Die Weihnachtskatze
Brigitte Betzel-Haarnagel, 1991
Da saß sie nun, zitternd und frierend, ihr kleines Katzenbäuchlein knurrte vor Hunger so laut, dass man meinen konnte, der Motor eines kleinen Autos sei gerade angesprungen.
Wie ein kleines Häufchen Elend saß sie da. Vor einer Tür, die sie nicht kannte, in einer Gegend, die ihr unbekannt war und unter einer flackernden Straßenlaterne, deren Licht und Geruch ihr ebenso fremd waren.
Völlig alleine und verzweifelt, mit den allertraurigsten Katzenaugen der Welt musste sich das kleine, bibbernde , graugetigerte Katzenmädchen mit dem weißen, zarten Bäuchlein eingestehen, dass es sich hoffnungslos verlaufen hatte.
Dabei hatte dieser Wintertag, der Heiligabend, so wunderherrlich angefangen.
Die Sonne schien schon gleich früh am Morgen so strahlend schön und wunderbar, als wolle sie ganz alleine die ganze weite Welt für das diesjährige Weihnachtsfest ausschmücken mit all ihrer warmen Zauberkraft.
Sofort nach dem Aufstehen an diesem wunderherrlichen Morgen, begann die kleine , graugetigerte Katze mit ihren ebenfalls graugetigerten Katzenschwestern zusammen auf dem Hinterhof des kleinen, weißen Mietshauses zu spielen, indem ihre Familie lebte. Alle Kätzchen liebten den Keller des alten Hauses in dem es immer so herrlich wohlig, warm ist und in dem die ganze Katzenfamilie in einer steinalten Holztruhe, die unter der Kellertreppe stand, und in der diese liebreizenden Katzenkinder allesamt zur Welt gekommen waren, zur Zeit wohnte.
Alle Hausbewohner des kleinen Miethauses waren lieb und fürsorglich zu den Kellerkatzen. Sie fütterten die Tiere jeden Tag und Frau Meier sorgte regelmäßig und zuverlässig für eine frische Katzentoilette. So bedankten sich die Hausbewohner bei den reizenden Tierchen dafür, dass sie Mäuse und Ratten aus diesem Keller fern hielten.
Welch ein großes Geschenk, dass die Kätzchen hier leben durften und welch ein noch größeres Glück, dass der Heizungsraum so viel wunderbare Wärme ausstrahlte, die den ganzen Keller erwärmte, auch mitten im kalten Winter.
Jedenfalls bis zu diesem Augenblick war die Welt – zumindest das, was das kleine Kätzchen bislang von ihr kennen gelernt hatte, für das kleine, graugetigerte Katzenmädchen noch in allerbester Ordnung.
Der Wind begann an diesem herrlichen Heiligabendwintermorgen stärker, als an allen anderen Tagen des Dezembers zu wehen. Er holte so die letzten, aber auch wirklich die allerletzten, vertrockneten Blätter von den knorrigen Ästen und Zweigen des mächtigen, alten Apfelbaumes aus Nachbars Garten herunter.
Alle Katzenkinder begannen voller morgendlicher Katzenenergie und voller Übermut, mit den bunten, so lustig im Wind tanzenden Apfelbaumblättern zu spielen und fröhlich hinter ihnen her zu springen um sie zu jagen.
Immer weiter und weiter weg von zu Hause sprang unmerklich die kleine graugetigerte Katze. Von irgendwoher wehte der quirlige Wind immer noch mehr und mehr bunte, vom Herbst übrig gebliebene Blätter, von irgendwelchen Bäumen herunter. So vergaß das Kätzchen gänzlich Zeit und Raum, während dieses wunderbaren Spieles.
Ganz langsam, anfangs fast kaum wahrnehmbar, begann es leise und sanft zu schneien. Für die kleine, graugetigerte Katze war dieses der aller erste Winter, den sie erleben durfte und somit war es auch ihr aller erster Schnee den sie zu sehen und zu spüren bekam. Und sie war total begeistert. Blätter, Schneeflocken - und alles flog so lustig umher und alles, alles wollte die kleine, süße Miezekatze fangen.
Nun fielen auf einmal große, wunderschön gemusterte, weiche Schneeflocken leise und sanft auf die Weihnachtswinterwelt hernieder. Nach und nach hüllten die Schneeflocken alles in einen weißen, sanften Mantel ein, der so wunder, wunderschön aussah.
