Der letzte Tag
Brigitte Betzel-Haarnagel,25.11.2003
mEs war einer der Tage, vor denen ich mich immer am meisten fürchte.
Fürchte, weil ich selber Seelenqualen aus stehe, und fürchte, weil ich meinen Kindern etwas beibringen muss, was so unheimlich weh tut.
Gipsy, unsere inzwischen steinalte Retrieverhündin, bekam seit einem halben Jahr eine Krankheit nach der anderen. Ihr liebes Hundeleben wurde immer mehr zur Qual für sie.
Für den Unterhalt des Tierarztes haben wir in dieser Zeit in beachtlichem Maße beigetragen, ohne, dass unserer guten Freundin wirklich geholfen werden konnte.
Fast täglich kam ein neues Elend hinzu.
Schweren Herzens haben Jürgen und ich dann beschlossen, denn Tierarzt um einen Hausbesuch zu bitten, damit Gipsy nicht noch zu ihrem Ende der ungeliebte, mit Angst besetzte Gang in die Tierarztpraxis zugemutet werden muss.
Wie sehr habe ich mir gewünscht, die Zeit um Jahre zurück drehen zu können, oder einfach nur, dass unsere liebe Hundefreundin munter und gesund noch ein paar Jahre mit uns leben kann und dann einfach friedlich einschlafen darf, an einem ihrer Lieblingsplätze.
Das Warten auf den Tierarzt wurde für Jürgen, der sich Urlaub genommen hatte, und mich zu einer Zerreißprobe.
Unser Kopf sagte uns, es ist das einzig Richtige, was wir für Gipsy noch tun können, unser Herz hätte sie am liebsten nicht losgelassen.
Dann war es soweit. Jürgen blieb bei ihr, begleitete sie in ihren letzten Minuten. Im Spielzimmer auf einer Decke. Sie lag so oft auf diesem Platz, bei ihren, unseren Kindern.
Nono, unser einjähriger Dackelmix, und ich warteten auf der Terrasse. Ich hatte Angst, umzukippen oder dem Tierarzt die Spritzen aus der Hand zu reißen.
Nach nicht ganz zehn Minuten kam Jürgen mit dem Tierarzt raus. Jürgen weinte, Nono knurrte den Tierarzt an und verbellte ihn böse. Er hat alles genauso gespürt, wie ich. Es war kaum aus zu halten für uns.
Wir haben uns verabschiedet von diesem lieben, zärtlichen Hundeherz und Gipsy in unserem kleinen Garten, direkt neben Finchen, unserem alten Zwergdackelmädchen das vor 15 Monaten so dragisch verstorben war, begraben.
Nono saß danach drei Stunden in unserem geöffneten Auto, ohne sich zu rühren.
Abends mussten wir die Kinder von einem Lebenshilfenachmittag abholen, und die Zeit war so turbulent, dass es den Kindern nicht recht aufgefallen war, dass Gipsy nicht mehr da war.
Ich bedankte mich für diese Stunden des verschweigen könnens.
Am nächsten Morgen gab es keine Gnadenfrist mehr für mich. Ich hatte versucht, die Kinder schon vorher darauf zu sensibilisieren, dass Gipsy sehr alt, ziemlich krank ist und bald in den Himmel gehen muss.
Steffi (18, Down-Syndrom) steckt solche Sachen leichter weg, so nach dem Motto- es ist halt so. Sie liebt Tiere sehr und hält sich dann an alle anderen Tiere, die noch da sind. Nono ist auch noch jung und verspielt, der richtige Hundepartner für Steffi.
Mit Martin (17, mehrfach behindert) verhält sich die Sache völlig anders.
Er suchte Gipsy und sah mich dann an. Ich erklärte ihm, dass ihre Zeit hier auf der Erde nun vorbei war, sie im Himmel ein Hundeengelchen geworden ist und dass sie von da oben nach uns schaut.
Mein armes Kind weinte eine ganze Stunde lang und sagte immer wieder" „runter, wauwau runter." Er sah meine Tränen und versuchte auch mich zu trösten, obwohl es ihm so schlecht ging in dieser Stunde.
Ich habe ihm erzählt, wie wunderbar es doch war, dass wir diesen tollen, lieben Hund so lange bei uns haben durften, dass alle Lebewesen gehen müssen, wenn ihre Erdenzeit vorbei ist und dass wir ja nicht aufhören müssen, Gipsy immer lieb zu haben.
Martin wurde ruhiger und ich merkte, wie er in sich versunken war. Plötzlich rief er nach mir und teilte mir mit, dass wir wieder ins Tierheim gehen, einen anderen Hund, zu uns nach Hause holen sollen.
Er hatte das Tierheim so bewusst erlebt, als wir Nono dort kennen lernten, letztes Jahr im Mai und von ihm aus, hätten wir gleich mehrere Hunde mit nach Hause nehmen können.
Es erstaunte mich sehr, wie schnell mein Kind war, mit dieser Vorstellung.
So schnell kann ich das nicht, es braucht Zeit, ich muss erst lernen, ohne Gipsy zu leben , bevor ich mich auf einen anderen Hund einstellen kann, und Jürgen geht es bestimmt genau so, versuchte ich Martin verständlich zu machen.
Martin gab mir das Okay, mit einem Befehl - dass wir dann aber ja hin gehen, einen anderen Hund zu uns nehmen.
