Ricky
Brigitte Betzel-Haarnagel, April 2005
Ein Bruder und zwei behinderte Geschwister Mai 2011
Ricky war schon neun Jahre alt, als Steffi –Down Syndrom -im Alter von drei Monaten in unsere Familie kam und ein Jahr später kam Martin- mehrfach behindert- im Alter von 17 Monaten zu uns.
Lange haben wir mit Ricky über den Wunsch, einem oder mehreren Kindern ein zu Hause zu bieten gesprochen und dass wir gerne Kinder aufnehmen wollten, deren Chancen auf eine Familie nicht so rosig seien..
Ricky meinte damals es sei okay, aber er wolle nicht nur Babysitter sein, aber schon helfen wenn er gebraucht wird.
Mein großer Sohn war ein selbstständiges Kind, aufgeschlossen, neugierig und mit seinem Fahrrad häufig unterwegs in der ländlichen Gegend, in der wir damals leben durften. Unterschiedlich behinderte Menschen waren ihm bekannt durch jahrelange Kontakte zu einer integrativen Jugendgruppe und persönliche Freundschaften zu behinderten Menschen, die wir als Familie pflegten.
Zu dieser Zeit dachte ich, mein Großer ist schon so weit entwickelt und er braucht seine Mutter nicht mehr so sehr. Die Zeiten sind für ihn vorbei, dass er ständig die Anwesenheit seiner Mutter brauchte.
Da ich, als Ricky klein war auch arbeiten gehen musste, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen, war er es ja auch gewohnt, Zeiten ohne Mama verbringen zu müssen.
Damals war mir nicht klar, welch zeitlicher Aufwand und welche Probleme noch auf uns zu kommen würden. Dass der Tagesablauf und das Handling mit Kindern, die besondere Bedürfnisse haben anders sein wird, als mit meinem Großen war mir bewusst und ich für mein Teil wollte meine Kinder von Herzen , mit aller Verantwortung haben.
Die Zuwendung, Förderung und Pflege von zwei unterschiedlich behinderten Kindern mit unterschiedlichem Betreuungs- und Unterstützungsbedarf zu bewältigen, war oft nicht einfach, auch wenn wir Phasenweise einen Zdler zur Seite hatten. Die 24 Stunden die ein Tag zu bieten hat, waren oft nicht mehr genug, um alles was anfiel zu bewältigen und dann auch noch ein paar Minuten für mich selber übrig zu haben. Der Tag musste ganz exact eingeteilt und geplant werden.
Martin war oft sehr krank, hatte heftige Anfälle, musste häufig zu Ärzten und ins KKH ambulant und stationär begleitet werden, konnte aus Sicherheitsgründen nie alleine sein, auch nicht, wenn er schlief..
Steffi war sehr lebhaft, übermütig, bewegungsfreudig und musste stets unter Aufsicht sein, damit sie sich nicht in Gefahr brachte. Gesprochene Worte konnte sie als kleines Kind kaum verstehen, Gefahren jeglicher Art konnte Steffi nicht erkennen, Handzeichen erreichten meine Maus nicht, wenn sie nicht auf mich sah und Blickkontakt hatte.
Und irgendwie, ohne dass ich es wollte und es bewusst wahr genommen hatte, waren Steffi und Martin der hauptsächliche Mittelpunkt der Tage.
Beziehungsprobleme im Erwachsenenbereich kamen dazu und phasenweise war ich sicher oft kurz vor einem Burn Out, habe aber immer noch irgendwie wieder die Kurve gekriegt.
Leider gab es in unserer Familie keine helfenden Großeltern und liebe Verwandte an unserer Seite. Ab und an bekamen wir Hilfestellung von Freunden und lieben Nachbarn, aber die meiste Zeit mussten wir alleine den Tagesablauf mit all seinen immer wieder wechselnden Facetten bewerkstelligen.
Ricky liebt seine Geschwister und er hat oft sicherlich mehr zu Hause mit angepackt, als er es eigentlich wollte, weil er erkannt hatte, wie nötig seine Unterstützung für uns ist und weil er mir ein wenig Freizeit ermöglichen wollte.
Letztendlich ist er völlig zu kurz gekommen in diesen Jahren. Es war für mich nicht sofort spürbar, weil mein großer Sohn immer irgendwo unterwegs war in seinem Freundeskreis.
