Aus der Vorweihnachtszeit
Brigitte Betzel-Haarnagel, 1955
Ich war gerade 2 ½ Jahre alt zu dieser Weihnachtszeit. Wir wohnten in Frankfurt, in recht ärmlichen Verhältnissen der Nachkriegszeit, von der sich lange noch nicht alle erholt hatten.
Meine kindlichen Weihnachtswünsche konnten selten erfüllt werden, da mein Vater nur gerade soviel Geld verdiente, dass wir alle satt wurden und die Miete gezahlt werden konnte für die muffige, aber gemütliche Dachwohnung , die wir damals bewohnten.
Es war nicht zu verstehen und zu akzeptieren für mich, dass alle Leckereien und wunderschönen Spielsachen, die so bunt auffordernd und repräsentativ in den Auslagen und Schaufenstern der großen und kleinen Geschäfte, nicht auch für mich gedacht waren. Zum Greifen nah und herrlich duftend, aber nur zum ansehen für mich.
Fasziniert war ich von den glitzernden, weihnachtlichen Dekorationen in der Frankfurter Innenstadt und vor allem, von den Weihnachtsmännern, die so zahlreich herum liefen im Gedränge, obwohl sie mir doch etwas Angst einjagten. Das Turmblasen von der Paulskirche, wenn es dunkel war, machte ein warmes Gefühl in meinen Bäuchlein. So richtig verstehen konnte ich Weihnachten allerdings noch nicht in diesem zarten Alter.
Eines Nachmittags gingen meine Eltern mit mir in ein weihnachtsgeschäftiges Kaufhaus. Gleich am Eingang war ein Verkaufstand, auf dem sich Berge von wunderschönen, gelben Teddybären befanden.
Sie rochen so gut nach Leim, Farbe und Holzwolle, und allesamt lächelten sie, von dem Verkauftresen, auf mich kleines Mädchen herab.
So einen herzallerliebsten Kuschelteddybär, mit den lieben, dunklen Augen, hätte ich verständlicherweise nur all zu gerne in meinen kleinen Ärmchen gehalten und nie mehr wieder los gelassen.
Die Weihnachtsmusik, die aus den Lautsprechern durch das ganze Kaufhaus tönte, berauschte mich und ich träumte mit offenen Augen den Kindertraum, dass eines der Bärchen mit mir nach Hause kommen wollte.
Wie ferngesteuert griff meine kleine Hand, trotz eingehender Verbote seitens meiner Eltern, ja nie und nimmer auch nur irgendetwas anzurühren was mir nicht gehört, auf den Tresen und streichelte ein kleines Beinchen eines, der reizenden Teddybärchen.
Batsch machte es schmerzhaft auf meine ungezogene Hand. Mein Vater hatte es gesehen, mich ertappt, er sah immer alles, dummerweise, und auf der Stelle schimpfte er mich ungehorsames, böses Kind tüchtig und laut aus.
Natürlich schimpfte meine Mutter auch sofort mit, da waren die Beiden sich ja immer einig, uns sie ließ mich auch lautstark wissen, das wir uns so was nicht leisten können, das sei nur für die reichen Leute.
Arm und Reich, was wusste ich denn mit 2 ½ Jahren überhaupt, was das bedeuten sollte?
Ich wollte einen dieser Teddybären zum schmusen und lieb haben, warum sonst waren denn diese ganzen vielen Bärchen jetzt hier?
Meine Eltern zogen mich durch das ganze Kaufhaus hinter sich her. Ich schluchzte nur noch traurig vor mich hin und nahm ansonsten nichts mehr wahr.
Kein Teddy in meinen Armen, eins auf die Finger gekriegt und zu allem Überfluss auch noch vor all den vielen Leuten laut ausgeschimpft worden, das war einfach zu viel für meine zarte Kinderseele.
Irgendwann standen wir plötzlich wieder vor dem Verkauftresen mit all den wunderherrlichen Teddybären.
Ganz, ganz ehrlich, ich weiß nicht wie es passierte, aber auf einmal hielt ich mit meinem linken Arm, ganz fest umklammert, einen dieser süßen Teddybären. Meine Mutter zog mich, an meiner rechten Hand fest haltend, hinter sich her.
Wie war ich glücklich, endlich, endlich war ein gelber Teddy ganz nah bei mir und wollte mit mir nach Hause kommen.
Wir waren schon ein ganzes Stück gelaufen und vom Kaufhaus entfernt, als meine Mutter plötzlich zu mir runter sah und natürlich sofort diesen Teddy erblickte.
Sofort schrie sie los, ich hätte ja gestohlen und was ich für ein bitterböses Mädchen heute sei und wenn die Polizei das gesehen hätte, dann käme ich auch noch ins Gefängnis.
Was ein Gefängnis war, wusste ich zwar damals nicht, aber wenn ich nur meinen geliebten Teddy dorthin hätte mit nehmen können, dann wäre mir auch das recht gewesen. Von der Polizei, da wusste ich nur, wie die Uniform aussah und alles war mir so entsetzlich egal.
Mein Vater legte mich umgehend, noch auf der Straße übers Knie und versohlte mir meinen Popo. Mutter steckte meinen neuen Teddyfreund wütend in ihre Einkaufstasche und mit mir heulenden Bündchen Elend im Schlepptau, ging es wieder zurück ins Kaufhaus.
Mit umständlichen Erklärungen und Entschuldigungen, dass sie es ja wirklich nicht gesehen hätten, als ich geklaut habe, übergab meine Mutter einer Verkäuferin meinen Teddy.
Ich heulte und schluchzte nur noch- wusste nichts, verstand nichts mehr und hätte mich am allerliebsten in die dunkelste Ecke des Kaufhauses verzogen.
Wahrscheinlich tat ich der Teddyverkäuferin ein bisschen leid, sie sah meine Eltern ganz merkwürdig an und sagte laut und deutlich zu mir- dass, wenn ich ihr kleines Mädchen wäre, sie mir diesen Teddy schenken würde. Sie schimpfte nicht mit mir- aber der Teddy war ein für alle mal weg.
Noch lange haben mir meine Eltern diese Schandtat vorgehalten, sie waren wohl richtig entsetzt über mich.
Auch wenn ich alles nicht wirklich verstanden habe- ich habe es nie wieder getan.
Aber jedes Jahr, wenn der Weihnachtsrummel in den Geschäften wieder so richtig losgeht, muss ich daran denken, an einen, kleinen , gelben, niedlichen Teddy.
Solche herrlichen Teddys habe ich bis heute nicht wieder gesehen, aber wenn, auch wenn ich inzwischen steinalt bin, sofort würde ich mir diesen Teddybär kaufen und er würde auf meinem Kopfkissen sitzen- gelb, flauschig, nach Leim , Farbe und Holzwolle duftend, mit braunen Glasaugen würde er mich ganz lieb anschauen und ein aufgestickter Mund würde mich ganz entzückend anlächeln.
Vielleicht würde ich sogar meine Kinder ab und zu mit dem Bärchen spielen lassen, aber in erster Linie wäre es mein Traumteddy.