Martin trauert immer noch, er hat es in der Schule jedem erzählt, den ganzen, lieben langen Tag lang sicherlich.
Und Gipsys Tod hat ihn sehr aufgeregt. Im Mitteilungsheft vermerkte Martins Lehrerin, dass Martin starken Durchfall hatte.
Nach Hause kam er fröhlich, wie fast immer, zeigte mir gleich zwei Finger und sagte „ Wauwau ja."
Er ist bereit, und er wird es auch noch sein, wenn wir es wieder sind.
Nono Mai 2014
Nun sind schon fast acht Monate ins Land gezogen, dass unser kleiner, lieber Halbdackel unsere Welt verlassen musste in die ewigen Jagdgründe.
Diese Entscheidungen zu treffen war schon immer herzensschwer und mit jedem Tier wurde es heftiger für uns, vielleicht, weil wir auch selber immer schneller auf diesen Weg zu gehen .
Die geliebten Retriever haben uns wenigstens sagen können, dass sie nicht mehr konnten und Erlösung brauchten und dies so zu akzeptieren war einfacher, wenn auch nicht schmerzloser.
Nono hatte uns nicht gesagt, dass er gehen will, dass wir ihn schon los lassen sollen.
Sein schwarzes Fell glänzte wunderbar seidig und seine Aufmerksamkeit und sein Verhalten waren noch so, wie es für einen alten Hund passend und in Ordnung war. Dass unser Freund keine langen Spaziergänge mehr machen wollte, deuteten wir auf sein Alter. Auch mir fiel es immer schwerer, lange Wege zu gehen, die Knie schmerzen oft sehr unter der Artrhose und somit passte es mit uns Oldies ganz gut.
Nono war immer gerne zu Hause, in seinem eigenen Revier und egal wohin wir ihn mitnahmen, irgendwann am Nachmittag kam das sehr deutliche Signal, lasst uns bitte nach Hause gehen.
Vor zwei Jahren merkte ich, dass sich Nonos Stimme veränderte. Ich wies die Tierärztin beim jährlichen Impfen darauf hin, sie zuckte nur mit den Schultern. Insofern dachten wir, na gut, dann gehört das eben auch zum Altwerden und Nono schien es ja gut zu gehen.
Dann im Herbst letzten Jahres konnte Nono nicht mehr aufhören zu Husten und er bekam merklich schwerer Luft und konnte deshalb nicht mehr richtig schlafen. Sein Futter hat ihm noch geschmeckt, bis zum letzte Tag. Es musste nur weicher sein und nicht zu groß.
Wir fuhren nun direkt in die Tierklinik mit ihm, wo zuerst ein Infekt vermutet wurde, der mit Antibiose behandelt werden sollte. Das ginge gerade so rum war die Meinung des Fachpersonals. Nach einer Woche trat keine Besserung ein und Nono wurde unter Narkose geröntgt und sein Halsbereich wurde lapraskopisch untersucht.
Es war ein niederschmetterndes, trauriges Ergebnis das uns am Monitor gezeigt wurde. Ein großer Tumor hatte sich in seinem linken Lungenflügel entwickelt, sein Kehlkopf war gelähmt und konnte sich nicht mehr richtig öffnen.
Eine Woche lang haben wir noch versucht mit hohen Kortisongaben eine Besserung zu erreichen, leider völlig ohne Erfolg. Die Tierärzte die Nono kannten legten und ans Herz, ihn erlösen zu lassen da jeder kommende Tag weiteres Leid für den armen Hund bedeuten würde, er immer mehr in Atemnot kommen würde und somit Todesängste aushalten muss. Es gäbe keine Hilfe für diesen Zustand.
Nonos letzte Blicke werde ich nie im Leben vergessen, er erwartete Hilfe von uns, die wir ihm nicht mehr geben konnten. Er wollte noch nicht sterben und wäre er ein Mensch gewesen, hätte ein Luftröhrenschnitt und ein Tracheostoma das Atmen möglichen machen können. Ein Hund kann damit nicht umgehen und wir mussten ja sagen zu den Spritzen und diesem traurigen Abschied.
Nono war so sehr beliebt bei den Menschen, die ihn und uns kannten, die Nachbarn redeten mit ihm wenn er sie begrüsste, wenn sie an unserem Hoftor vorbei gingen, im Behindertenheim gehörte Nono einfach mit uns dazu wenn wir unsere Kinder besuchen kamen, mindestens dreimal in der Woche und nun, ohne Nono komme ich mir vor als sei ich nicht richtig angezogen und dieses Empfinden wird auch nicht wirklich besser.
Aus Altersgründen wollen wir keinen anderen Hund mehr aufnehmen, da sind Vernunft und Herz im Zwiespalt und die Vernunft muss siegen. Wir haben Niemanden, der ein Haustier übernehmen würde, wenn wir nicht mehr können und wie wir noch so einen Abschied verkraften sollten, weiß ich nicht. Und irgendwie kann ich Nonos Platz auch nicht neu besetzen, dieser Platz ist nicht wirklich frei geworden.
Scrolli unsere süße Wackelkatze hat nach zwei Wochen aufgehört, nach dem Hundekumpel zu suchen und mir fehlt er einfach immer noch wahnsinnig. Ganze elf Jahre waren wir eine Familie, ein Rudel. Ein Rudel das immer kleiner und älter wird.