Und irgendwann war dann eine Wand spürbar. Mag sein, dass es mit an den Auswirkungen der Pubertät lag Ricky entfernte sich emotional und später auch räumlich von mir.
Wobei die räumliche Entfernung war eigentlich eine gute Sache, weil mein Sohn so lernen musste, wie teuer das Leben sein kann, dass auch er mit seinen bescheidenen Mitteln haus halten muss und dass er für seinen eigenen Haushalt selber verantwortlich ist.
Kochen, backen, Wäsche waschen hatten wir immer wieder gemeinsam gemacht und Ricky war in der Lage, sich als junger Erwachsener selber versorgen zu können. Ganz im Gegensatz zu anderen jungen Menschen in seinem Alter. Bei uns zu Hause war es nie ein Hotel Mama und mein Großer musste für seine Belange selber sorgen, was natürlich auch zu Konflikten zwischen uns führte.
Wie verwundert war ich, dass wir die Schuhe an der Tür aus ziehen mussten, wenn wir Ricky besucht haben in seiner Wohnung und wie überaus ordentlich es in seiner Behausung immer war und wohl noch immer ist.
So ordentlich bekomme ich heute meinen Haushalt noch nicht hin, auch wenn ich mich sehr darum bemühe.
Es hat ein paar Jahre gedauert, bis wir wieder unbefangen auf einander zugehen konnten und einige Dinge klären konnten.
Ricky hat inzwischen verstanden, dass, was immer auch geschehen war und ihm nicht gut tat, nicht aus Absicht geschah um ihn alleine zu lassen oder ihm zu schaden.
Wir sehen und leider viel zu selten. Es liegen zu viele Kilometer zwischen uns. Zum Einen haben wir beide nicht die finanziellen Mittel, solche Fahrten oft zu machen und zum Anderen sind Jürgen und ich schon seit ein paar Jahren nicht mehr so fit, viele Stunden auf der Autobahn ertragen zu können. Es ist das alt werden, das wir zu spüren bekommen.
Wie wir die Zeit als Rentner in ein paar Jahren wirklich sinnvoll organisieren, und vor allem wo, ist uns heute , 2011, noch nicht klar. Es muss für alle passen.
Ricky soll keine zusätzliche Belastung haben mit seinen Oldies, Steffi und Martin wollen wir auf alle Fälle in erreichbarer Nähe haben und wir selber müssen uns wohl fühl können in den letzten Lebensjahren und vor allem die finanzielle Belastung einer Hausfinanzierung wollen wir nicht mehr tragen müssen, da für uns selber kein Cent mehr übrig bleibt und wir dieses Haus hier nicht abbezahlen können in unserem Leben.
Ich wünsche wir sehr, dass wir mit Ricky in den letzen Jahren wieder einen intensiveren Kontakt führen können und dass Alles, was wir noch nicht klären und aufarbeiten konnten noch geklärt werden kann zwischen uns.
Irgendwie kommt es mir ganz schön ungerecht vor, dass ich in all den Jahren so vieles über Steffi und Martin, meine jüngsten, geliebten Kinder nieder geschrieben habe, auf dass ihr Leben nie in
Vergessenheit geraten soll, aber über meinen geliebten Sohn Ricky, habe ich immer nur geredet.
Sein Leben als nicht behindertes Kind verlief auch vollkommen anders und seine Entwicklungsschritte liefen immer unter – ist doch normal ab. Ich bin immer sehr stolz auf meinen Großen, auch wenn er
mir manchmal gram war, weil ich als seine Mutter nicht so funktioniert habe, wie er es gerne gehabt hätte. Auch ich bin nur ein Menschen und nicht schon zu 100% perfekt auf die Welt gekommen. Als ich
mit 23 Jahren Mutter wurde, hat mir noch sehr viel an Erfahrung und Wissen gefehlt und so ist es mir nicht gelungen, immer alles ganz richtig zu machen. Aber wie auch immer die Zeiten waren, ich habe
mich immer redlich bemüht, für meine Kinder das Beste zu machen.
Trotzdem gibt es natürlich auch aus Rickys Kindheit so einige, Geschehnisse, die mir immer wieder vor Augen kommen, ausgelöst durch ein gehörtes Wort oder ein gesehenes Bild oder einfach
ein irgendetwas. Die meisten Mütter vergessen anscheinend nicht so schnell Begebenheiten, die sie mit ihren Kleinen erlebt haben. Sie bewegen das Leben ihrer Kinder ein ganzes Leben lang in ihren
Herzen.
