Angel - Die Weihnachtsfreude

Brigitte Betzel-Haarnagel, 1997

Der kleine Engel Ambrosius, mit den süßen, roten Pausbäckchen, der so vorwitzig aussehenden, niedlichen Stupsnase und den allerliebsten, wunderschönen, braunen Augen konnte seinen Ohren kaum trauen.

 

Tatsächlich hatte Petrus ihn zu diesem Weihnachtsfest, das er so lang ersehnte, zum aller ersten Mal eingeteilt, mit vielen anderen lieben Engeln, die Weihnachtsfreude auf der Welt zu verbreiten.

 

Diese, so ehrenvolle Aufgabe verrichten zu dürfen, war der Wunschtraum aller Engel- und nun sollte es für Ambrosius wirklich endlich soweit sein?

 

Vor lauter Freude machte Ambrosius einen solch übermütigen und heftigen Purzelbaum, dass er dadurch soviel Schwung hatte, um ohne die kleinen Flügelchen benutzen zu müssen, doch tatsächlich über 35 weiße Schäfchenwolken fliegen zu können.

 

Es war aber auch einfach zu herrlich, dieses überschwängliche Gefühl der Freude im Bauch zu haben, das so eigenartig, angenehm kribbeln konnte.

 

Nun hieß es aber sich ran halten. Noch genau zwei Stunden hatte der kleine Engel Zeit, bis er mit all den anderen, hocherfreuten und auserwählten  Engel zur Erde hinunterfliegen durfte.

 

Die nackenlangen, blonden Lockenhaare mussten noch anständig gebürstet werden, auf dem weißen Hemdchen war ein Fleck, der rausgewaschen werden musste und vor allem musste das goldene Sternenkrönchen noch tüchtig poliert werden, damit es ja unaufhörlich blinken konnte in dieser so wichtigen, wunderherrlichen Heiligen Nacht.

 

Petrus trat zu jedem einzelnen Engel um ihm genau zu erklären, wo er eingesetzt war.

 

Die ganz kleinen Engel, wie Ambrosius, durften in ihrer ersten Heiligen Nacht nur 15 Familien besuchen und mit jedem weiteren Jahr kamen dann noch jeweils immer fünf Familien dazu, die sie besuchen durften. Nach zehn Jahren des Weihnachtsfreude Verbreitens, durften die Engel in die Kirchen und Krankenhäuser ,die Kinderheime und die Alten und Pflegeheime gehen um dort ganz ,ganz vielen Menschen auf einmal die Weihnachtsfreude zu bringen.

 

Nach Deutschland, ganz genau nach Schleswig Holstein, wollte Petrus den kleinen Engel Ambrosius schicken in seiner ersten Nacht im Einsatz. In zwei kleinen Dörfern im Landkreis Rendsburg wohnten die Familien, die Petrus für Ambrosius ausgesucht hatte.

 

Oh wie war Ambrosius aber auch aufgeregt. Mehr als 15 Familien hätte er in dieser Aufregung auch sicherlich nicht gefunden. Schließlich musste Ambrosius nun das erste Mal mit einer Land und Straßenkarte arbeiten, und dann auch noch die richtigen Hausnummern zu finden war auch nicht ganz so einfach. Auf gar keinen Fall durfte es passieren, dass eine Familie vergessen wurde. Weihnachten ohne Weihnachtsfreude- gar nicht auszudenken.

 

In jedes Haus musste der kleine Engel unbemerkt hinein huschen, sich hinter den bunt geschmückten Tannenbäumen verstecken und wenn die Menschen dann ihre Geschenke auspackten, musste Ambrosius sein Gebet und den heiligen Segen, die guten Wünsche für Alle und Jeden, leise aussprechen und mit einem Halleluja wieder vorsichtig, ohne gesehen zu werden das Haus verlassen und zu seinem nächsten Weihnachtshaus zu fliegen.

