesen Sommer kaufe ich mir in Gedanken eine Eigentumswohnung in Alaska und freue mich auf den Winter.

 

So wäre für mich eine 50% Stelle das Optimale, genau die Dosis, die ich noch bewältigen kann, oder wieder ein private Pflegestelle mit viel Zeit für den alten Menschen.

 

Am liebsten würde Jürgen wieder an der Küste oder irgendwo am Wasser leben. Der ursprünglich Gedanke in Rickys  Wohnnähe  Richtung Chiemsee zu ziehen scheitert an den zu hohen Kosten die in dieser Gegend auf zukommen würden. Der Wunsch, Ricky ein sinnvolles Erbe zu hinter zu lassen, wird sich wohl auch nicht erfüllen lassen und aufgrund der Tatsache, dass mein ältester Sohn immer auf so Vieles verzichten musste schmerzt mich  dieser Gedanke sehr.

 

Der Gedanke, vielleicht in Jürgens Elternhaus zu ziehen, was im Moment sehr sinnvoll wäre da Jürgens Eltern eigentlich nicht mehr wirklich alleine leben können, scheitert daran, dass es für Jürgen keine Möglichkeit gibt, sich in die Richtung seiner Heimat versetzen zu lassen und auch dort sieht es mit passenden Einrichtungen für Steffi und Martin nicht so rosig aus. Alleine zurück lassen wollen wir die Beiden auf keinen Fall.

 

Jürgens Geschwistern gegenüber haben wir ein schlechtes Gewissen, weil das sich kümmern um die Eltern alleine auf den Schultern ihrer Familien lastet und wir nicht einfach so helfen können, weil der Harz einfach zu weit weg von unserem derzeitigen Wohnort liegt.

 

Klar ist für uns auf alle Fälle, dass wir uns noch einmal auf unsere alten Tage  verändern müssen, aber wir wissen noch nicht wirklich wie.

 

Steffi und Martin geht es im Moment noch gut, auch Martin mit seiner veränderten Körperlichkeit genießt sein Leben und findet täglich viele Gründe, sich am Leben zu freuen.

 

Die Probleme liegen einzig und alleine bei Jürgen und mir und wir müssen versuchen, sie zu lösen, bevor wir es vielleicht gar nicht mehr können und das Altwerden uns überrollt.