Ricky gab oft Anlass zum herzhaften Lachen und Schmunzeln, natürlich auch für Hilflosigkeit und sauer sein. Aber auch das ist wohl normal in einer Familie und besonders in den Trotzphasen der Kinder
und natürlich besonders in der Pubertät, wenn sich Jung und Alt für eine Zeit lang einfach nicht mehr verstehen können. Und wie angenehm fühlt es sich an, wenn dieser Zustand endlich wieder bereinigt
ist und die großen Kinder und Eltern wieder eine Sprache sprechen können.
Ich denke, wohl wie jede stolze Mutter, gerne an Rickys Kindheit zurück und heute, als alt werdende und reifere Frau und Mutter würde ich so vieles von dieser so kostbaren Zeit gerne noch einmal
zusammen mit meinem Kind erleben dürfen. Vor allem die Begebenheiten, von denen ich heute weiß, das hätte ich als Mutter besser wirklich machen müssen.
Oft, wenn ich unterwegs einen kleinen Jungen sehe, der Ricky etwas ähnlich ist, wünsche ich mir so sehr die Zeit wieder zurück. Ich hätte gerne noch mehr Zeit mit meinem Sohn zusammen und ich würde gerne einige Dinge korrigieren können.
Heute ist mir klar, dass mein großer Sohne auf so Vieles verzichten musste, weil er zwei behinderte Geschwister bekam, die all meine Zeit und Kraft brauchten. Leider hatten wir keine helfenden Großeltern an unserer Seite. Wir waren immer nur eine kleine Familie.
Nun will ich versuchen, mit dem kleinen Ricky noch einmal ein paar Jahre zurück zu gehen.
Besuch im Zoo 1978
Zu dieser Zeit lebten wir in meiner Heimatstadt Frankfurt am Main. Natürlich gehört zu Frankfurt auch der große, Frankfurter Zoo.
Des öfteren sind wir gerne mit der Straßenbahn zu diesem tollen Tierpark gefahren an den Wochenenden. Schon alleine mit der Straßenbahn zu fahren ist für kleine Jungs ein tolles Erlebniss und auch Ricky konnte stundenlang genießen, so durch die Stadt zu fahren. Zu sehen gab es ja immer ewtas.
Irgendwie dachte ich damals, dass auch ein zweijähriger Junge vom Anblick der großen Tiere schon begeistert sein musste.
Ricky war schon gut zu Fuß und eigentlich an allem sehr interessiert.
Wir machten Halt vor dem Gehege der majestätischen Löwen und ich hörte mein Kind rufen:" Mama tuck ma, ein Mülleimer." Ich konne mein Kind gerade noch davon abhalten, in diesen gut gefüllten Mülleimer genüsslich ein zu tauchen.
Von den Löwen wollte Kleinricky so gar nichts wissen.
Weiter schlenderten wir durch den Zoo und blieben immer mal wieder an einem Gehege stehen.
Ricky genoss seine Freiheit und rannte von einem Käfig zum nächsten, die Tiere um die es hier eigentlich ging, waren im völlig egal.
Irgendwann stellte ich meinem Kind die Frage, ob ihm denn die vielen Tiere nicht auch gefallen und dass man sie hier im Zoo so schön nah vor sich sehen kann.
Ich bekam keine Antwort, mein Sohn sprang weiter munter durch die Gegend.
Plötzlich rief er nach mir:" Mama, oh Mama, da, Tauben, tuck ma, viele, viele Tauben."
Tja und dafür hatten wir nun Eintritt zahlen müssen. Tauben gib es in Frankfurt überall und reichlich und auch im Zoo, wenn irgendwo etwas Fressbares auf den Gehwegen liegt, sind sie natürlich da.
Ich beschloss, dass wir am nächsten Wochenende einfach nur so durch die Gegend laufen und nach Tauben Ausschau halten. Ist bestimmt kostengünstiger.
Pommes
(1979)
Mein kleines Krümelmonster war drei Jahre alt und wir lebten zu dieser Zeit noch in meiner geliebten Heimatstadt Frankfurt am Main. In einem anderen Stadtteil, im Westen Frankfurts lebten damals
meine Eltern. So ungefähr jedes zweite Wochenende luden meine Eltern uns damals zum Essen ein. Meist besuchten wir das gleiche Lokal, das in unserer damaligen Wohngegend , im Gallusviertel,
lag.