 

Nur wenn er Menschen antrifft, die ganz besonders traurig sind in dieser Nacht, darf er ein wenig verweilen, um sie behutsam und liebevoll mit des Himmels Güte zu trösten. Auch wenn die Menschen die Engel meist nicht sehen können, so spüren sie in angenehmer, wärmender Weise die Umarmung dieser himmlischen Kraft. Es hilft den Menschen, sich wieder wohl fühlen zu können und somit Kraft zu schöpfen, für den weiteren Lebensweg, mit all seinen zahlreichen Aufgaben.

 

Alle Engel, die in dieser Heiligen Nacht zur Erde fliegen sollten, versammelten sich am Anfang der Milchstraße. Petrus prüfte nach, ob nun auch ja alle Engel gepflegt und blinkend aufbrechen konnten.

 

Er war zufrieden mit den Engeln und öffnete mit dem großen, goldenen Schlüssel das Himmelstor.

 

Wenn jemand von der Erde in diesem Moment gen Himmel schaute, so sah es am Himmel aus, als flögen Hunderte von Sternschnuppen zur Erde nieder.

 

Jeder Engel kannte seinen Auftrag sehr genau. Ein Stück des Weges konnten alle Engel noch gemeinsam fliegen, dann verteilten sie sich nach und nach über der ganzen Welt und ein jeder Engel flog zu seinem, von Petrus ausgesuchten Bestimmungsort.

 

So auch der kleine Engel Ambrosius. "Halleluja, halleluja" sang der Engel Ambrosius freudig, mit seiner schönen, klaren ,hellen Stimme immer und immer wieder während er über das wunderschöne, verschneite Schleswig Holstein daher flog um den Landkreis Rendsburg zu suchen. Das aller erste Mal sah er die Nordsee und die Ostsee, die in Ufernähe zugefroren waren .Er hörte das Knirschen und Krachen des Eises ,das sich wie eine eigene Sprache anhörte ,er vernahm das Läuten vieler Kirchturmglocken und er sah den wunderschönen ,glitzernden Schnee .Als er endlich Rendsburg gefunden hatte, flog er zum Nordostseekanal um eine kleine Pause einzulegen. Nun war der kleine Engel Ambrosius schon fast an seinem Ziel angekommen.

 

Noch ein kleines Stück musste er südlich fliegen, dann war er da .In Nienborstel sollte er acht Familien besuchen und in Todenbüttel sieben.

Und es klappte alles wunderbar .Es klappte sogar so gut, als sei dieses Weihnachten gar nicht das erste Weihnachten an dem Ambrosius seinen Weihnachtsdienstlichen Einsatz hatte. Welche große Freude es ihm bereitete, seinen heiligen Auftrag zu erfüllen und welche Freude es immer bei den Menschen auslöste, wenn er sie gesegnet hatte.

 

Nicht ein einziges Mal hatte sich der kleine Engel Ambrosius verflogen. Auf Anhieb fand er die Häuser und auf Anhieb kam er unbemerkt in die Häuser hinein. Einige Male gab es einen Kamin durch den Ambrosius huschen konnte, einige Male gab es eine offene Tür oder ein offenes Fenster. Es sah fast so aus, als hätten die Menschen auf seinen Besuch  gewartet. Ambrosius war ein sehr glücklicher, kleiner Weihnachtsengel.

 

Als Ambrosius in Todenbüttel seinen Auftrag erledigt hatte und gerade auf dem Weg nach Nienborstel war, sah er während seines Fluges etwas im Schnee glitzern, direkt neben der Ladentür des  kleinen, Todenbütteler Kaufmannsladen.

 

Irgendwie weckte dieses glitzernde Ding Ambrosius Neugierde und er setzte eine kleine Zwischenlandung an um es sich genauer anzuschauen.

 

Als er dieses Ding in seinen Händchen hielt, war er sehr erstaunt. So was hatte der kleine Engel noch nie gesehen. Er wusste nicht, was es sein sollte, aber irgendwie wirkte dieses Ding ziemlich wichtig. Ambrosius besah es von allen Seiten, er roch an dem Ding und er schüttelte es. Nichts passierte .Dann hielt er es an sein Öhrchen und - oh was war das? Das Ding piepste und pfiff ganz merkwürdig. Ein bisschen hörte sich das seltsame Geräusch fast an wie das intergalaktische Rauschen des Weltalls, das die Engel im Himmel immer als leises Hintergrundgeräusch hören können.

