Zwei arme alte Kerle
Zwei arme, alte Kerle Februar 2012
Seit September letzten Jahres betreue ich einen 93jährigen Mann , viele Tage und Nächte inzwischen bei uns zu Hause. Es soll nur solange sein, bis ein guter, für die Familie passender, Heimplatz für den Vater gefunden wurde. Sie sind dran, alleine lassen kann man den Senior leider nicht mehr. Ein trauriger Preis, den wir dafür bezahlen müssen, so alt werden zu dürfen.
Keine Sorge, ich bin fest eingestellt worden von der Familie des alten Mannes, es ist keine Schwarzarbeit.
Für maximal ein gutes Jahr – wenn es überhaupt solange dauern wird- denke ich, ist es für mich machbar, danach brauche ich Erholung und einen weniger zeitintensiven Job bis zur Rente. Freie Zeit habe ich so kaum noch und muss zusehen, dass ich alle Belange so miteinander verbinde, dass Niemand zu kurz kommt und alles Drumherum weiter läuft. Manchmal ein heftiger Balanceakt.
Seit 2002 lebt unser schwarzer Dackelterriermix Nono, den wir aus dem Ludwigsburger Tierheim adoptiert haben, glücklich und tonangebend, in unserem Familienrudel.
Nono ist, auch wenn er es nicht weiß, ein Therapiehund mit reizenden Pfötchen-auf seine Art und Weise- und auf seinen kurzen Beinchen.
Schon einmal durfte und sollte ich meinen Hundefreund in ein Pflegehaus mitbringen, wenn ich dort zum Einsatz kam. Der alte Mann um den es dort ging war schwer dement und wollte mit Menschen und von der Welt nichts mehr wissen, und mit mir reden schon gar nicht. Notwendiges ließ er mit entsprechender Abwehrhaltung und Schimpfen über sich ergehen, wenn es denn gar nicht anders machbar war.
Erblickte er aber Nono, erhellten sich seine Gesichtszüge und er redete freundlich zu dem Hundchen und—mit voller Begeisterung lies der Senior immer etwas von seinem Teller runter fallen in Nonos Richtung, mit einem Grinsen im Gesicht.
Nono kennt durchaus die Wirkung seines vielsagenden Hundeblickes.
Der kurze Hundekumpel war es von Steffi und Martin, meinen beiden, behinderten Kindern, gewohnt, als sie noch zu Hause lebten bevor sie mit 21 Jahren eine Wohngruppe umgezogen sind, dass immer mal wieder etwas Leckeres vom Tisch fiel und darüber freute sich der Hund immer sehr und ich musste weniger sauber machen nach den ausschweifenden Mahlzeiten.
Jaja, ich weiß, Herr Rütter würde mir dafür das Wort zum Sonntag predigen, bloß, in unserem Rudel lief schon immer alles etwas anders rum um stimmig und passend zu sein für unsere besonderen Verhältnisse der Lebensmelodie.
Man muss ja auch nicht unbedingt immer alles mit der pädagogischen Brille anschauen, auch wenn es vielleicht die Einschaltquoten hoch treibt.
Nono ist jedenfalls am Morgen der eigentliche Grund, für den Opa Alfred aufsteht. Und Nono scheint das irgendwie zu wissen und zu spüren. Der Hund stellt sich am Bett des alles Mannes auf und wedelt freundliche mit seinem schwarzen Steert. Schon meint der alte Mann, dass er ja nun gleich aufstehen würde und dabei tätschelt er liebevoll Nonos Öhrchen die er gerade so vom Liegen heraus erreichen kann , während er mir ein paar Minuten zuvor noch mürrisch mitgeteilt hatte, dass er liegen bleiben will und seine Ruhe haben möchte. Um hier halbwegs alles gut geregelt zu bekommen, muss ich einen strukturierten Tagesablauf einhalten und der fängt auch für einen alten Mann mit aufstehen, so gegen 8.30Uhr, jeden Morgen, an.
Einem Hund zuliebe auf zu stehen, das ist doch schon mal was und eigentlich ein guter Grund, oder? Auch wenn Opa Alfred es nicht mehr so wirklich umsetzen kann, unser Hundchen bietet ihm alleine durch seine Anwesenheit ein Stück weit Lebensqualität.
Ist Opa Alfred dann sanitär versorgt, rasiert und mit seinen Zähnen bestückt, bekommt er sein Frühstück, welches ich immer vorher zubereitet habe, auf den Tisch gestellt und ein zerkleinertes Diätleckerli für Nono dazu gelegt.
Und egal, um welche Mahlzeit es sich handelt, Opa Alfred versucht immer wieder, jedes Mal aufs Neue, Nono von seiner Mahlzeit, die er eigentlich eh nicht essen will, weil er schon so alt sei und keinen Hunger mehr habe und da er ja nichts mehr arbeitet auch nichts braucht wie er sagt, größere Teile auffällig unauffällig ab zu geben.
Das gefällt mir natürlich nicht wirklich, da es einfach zu viel für einen kleinen, kurzen Hund ist , was da vom Tisch kommt und ich meckere dann halt ein bisschen, da rein sachliche Erklärungen, auch mit 50facher Wiederholung pro Tag, beim Empfänger nicht mehr ankommen.
Dies wiederum veranlasst den alten Mann regelmäßig Nono an zu schauen und kopfschüttelnd, bedauernd zu ihm zu sagen „Gell Nono, wir sind zwei arme alte Kerle. Ich muss essen und Du darfst nicht“. Dann schauen mich Beide, gemeinsam, solidarisch, mit großen , braunen Augen, vorwurfsvoll an.
Tja, das habe ich nun davon. Unsere Tierärztin meinte schon, wir sollten Nono dann alle Zugaben von seiner Futterration abziehen, da auch eine Nachbarin immer mal wieder großzügig Leckerchen verteilt und sich über Nonos Begrüßungsluftsprünge freut, die sicher auch Balsam für ihre Seele sind.
Wir haben sowieso nur noch Diäthundefutter in der großen Futterdose, keine Ahnung ob es wirklich was bringt.
Wenn für Opa Alfred ein hoffentlich guter Heimplatz gefunden wurde von seiner Familie, werden wir hier eine länger anhaltende Diätrunde und Joggingeinheiten einlegen.
Was ich mir eigentlich gar nicht mehr vorstellen kann, auch wenn es möglich sein soll, ist ein Leben ohne Tiere, besonders dann, wenn die Welt um einen Menschen herum schwierig und leer wird sind unsere tierischen Lebensgefährten eine wohltuende Streicheleinheit für die Seele .