Wie die meisten Kinder liebte mein dreijähriger Ricky Pommes mit Ketchup, und da er nichts anderes bestellen wollte in der Gaststätte, bekam er dann auch immer die geliebten
Kartoffelstäbchen.
Irgendwann sprachen mein Eltern und ich bei Tisch angeregt über Kartoffeln und alles, was damit zusammen hängt und was inzwischen alles aus dieser tollen Knolle gemacht wird.
Ricky der uns zuhörte meinte auf einmal, er möge keine Kartoffeln, die schmecken nicht, sie seien so schmierig und überhaupt nicht gut. Dann schob er sich genüsslich ein weiteres, langes
Pommesstäbchen in den Mund, das ihm sichtlich sehr gut mundete.
Wir Grossen mussten alle lachen über diese Meinung meines kleinen Jungen und versuchten Ricky zu erklären, dass er da gerade Kartoffeln esse und Pommes einfach nur in Stäbchen geschnittene, in heißem
Fett gegarte Kartoffel seien und dass der Ketch Up , den er so gerne dazu mag aus echten Tomaten gemacht wird.
Nun begann der kleine, dreijährige Frittengeier eine wilde Diskussion mit uns, da er es nicht glauben wollte, dass die leckeren Pommes schlicht einfache Kartoffeln sind. Ricky kam sich von uns
total veräppelt vor. Erst als ich dem kleinen Zweifler zu Hause vorführte, wie aus einer Kartoffel, eine Handvoll Pommes werden können, begann er, wenn auch immer noch zweifelnd, zu glauben, was wir
ihm über Kartoffeln und Pommes erzählt hatten.
Nein
(1983)
In unserer damaligen Nachbarschaft, in einer idyllischen Moorgegend in Schleswig Holstein, befindet sich ein interessantes Tagungshaus. Ab und an besuchten wir unsere Nachbarn, denen dieses
Tagungshaus gehört auf einen nachbarschaftlichen Klönschnack.
Oft war auch der sechs jährige Ricky mit dabei da er immer genau mitbekommen musste, über was die Erwachsenen so schnacken.
Bei einem nachmittäglichen Besuch nun , wir führten gerade spannende, politische Diskussionen, klingelte eines der drei Telefone der Nachbarn.
Ricky bekam vom dem Nachbarn den Auftrag, doch schnell mal ab zu nehmen und sich zu melden. Ricky war sehr flink bei dem Telefon, hob hastig den Hörer ab und ich hörte nur noch, wie er an diesem,
fremden Telefon laut und deutlich antwortete “ Nein, mein Papa ist nicht hier, der arbeitet.“ Danach hatte er umgehend den Hörer wieder aufgelegt.
Aus seiner Sicht hat er alles richtig gemacht, was die Nachbarn davon hielten, weiß nicht so wirklich.
Ja, Kindermund tut Wahrheit kund, es kann auch schon mal geschäftsschädigend sein. Ich hoffe, falls es sich um eine Buchung der Räumlichkeiten des Tagungshauses gehandelt hat, dass der Anrufer es
nochmals versucht hat.
Freiwillig
(1983)
Die erste, größere Faschingsfete nach Rickys Einschulung sollte an einem Nachmittag statt finden und wurde in der Klasse mit den Lütten geplant.
Alles was mit Schule zu tun hatte, war Neuland für uns und wir mussten uns erst mal in die Gesamtthematik reinfuchsen. Schließlich war Ricky das erste Kind aus unserer Familie, das eingeschult wurde
und wir waren noch keine Insider.
Die Fete wurde als Unterrichtsthema geplant und vorbereitet. Ricky kam stolz von der Schule nach Hause um mir mit zu teilen, er hätte auch was bei der Planung übernommen.
Ich hatte ihn alleine für diese Tatsache sehr gelobt, noch mit den Worten, dass ja schließlich jeder etwas beitragen muss zum Gelingen eines Festes und dann wollte ich von ihm wissen, was er denn
übernommen hatte.