 

Schlau und pfiffig wie Ambrosius nun mal war, folgerte er, dass dieses merkwürdige Ding irgendetwas mit den Ohren oder dem Hören an für sich zu tun haben könnte. Er beschloss, das Ding einzustecken in seinen kleinen Brustbeutel, indem sich auch die Liste befand mit den Anschriften der Familien, die Ambrosius heute Nacht besuchen sollte.

 

Sicherlich wird Petrus wissen, was es mit dem Ding auf sich hat, schließlich weiß der, als himmlischer Personalchef, eh so gut wie alles .Auch das, was er eigentlich gar nicht wissen sollte. Aber so ist das mit den Vorgsetzten.

 

Ambrosius flog zu seinem  nächsten Einsatzort Nienborstel und es klappte alles weiterhin so wunderbar hervorragend.

 

Als er über dem Haus seiner letzten Besuchsfamilie zur Landung ansetzen wollte, konnte er schon von weitem hören, dass in diesem Haus ein Kind weinte.

 

Nein, wie konnte das denn nur möglich sein? Ausgerechnet heute, am Heiligen Abend, an dem doch alle Kinder sich freuen sollen. Jede Familie, die von dem kleinen Engel Ambrosius heute Abend besucht wurde, war guter Dinge. Auch die Familien, bei denen in letzter Zeit auch schon mal etwas Trauriges passiert war.

 

 

 

Und nun das- in seinem Gebiet ein trauriges Kind. Oh nein, oh nein

 

 

Das Kind war ein zehnjähriger Junge namens Bob. Bob saß ganz alleine in seinem Kinderzimmer und war zutiefst traurig und unglücklich.

 

Ein halbes Jahr lang hatte er sein ganzes Taschengeld gespart um den

Eltern und seinen drei Schwestern zu Weihnachten eine süße Überraschung schenken zu können. Um seine Einkäufe heimlich tätigen zu können, fuhr Bob gegen Mittag unbemerkt von seinen, mit dem Weihnachtsbaumschmücken beschäftigten Eltern und Schwestern, heimlich auf seinem Fahrrad, dass er im Mai zu Geburtstag bekommen hatte, nach Todenbüttel zum Kaufmann .Das war nicht so ganz einfach ,weil es ziemlich toll schneite. Es war sehr glatt auf der Straße und die tanzenden, wirbelnden Schneeflocken nahmen Bob oft die Sicht. Fünf Kilometer auf dem Fahrrad können so schon tüchtig anstrengend sein.

 

Bob musste sich sehr darauf konzentrieren, den verschneiten Fahrradweg nicht zu verfehlen.

 

Als er endlich, kurz vor Ladenschluss vor dem Kaufmannsladen ankam, wollte er sich den Schnee von der roten Mütze schütteln, und dabei muss es dann passiert sein. Er hatte es wohl nicht gemerkt, weil seine Ohren durch den Fahrtwind trotz seiner Mütze kalt gefroren waren.

 

Viel Reden musste er beim Kaufmann auch nicht, weil er eine Schachtel Pralinen und drei Überraschungseier selber aus dem Süßigkeitenregal nehmen konnte ,sie nur an der Kasse vorzeigen brauchte, bezahlen konnte und postwendend wieder auf seinem Fahrrad saß um schnellstens nach Hause zu fahren.

 

Seine selbstgekauften Geschenke hatte er voller Stolz in seine Satteltaschen gesteckt. Das würde sicherlich eine tolle Überraschung am Heiligabend werden für Bobs Familie.

 

Zu Hause angekommen war Bob sichtlich froh, dass niemand bemerkt hatte, dass er ohne zu fragen einfach abgehauen war. Dass er plötzlich schlechter hören konnte, bemerkte er sehr wohl.