Natürlich musste die keine Katze mit den herrlich glitzernden, lustig im Wind herum wirbelnden Schneeflocken spielen. Munter sprang sie diesem lustigen Spielzeug hinterher. Dass sie dabei immer noch weiter weg von ihrem schönen zu Hause und ihrer Katzenfamilie kam, bemerkte sie nicht.
Das graugetigerte Fellchen der kleinen Katze wurde langsam , durch den fallenden Schnee, feucht und kalt, da sie Schneeflocken immer sofort zu schmelzen begannen, wenn sie auf den warmen Katzenkörper fielen.
Da die Luft inzwischen durch Frost und Wind sehr kalt und beißend geworden war, begann das kleine Kätzchen jämmerlich zu frieren und entsetzlich müde zu werden.
Wie sehr sehnte es sich jetzt nach seinem zu Hause, dem herrlich warmen Keller, der alten Holztruhe, seiner Katzenmama und den Katzenschwestern. Hätte sich das kleine Kätzchen jetzt an sie kuscheln können, wie herrlich warm wäre es ihm dann bald wieder geworden. So sehr es auch nach dachte und um sich schaute, an den Weg nach Hause konnte es sich nicht mehr erinnern.
Dunkelheit überzog nun die weiße Winterwelt mit einer grauen Nebeldecke und das kleine, graugetigerte Kätzchen verlor allen Mut und alle Kraft. Es konnte nicht einmal mehr miauen. Nur noch ganz ruhig da sitzen konnte es - vor der fremden Tür, in einer völlig unbekannten Gegend, unter einer fremden Laterne.
Menschen gingen eilig und achtlos, da sie ja alle an diesem Abend Weihnachten feier wollten, an dem stillen, frierenden Katzenkind gedankenlos vorüber. Niemand nahm es wahr und spürte seine Not.
Todunglücklich und zitternd saß es so wohl an die zwei Stunden, ansonsten völlig bewegungslos, immer an der gleichen Stelle. Der Wind pfiff nun eiskalt um die Häuserecken, immer noch mehr Schnee fiel
leise auf die Erde herab und so langsam war von dem kleinen, graugetigerten Kätzchen nichts mehr zu sehen, außer einem ganz leichten Atemhauch, der fast unmerklich in der Dunkelheit über dem Schnee
unter der Laterne ,aufstieg.
Die Tür, vor der die kleine Katze saß, war eine mit grauer Farbe gestrichene Metalltür die zu einem, alt eingesessenen Second-Hand-Kleiderladen im Dorf gehörte, welcher von einer älteren, sehr liebenswürdigen Frau geführt wurde.
Alle drei Kinder dieser netten Frau sind schon erwachsen, haben ihren eigenen Haushalt. Die Familie der netten Frau war erst für den nächsten Tag, den ersten Weihnachtsfeiertag verabredet zum Weihnachtsessen bei ihrer Mutter. Da die liebe Frau sowieso heute alleine war und eh noch einiges im Laden zu tun hatte, arbeitete sie noch um diese Zeit, am Heiligabend.
Bevor sie nun endlich Feierabend machen und nach Hause fahren konnte, musste sie zuerst die Scheiben ihres alten, dunkelblauen Kombis, der in der nähe der Straßenlaterne parkte von all dem, inzwischen gefallenen Schnee, mit einem Handfeger befreien.
Sie öffnete die graue Ladentür und trat mit einem Feger in der Hand, sich streckend und tief Luft holend heraus. Wie gut diese frische Winterluft ihr doch tat nach einem langen Arbeitstag.
Der Schnee war schnell von den Autoscheiben heruntergefegt, Gott sei Dank war er noch nicht fest gefroren. Die Frau sah ihren Atem nach, der sich mit der kalten Winterluft vermischte und zu leichtem Nebel wurde.
Irgendwie schaute die gute Frau plötzlich nach unten, auf den Bürgersteig unter der Laterne. Was war denn das? Dort unten, unter der Laterne, da hatte sie doch gar nicht hingeamtet. Nach wie vor stand sie immer noch aufrecht neben ihrem Auto und ihr Atemnebel zog nach oben, dem Licht der hell erleuchteten Laterne entgegen.
Welch ein großes Glück für das kleine Katzenkind, dass diese aufmerksame Frau so auf den winzigen, leisen Atemhauch des Katzenkindes aufmerksam wurde.
Vorsichtig kniete sie sich zu dem kleinen, unglücklichen Katzenkind in den Schnee hinab, strich behutsam den Schnee von seinem Fell und nahm das zitternde Tierchen mit lieben Worten auf ihren Arm.