Ja, strahlte mein Kind mich an, dass seine Mutter für alle Berliner backt, teilte Ricky mir feudig mit. Das gute Kind hatte mich also mal wieder freiwillig gemeldet. Wie aufmerksam ein so
kleiner Junge doch schon sein kann.
Auf meine Nachfrage, wer denn noch so alles was zum Essen mit bringt, meinte Ricky, niemand, es hätte keiner was gesagt dazu. Wie schon erwähnt, wir waren noch keine Insider in Sachen Schule und
Elternmitarbeit.
Ich habe dann tatsächlich am Morgen der Faschingsfete ca. 60 Berliner --sind ja schließlich viele Kinderchen in so einer ersten Klasse--in Butterschmalz abgebacken in einer dreistündigen Aktion. Den
Hefeteig ansetzen, kneten und zweimal gehen lassen und ausstechen waren noch mal gute zwei Stunden alles in Allem.
Und was war dann? Es hatte wirklich jedes Kind was zum Essen mitgebracht, wenn überhaupt, hatten mal gerade drei von den arbeitsintensiven Berlinern aus dem Riesenkorb gefehlt und die hatte Ricky
wohl selber gegessen, weil er irgendwie ein bisschen ein schlechtes Gewissen hatte auf einmal. Alle anderen Partygäste hatten sich an Chips und Cola und andere Leckereien gehalten. Auf Berliner hatte
wohl absolut keiner der Erstklässler Appetitt.
Nach zwei Tagen konnte dann bei uns zu Hause Niemand mehr Berliner sehen und gut den halben Korb voll bekamen dann unsere Hühner und Ziegen unter ihr Futter gemischt. Die Tiere fanden die Berliner wohl sehr lecker und sie haben kein Grümelchen übrig gelassen.
Hat sich richtig für mich gelohnt, mir die Mühe zu machen.
Seife
(1982)
Wieder in einem Lokal, dieses mal in einem Steakhaus in Neumünster, waren wir mit ein paar Freunden zum Essen verabredet.
Ricky hatte sich zu einem süßen, wachen, lebhaften, kommunikativen, an allem interessierten Jungen gemausert.
Dieses Steakhaus war an diesem Abend sehr gut besucht, die Geräuschkulisse war beachtlich, die Bedienung sah ziemlich gestresst aus. Kein Wunder bei dem Betrieb.
Wir hatten gerade unsere gefüllten Teller auf den Tisch gestellt bekommen, als ich Rickys Händchen ansah, dass sie besser noch mal ein Ladung Wasser und Seife vertragen konnten vor dem Essen.
Kinderhände halt.
So ging mein Söhnchen , nach einer Aufforderung von mir, zur Toilette die sich im hinteren Bereich der Gastätte befand. Nach ungefähr 10 Minuten kam Ricky wieder in die Gasstube herein,
irgendetwas in seinen zusammen gefalteten und geschlossen Händen haltend.
Er ging auf die Bedienung zu die gerade am Tresen stand um Getränke in Empfang zu nehmen.
Ricky zupfte sie am Ärmel ihrer weisen Bluse , hielt ihr seine zum Becher geformten Hände hin und sagte.“ Hier, ihre Kloseife ist alle.“ Damit drückte er der total verdutzten Frau, einige leere
Behältnisse von Toilettenduftsteinen in die Hand.
Und ich dachte, er wäscht sich bloß seine Händchen. Natürlich, das gute Kind wollte nur hilfreich sein, was ich ja ansonsten auch vom ihm verlange und erwarte.
Eingeladen
(1982)
Gerade waren wir umgezogen in eine idyllische, traumhafte Gegend, sehr ländlich gelegen, mitten in einem Moor in Schleswig Holstein.
Für lebhafte Kinder die ideale Gegend zum groß werden und sich entdecken dürfen, mit Freiheit und Auslauf und vielen Beschäftigungsmöglichkeiten.
Direkt gegenüber unseres Wohnhauses, auf der anderen Straßenseite, lagen Koppeln, die ab und an von Rindern abgegrast werden sollten.
In der zweiten Woche nach unserem Einzug, Ricky und ich waren mit irgendetwas im Vorgarten beschäftigt, war der Besitzer besagter Koppeln dabei, die Umzäunung zu überprüfen. Da wir neu in der
Gegend waren, kannten wir die weit verteilte Nachbarschaft noch nicht, vor allem, weil wir ständig mit Renovieren und einräumen beschäftigt waren, hatten wir noch keine Zeit gefunden, uns richtig um
zu schauen und bekannt zu machen in unserem neuen Umfeld.
