Sanni

So kann Verzweiflung sich anfühlen

Schon wieder Weihnachten,schon wieder diese unehrliche Gefühlsduselei,schon wieder meine Mutter die mit ihren  Nerven am Ende ist.

So ging es Sanni schon seit Wochen durch den Kopf.Seit in allen Läden die Friedefreudelebkuchendekorationen zum Frustkauf animieren sollten.

Sanni war traurig,wütend und stocksauer zugleich.Es gab einfach kein Weihnachten, daß so toll und freudig für sie war, wie sie es von ihren Mitschülern her kannte.

Sannis Mutter hatte einfach kein Glück damit ihres und Sannis Leben so zu gestalten, dass es harmonisch , und wenigstens etwas , dem sogenannten Modehauskatalogbild angepasst war.

Zur Zeit mussten Sanni und ihre Mutter von der Sozialhilfe leben. Peinlich genug schon alleine diese Tatsache. Sannis Mutter schaffte es einfach nicht,ohne irgendwie anzuecken oder sich mit Vorgesetzten und Kollegen zu streiten, länger als ein halbes Jahr bei einer Arbeitstelle zu bleiben. Da sie keinen Beruf gelernt hatte,konnte sie immer nur HIlfsarbeiten oder Fließbandarbeiten ausführen, eben nichts wirklich besonderes.

Sannis Erzeuger hatte sich abgesetzt als Sannis Mutter mit 17 Jahren schwanger war von ihm. Seitdem schlägt sie sich alleine durch mit ihrem Kind. So etwa alle sieben Monate hat Mutter dann wieder einen neuen Lover, der mit Sanni nichts am Hut hat und sich auch noch durchfrisst, von dem eh schon kärglichen Haushaltsgeld. Jedesmal wenn dann ein Neuer aufkreuzt, hat Sannis Mutter kaum noch Augen für ihre Tochter.

Alles Scheiße,dieses verfluchte Leben,warum ausgerechnet ich, stellte Sanni sich immer wieder die Frage.

Und dann immer dieses Weihnachten und jeder Hans und Franz wünscht unehrlicherweise auch noch zu allem Überfluß Frohe Weihnachten und Frohes Fest und all son Scheiß.

Wie Sanni ihre Mutter einschätzte,würde sie ihr zu Weihnachten wieder ein paar Klamotten schenken,die sie aus der Kleiderkammer geholt hatte und die übliche Eintrittskarte für den Weihnachtsfilm im Kino.

Am Heiligabend gibt es dann wie immer Kakao und Kartoffelsalat und Würstchen von Aldi und am ersten Feiertag Hähnchen von der Imbissbude.

Den künstlichen Adventskranz und Weihnachtsbaum, die immer wieder gleich aussehend und angestaubt vom Keller nach oben, in die Wohnung  geholt wurden, mochte Sanni schon gar nicht mehr ansehen.

Natürlich,wie immer schenkte Sanni ihre Mutter,die Dinge,die das Jahr über so in der Schule gesbastelt wurden und die nach Silvester schon wieder im Müll gelandet waren.

Noch vier Jahre,dann war Sanni endlich achtzehn,dann würde sie sich aber verpissen,endlich ein eigenes Leben anfangen,raus aus diesem  Sumpf.

Raus aus dieser ewig dunklen, beschissenen Altbauhinterhauswohnung  in der es immer irgendwie nach Modder roch.Sah man aus den viel zu kleinen Fenstern,konnte man nur die, mit  Gardinen verhängten Fenster des Vorderhauses sehen,dessen Bewohner sich allesamt benahmen,als seien sie etwas Besseres wie die Hinterhausbewohner.

Ganz besonders in der Weihnachtszeit ging es Sanni richtig mies.Im Sommer,da war wenigstens überall was los.Sanni konnte wenigstens open Air Veranstaltungen besuchen,die keinen Eintritt kosteten,oder sie konnte einfach nur spazieren gehen um Menschen anzuschauen die lächelten und gut drauf waren.

Sanni schämte sich für ihr ärmliches zu Hause und daß sie keine intakte Familie hatte.Nie war bei ihr etwas so,wie bei den anderen Kids, die sie kannte.

Und an Silvester,da musste sie sicherlich  alleine zu Hause rum hängen,weil ihre Mutter mal wieder unterwegs war. Das wäre dann auch nicht das erste Mal.