Oh wie gut das dem kleinen, frierenden Wesen tat. Eine liebe Hand, ein warmer Menschenkörper, ein gleichmäßiger Herzschlag, den es hören konnte. Fast so wohl tuend, als wenn das kleine Katzenmädchen ganz dich bei seiner Katzenmama liegen würde.
Das Kätzchen fühlte sich so wohl und geborgen in diesem Moment, dass es in all seinem Elend trotzdem sofort anfangen konnte zu schnurren, so laut, dass es die liebe Frau deutlich hören konnte, wie glücklich das kleine Kätzchen eben in diesem Moment , auf ihrem Arm, war.
Die Frau nahm die kleine Katze mit in ihren Laden hinein, legte eine kleine Wolldecke vor einen der Heizkörper und gab dem Kätzchen erst einmal eine leckere, warme Milch mit Haferflocken und eingeweichtem Brot zu trinken, in ihrer Kaffeetasse, da sie keine anderes , passendes Gefäß in ihrem Laden hatte.
Gierig und hungrig schlabberte das Kätzchen die Tasse in nullkommanix leer, dann schlief es völlig erschöpft auf dieser kuscheligen Decke, die die liebe Frau für das Kätzchen vor die warme Heizung gelegt hatte, tief und fest ein.
Die nette Ladenbesitzerin hatte nicht die Zeit, sich selber für immer um das Kätzchen zu kümmern, wie es sein sollte, da sie sehr viel unterwegs ist. Deshalb telefonierte sie noch sofort ,am Heiligenabend, ziemlich lange mit vielen Menschen aus dem Dorf, um heraus zu finden, ob das süße Katzenkind denn nicht schon irgendwo schon sehnlichst vermisst wurde.
Aber niemand, den die hilfreiche Frau anrief um diese Zeit, vermisste ein graugetigertes, kleines Kätzchen, und niemand wollte Eines haben, schon gar nicht am Heiligabend.
In dieser Zeit sind die Leute fast alle ziemlich beschäftigt und wegen einer zugelaufenen Katze wollte wohl niemand seine Weihnachtspläne ändern.
Plötzlich fiel der Ladenbesitzerin eine Kundin ein, von der sie mit Sicherheit wusste, dass sie ein großes Herz für Tiere hat. Zwar gab es in diesem Haushalt schon zwei alte Kater und eine lieben Hund, aber die Ladenbesitzerin war sich fast sicher, dass diese Familie nicht nein sagen würde zu einem kleinen, verlaufenen Kätzchen und dass sie es bestimmt in ihr Herzen hinein lassen würde.
Das graugetigerte Katzenmädchen bekam von alledem nichts mit, es schlief einen tiefen Erschöpfungsschlaf nach seinem kalten Erlebnis heute, sm Heiligabend.
Es merkte nicht, dass ihm eine rosa Schleife umgebunden wurde um seinen schmalen Hals, es merkte nicht, dass es mit samt seiner Schlafdecke auf den Beifahrersitz des blauen Kombis der netten Ladenbesitzerin , dessen Scheiben noch einmal vom Schnee befreit werden mussten, gelegt wurde und es merkte auch nicht, dass es mindestens 10Minuten in einem Auto als Beifahrer mit fuhr.
Das Kätzchen wachte erst auf, als es mitsamt seiner Decke auf den Knien eines kleinen, lieben Rollstuhlfahrers lag und von acht liebevollen Händen gleichzeitig gestreichelt wurde.
Bei dieser Familie musste die nette Ladenbesitzerin nicht einmal vorher anrufen, ob sie vorbei kommen könnte. Hier waren Mensch und Katze auch so sofort willkommen, auch an einem Abend wie diesem oder vielleicht auch gerade deshalb.
Das Katzenkind erblickte ganz viele liebe Menschengesichter, sah funkelnde Kerzen eines buntgeschmückten Weihnachtsbaumes, spürte die Schlabberzunge eines ganz, ganz lieben hellbraunen Hundes auf seinem Fell und wusste - jetzt bin ich hier zu Hause, hier fühlt es sich wohl.
Die Kinder gaben ihrer neuen Lebensgefährtin den Namen Pummelchen und noch am gleichen Abend war es für alle so, als habe Pummelchen schon immer zu dieser Familie gehört.
Seitdem hat sich Pummelchen nie, nie wieder verlaufen!