Jedenfalls bemerkte Ricky den Mann auf der Koppel gegenüber und machte mich darauf aufmerksam, dass da ein Mann sei. Ich muss wohl irgend etwas geäußert haben, wie, wir werden die Leute schon noch
kennen lernen, da war mein Rickylein auch schon unter dem Stacheldrahtzaun der Koppel durch gekrabbelt, stiefelte auf den erstaunten, jungen Landwirt zu und sprach mit lauter Stimme zu ihm: „ Du, das
da drüben ist meine Mutter, zu der kannste zum Kaffe trinken kommen.“
Glücklicher Weise konnte der fremde Mann die Qualität von Rickys Kindermund einschätzen und hat nur gelacht, über Rickys nette Einladung und sein selbstsicheres Verhalten.
Logisch, dass wir die Nachbarn dann kennen lernten und bekannt im Ort gemacht wurden.
Viele Jahre später, als wir schon längst in einer anderen Gegend lebten, war dieser Einsatz in Sachen Völkerverständigung von Ricky noch Gesprächsthema, wenn wir mal wieder voneinander
hörten.
Trecker fahren hat Ricky dann auch von Hans-Hermann, dam Mann auf der Koppel, gelernt, Ricky war oft und gerne auf dem Hof, bei diesen wirklich netten Nachbarn.
Lümmelei
(1986)
Wir waren mal wieder, wie schon so oft, zum Kaffe, mit ein paar anderen Nachbarn, auf dem Hof unserer lieben Nachbarn Maren und Hans-Hermann eingeladen.
Im Laufe der Zeit hatte sich eine nette,nachbarschaftliche Freundschaft unter uns entwickelt und es war immer sehr angenehm , diese Familie besuchen zu dürfen.
Ricky hatte sein Fahrrad dabei und wollte, nach dem Verzehr einiger leckerer Kuchenstücke die Maren mit einer Hauswirtschaftspraktikantin gezaubert hatte, sich mit ein paar Kumpels aus dem Ort
treffen und durch die Gegen düsen um sein Taschengeld im Nachbarort auf den Kopf hauen. Was er dann auch in die Tat umsetzte.
Nach ca. zwei Stunden kam Ricky wieder auf den Hof geradelt, rannte auf Maren zu und zeigte ihr irgendetwas, was er in seinen Händen hielt.
Maren kam lauthals lachend zu mir und meinte, dass mein Sohn für sein Alter schon sehr präventiv denken würde.
Ich staunte Bauklötze und stellte die Frage, was sie denn damit meine.
„Naja, für sein Alter, mal gerade neun Jahre, schon ganz schön plietsch, jetzt schon Lümmeltüten zu besorgen.“
Und ob ihr es glaubt oder nicht, ich, die ahnungslose Mama wusste bis zu diesem Tag nicht, was Lümmeltüten denn überhaupt sind.
Kniggerbogger
(1984)
Ricky hält es mir heute noch vor und nimmt es mir immer noch, ernsthaft übel, dass ich ihm in seiner Lausbubenzeit, diese fast nicht klein zu kriegenden Lederhosen angetan habe.
Es war mehr eine Schutzmaßnahme, weil mein Sohnemann ständig mit zerrissenen oder matschigen Beinkleidern nach Hause kam vom Spielen. Mit keinem Gedanken wollte ich mein Kinde ärgern damit.
Und ich war dankbar und froh, dass eine Bekannte mir diese tollen Dinger überlies, die sie ihren Kindern inzwischen zu klein waren.
Aber für Ricky wurden diesen praktischen, fast unverwüstlichen Beinkleider wohl zu einem wirklichen Alptraum. Er sei traumatisiert durch die Lederhosen, wirft er mir noch heute vor.
Dabei sah er so niedlich und fech aus, mit den Dreiviertellangen.
Erpressung
(1989)
Es hatte mich schon sehr gewundert, wieso Ricky andauernd Geld und Taschengeldvorschuß von mir haben wollte.