Kein Mensch würde wirklich merken,wenn sie nicht mehr da wäre.Ihrer Mutter ginge es mit Sicherheit besser ohne ein Kind,für das sie verantwortlich ist und ansonsten gibt es Niemanden. Nicht mal ein kleines Haustier gab es.Mutter hatte es nie erlaubt.Alle Viecher seien Stinktiere,die dann auch noch Geld kosten würden und unnütze Arbeiten machen.

Sanni schaffte es auch nie,sich jemandem anzuvertrauen.Manchmal war sie kurz davor,aber dann bekam sie doch kein Wort über ihre Lippen.

Nicht mehr leben müssen,ewigen Frieden finden,das war es,was Sanni im Moment wollte.Sie sehnte sich einfach weg von allem hier.Nicht mehr am Leben sein , würde auch bedeuten, nichts mehr aushalten zu müssen.

Es war später Nachmittag.Etwas Schnee fiel vom Himmel und die Dämmerung setzte ein.

Sanni zog ihre besten Sachen an,die sie hatte,band den warmen,rosa Schal um,den sie sich selber im Handarbeitsunterricht gestrickt hatte und verließ das Haus.Ein letztes Mal die arroganten Voderhausgardinen,ein letztes Mal den Innenhof,indem sie niemals spielen durfte ,weil es verboten war wegen der Lärmbelästigung.Der olle Meckerfritze von Hausmeister achtete da schon höllisch drauf.

Langsam,jedes Haus auf ihrem Weg anschauend ging Sanni durch den Stadtpark zur Brücke hin,die über den kleinen,doch recht tiefen Fluß führte.

Sanni lehnte sich über das Brückengeländer und sah den Schneeflocken nach,die im Licht einer Laterne glitzerten.Alles andere nahm Sanni nicht mehr wahr.Gerade,als sie versuchte ein Bein über das Geländer  zu bewegen,kam   zufällig eine ältere Sozialarbeiterin des Jugendamtes der Stadt vorbei.Die Frau hatte gerade erst  Feierabend und versuchte,auf ihrem Heimweg in der frischen,klaren Luft,etwas von dem Elend abzuschütteln,das sie Tag für Tag aufs Neue wieder miterleben musste.

Ihr sensibles Wesen ließ sie sofort spüren,daß hier irgendwas nicht  stimmte.Sie sah sich um und bemerkte Sanni sofort.

Fast automatisch rannte die Frau auf Sanni zu,griff mit beiden Händen nach Sannis rechten Arm und zog so mit aller Kraft,die ein Mensch in einer Notsituation nur haben kann,eine schluchzende und weinende Sanni von dem Brückengeländer herunter.

Erfahren und für solche Situationen ausgebildet ,bekam sie Sanni zum Reden.Unmerklich für Sanni gingen Beide zum dem Haus,indem die Sozialarbeiterin wohnte.Sie war alleinstehend geblieben.In ihrem Herzen war nie so recht Platz für einen Ehemann und eine eigene Familie.Brauchte sie doch seit 25 Jahren all ihre Kraft und Zeit für die Kinder dieser Stadt.

Sanni saß staunend mit   einer fremden,warmherzigen Frau auf einem warmen,weichen Sofa in einer hellen,freundlichen Wohnung und wusste nicht,wie ihr geschah.

Jemand hörte ihr zu,nahm sie in den Arm und tröstete sie und vor allem-, Sanni wurde ernst genommen und verstanden.

Am nächsten Morgen unterschrieb Sannis Mutter ohne groß nachzufragen,daß Sanni von nun an in einer Pflegefamilie leben darf. Kein Bitten, doch zu bleiben. Kein Satz, der sagte- Kind ich liebe Dich.

Sanni konnte schon am gleichen Tag einziehen in einem neuen zu Hause.Sie mochte die Pflegeeltern sofort und ihre kleinen ,neuen Geschwister.Eines,der Geschwisterkinder fragte Sanni,ob sie auch vom Jugendamt hierher gebracht wurde, wie die Anderen .Sanni antwortete glücklich,dass sie von einem Engel zu ihnen geführt wurde.

Das wurde Sannis erstes,richtiges und wunderbares Weihnachten und sie war so glücklich.

Ihre Mutter wollte sie erst im neuen Jahr wieder besuchen,nur für eine Stunde. Aber was genaues hatte sie nicht gesagt.

Hier war Sanni nun zu Hause und hier durfte Sanni endlich richtig leben. Auf einmal durfte sie ein ganz normaler Teenager sein. Und leben- sie wollte endlich leben und so vieles erfahren und kennen lernen und die Liebe und Geborgenheit in einer Familie spüren.