 

Es war ihm auch auf der Stelle klar, dass er bei der unerlaubten, heimlichen Geschenkeeinkaufsfahrt sein Hörgerät verloren haben musste. Bloß wo um Himmels Willen sollte er so schnell danach suchen? Nicht nur, dass der Weg eigentlich recht weit war immerhin zehn Kilometer hin und zurück, es hatte doch die ganze Zeit über weiter geschneit. Mit Sicherheit war es völlig unmöglich, das Hörgerät wieder zu finden. Egal, wo Bob es verloren haben mag, mit Sicherheit war es zugeschneit

 

 

 

Bob trug seit drei Jahren ein Hörgerät. Es war sehr wichtig für ihn, denn ohne dieses Hilfsmittel konnte er nur sehr laute Gespräche verstehen. Alle Laute, die ohne Hörgerät an Bobs Ohren kamen, waren für ihn bloß ein hohles Dröhnen oder Pfeifen.

 

Als Bobs Mutter merkte, dass er sein Hörgerät nicht in seinem Ohr stecken hatte, schimpfte sie schon gehörig mit ihm .Als Bob dann kleinlaut eingestehen musste, dass er nicht wusste, wo er sein Hörgerät suchen sollte, kam ein sehr großes Donnerwetter. Bobs Mutter musste nämlich immer sehr weit mit Bob fahren, um den Ohrenarzt aufsuchen zu können und auch der Hörgeräteakustiker war in der weit entfernt gelegenen Stadt. Natürlich ärgerte sich Bobs Mutter darüber, dass ihr Sohn so achtlos mit seinem Hörgerät umging, bei all dem Aufwand, den es kostete, so ein Ding zu bekommen.

 

 

Das Dumme dabei ist ja auch noch, erst vor zwei Monaten war Bobs Hörgerät nachts von dem Regal über Bobs Bett heruntergefallen und Bob hatte es dann aus Versehen am nächsten Morgen nach dem Aufstehen zertreten. Schon damals war Bobs Mutter alles andere als begeistert.

 

 

Sofort war dem kleinen Engel Ambrosius klar, was er da wohl gefunden haben musste, vor dem Kaufmannsladen im Schnee.

 

Vor allen Dingen tat ihm Bob so entsetzlich leid. Er wollte doch nur etwas Nettes machen und nun wurde er auch noch bestraft dafür.

Erzählen konnte Bob seiner Mutter ja auch nichts davon sonst wäre ja die Überraschung keine Überraschung mehr gewesen und Ärger bekäme er sowieso weil er auf keinen Fall überhaupt irgendwo hingehen oder fahren darf ohne bescheid zu sagen.

 

Vorsichtig flog Ambrosius hinter Bob und noch vorsichtiger legte der kleine Engel das Hörgerät auf Bobs Schoß.

 

 

Als Bob sein Hörgerät auf seinem Schoß erblickte, war er total überrascht und fassungslos.

 

Ihm war klar, dass hier in diesem Moment etwas eigentlich Unmögliches geschehen war. Hocherfreut steckte Bob das Hörgerät ins Ohr und lief in die Stube um es seiner Familie zu zeigen. Glücklicherweise fragte niemand weiter nach. Es waren sicher  alle froh, dass sich diese Sache geklärt hatte.

 

Ganz besonders viel Weihnachtsfreude verbreitete der kleine Engel Ambrosius hier bei dieser Familie und dabei ging es ihm selber sehr,

sehr gut. Das war doch eine absolute Spitzenleistung für seinen allersersten Einsatz.

 

Morgen, bei der Teambesprechung hatte mit Sicherheit kein anderer Weihnachtsengel so etwas Tolles zu berichten.

 

Der kleine Engel hatte alle seine himmlischen Aufträge auf der Erde nun erfüllt und startete beschwingt und froh, um wieder gen Himmel zu fliegen.

 

Das Himmelstor war weit geöffnet. So nach und nach trafen alle Engel wieder ein. Sie waren erschöpft und müde. Ein jeder Engel flog zu seiner Wolke und kuschelte sich zufrieden in seine Wolkendecke ein um sofort einzuschlafen.

 

 

 

Petrus sprach noch ein großes Lob aus für die guten Leistungen in dieser Nacht, dann wünschte er allen Weihnachtsengeln noch einen gesegneten Schlaf, und begab sich, nachdem er das Himmelstor wieder verschlossen hatte, auf sein Wolkenbett zur gesegneten Ruhe.