Erklären wollte er mir einfach nicht, wieso er denn dauernd wieder Geld brauchte.Erst als ich ihm mitteilen musste, dass es so nicht weiter geht und ich kein Geld habe und alles immer genau einteilen
muss, erzählte er mir mit rotem Köpfchen, dass er, wenn er nicht jede Woche 10 DM abgeben würde, was in die Fresse bekäme und vielleicht sogar umgebracht würde und wenn er mit jemandem darüber
reden würde, sähe das auch schlecht aus für ihn.
Name und Klasse konnte er mir nennen von dem Typen, aber er wollte aus Angst vor diesem Knaben nicht, dass ich etwas unternehme. Am anderen Morgen war ich logischer Weise in der Schule, ließ
diesen Knaben vom Sekretariat aus der Klasse holen und merkte, noch bevor er kam, dass es mir fast die Beine wegzieht.
Als der junge Mann dann im Sekrtariat der Schule eintrat, ca. 180 groß, kräftiger Körperbau, bekam auch ich es mit der Angst zu tun und ich konnte Rickys Verhalten schon verstehen. Trotzdem
konnte ich diesem Bengel sagen, dass, wenn er nicht augenblicklich aufhört, meinen Sohn zu bedrohen, ich ihm und seiner Familie die Polizei und das Jugendamt auf den Hals hetzen würde, und zwar
umgehend.
Natürlich hatte der Bengel alles abgestritten und fing an mich zu beleidigen, aber ich konnte trotzdem ganz ruhig und bestimmt meine Worte nochmals deutlich wiederholen im Beisein der
Schulsekretärin.
Die erzählte mir dann noch was von schwierigen, familiären Verhältnissen und dass der junge Mann dauernd auffällig wäre und sie hoffe, dass er meinen Sohn wirklich in Frieden lassen würde.
Mehrere Male hatte ich noch versucht, die Mutter des Knaben telefonisch zu erreichen oder sie auf zu suchen, immer erfolglos.
Ricky hatte jedenfalls nach meinem Auftritt in der Schule tatsächlich Ruhe vor dem Typen , Gott sei Dank .
Ich hätte nicht gezögert, ihn wirklich an zu zeigen. Er war schon über 14 Jahre alt und strafmündig.
Restmüll
Irgendwann kam dann die Zeit der Mofas und alten Autos. Ich habe meinem Jungen ja von Herzen gegönnt, dass er sich austoben, schrauben und basteln kann. Ist ja auch lehrreich und spannend.
Aber es hat einige Jahre und langer Überredung gedauert, bis dieser Sondermüll dann in Etappen aus Schuppen und vom Hof wieder entfernt wurde von seinem eigentlichen Besitzer, der natürlich im
laufe der Jahre die Lust an diesen Hobby verloren hatte.
Auch wenn es immer heißt, ein Stück von mir bleibt hier und ich muss einen Grund haben um wieder zu kommen, das waren für mich dann Phasenweise ein paar Gründe zu viel des Guten.
Außerdem hatte ich Angst, vor der Zeit, wenn wir hier wieder müssen. Ich hatte keine Lust ständig mit vollen Kofferaum beim Schrottplatz vor zu fahen und auch noch für die Entsorgung dieses Bastelmaterials zahlen zu müssen.
Mahlzeit
(2005)
Vor ein paar Wochen besuchte uns Ricky mit seiner lieben Freundin. Irgendwie kam das Gespräch auf Küche und Essen und ich stellte meinem geliebten Sohn die Frage, was denn für ihn wohl das
schrecklichste an Essen gewesen sei, dass ich je auf den Tisch gebracht hatte.
Ricky meinte, es sei mein Vollwerternährungstick gewesen.
Dabei habe ich mich damals nur bemüht, meine Familie gesünder zu versorgen. Ricky hatte sogar höchst selbigst das Mehl zum Brotbacken in einer alten, großen Kaffeemühle, die wir mal auf einem
Flohmarkt erstanden hatten, gemahlen. Und ich dachte, ich hätte was Gutes gemacht.
Ganz besonders schlimm fand Ricky, dass ich Kirschkuchen auch mit Vollkornmehl gebacken habe.
Naja, ich hatte es nach zwei Jahren dann auch wieder auf gegeben, weil ich ja gemerkt habe, es kommt nicht so gut an, trotz aller Mühe.
Einer, von Rickys damaligen Freunden ließ mich wissen, als ich ihm ein Stück leckeren Vollkornkuchen anbot, er sei heilfroh, dass er so was nicht zu Hause essen müsse, seine Mutter sei noch
normal.