Vorfreude mit Hindernissen
Brigitte Betzel-Haarnagel, Weihnachten 1957
Ich sehe es ja ein, einfach hatten es meine Eltern nicht unbedingt immer mit mir. Trotzdem fand ich die Androhungen irgendwelcher Konsequenzen für mein kindliches, übermütiges Tun oft ein bisserl arg.
Vor allem, ich war damals ja gerade erst vier Jahre alt.
Wie alle Kinder freute ich mich mit einem Kribbeln im Bauch auf Weihnachten. Vor allem auf die Geschenke, die es ja ansonsten nicht so reichlich gab zu der damaligen Zeit. Toll waren auch die mit Aufschnitt belegten Brötchen und der süße Kakao. So war jedes Jahr an Heiligabend unser Abendbrot ausgerichtet und natürlich war diese heutige Selbstverständlichkeit, etwas ganz wertvolles, Besonderes.
Wie alle Kinder hatte ich viele, viele Wünsche zu Weihnachten und die Wünsche nahmen jeden Tag noch zu, obwohl ich schon damals wusste, dass nur Etwas von all dem Gewünschten unter dem Weihnachtsbaum liegen würde.
Zum Schreiben war ich noch zu klein, aber wir hatten damals eine ganz liebe Nachbarin, die mich sehr gerne mochte und sie schrieb jeden Tag alle neuen Wünsche von mir auf ein weißes Blatt Papier, damit der Weihnachtsmann meinen ansonsten gemalten Wunschzettel richtig verstehen konnte. Sie war meine Weihnachtswunschzettelprivatsekretärin.
Meine Eltern wollten den Wunschzettel nicht für mich schreiben, weil ich mir viel zu viel wünschte und so lange unverschämte Wunschzettel würde der Weihnachtsmann erst gar nicht lesen.
Vor allem sei noch gar nicht raus, ob ich überhaupt von dem Weihnachtsmann etwas geschenkt bekäme, weil - der wisse ja immer ganz genau ob die Kinderchen alle brav und artig waren und wenn er da bei mir richtig nachgesehen hätte, dann würde Weihnachten für mich sicherlich ganz und gar ausfallen.
Zwar wusste ich, dass mir der Weihnachtsmann bislang jedes Jahr etwas Schönes gebracht hatte, aber in diesem Jahr hatte ich auch so meine Zweifel. Mir war nie bewusst, dass das was ich machte und sagte wirklich böse war, eigentlich bin ich ein recht lustiges, gutmütiges Mädchen - auch heute noch- aber meine Eltern und Großeltern schimpften und meckerten mit mir fast jedes Mal , wenn sie mich sahen und das war oft.
Irgendwann Anfang Dezember zog meine Mutter den Schlüssel von der mittleren Vitrinentür ab und steckte ihn mit einem sehr verkniffenen Gesichtsausdruck in ihre Schürzentasche.
Als ich sie neugierig fragte, warum sie denn auf einmal unser Geschirr wegsperren würde, meinte sie, sie hätte an diesem Schrankfach den Weihnachtsmann gesehen und da müsse sie nun diese Schranktür geschlossen halten und erst an Weihnachten wieder aufschließen. Und falls der Weihnachtsmann noch mal vor Heiligabend an diesen Schrank müsste, dann käme er eh erst, wenn ich schon schlafen würde und es schon dunkel wäre.
Oh was war ich nun aber doppeltneugierig ob der Weihnachtsmann etwas für mich in den Schrank gelegt hatte oder ob das nur für die Cousins war, die immer die schöneren Spielsachen bekamen.
Fragen diesbezüglich wurden nicht beantwortet von meinen Eltern und plötzlich war die alte, hässliche Vitrine in unserem Wohnzimmer ein ganz großes Geheimnis.
Das Kribbeln in meinem Bauch wurde immer schlimmer. Manchmal sah ich ganz lange einfach nur auf den Schrank und überlegte, was darin sein könnte. Einfach rein sehen ging ja nicht, meine Mutter hatte den Türschlüssel ja in ihrer Schürzentasche und diese Schürze hatte sie immer umgebunden.
Die Neugierde in mir wurde mit jedem Tag größer und die Tage bis Heiligabend mochten und mochten einfach nicht vergehen. Noch immer waren so viele Türchen an meinem Adventskalender nicht geöffnet, weil ihr Tag noch nicht gekommen war.
Um mein entsetzliches Adventsbauchwehleiden etwas zu lindern, hängte unsere nette Nachbarin jeden Tag ein kleines Lebkuchenherzchen heimlich an die Klinke unserer Wohnungstür. Sie ahnte allerdings nicht, dass ich das Öffnen und Schließen ihrer Wohnungstür ziemlich genau am Geräusch erkannte und somit erahnte, dass diese liebe Geste nur von ihr kommen konnte. Das Kribbeln in meinem Bauch wurde davon allerdings auch nicht weniger.
Eines Vormittags wollte meine Mutter zum Einkaufen gehen. Ich hatte gerade eine schmerzende Mittelohrentzündung und sollte lieber zu Hause in der warmen Stube bleiben. Das kam mir gerade recht. Auch wenn mich diese Mittelohrentzündung plagte, die vorweihnachtliche Neugier war trotzdem tief in mir drin.
Nachdem meine Mutter die Wohnungstür hinter sich zugezogen und abgeschlossen hatte, setzte ich mich wieder auf den Teppich vor die abgeschlossene Schranktür des Weihnachtsmannes. Selbstverständlich hatte meine Mutter den Schranktürschlüssel gut versteckt oder sogar mitgenommen- mißtrauig, wie sie nun mal war. Aber, die Schlüssel von den Türen rechts und links, die steckten noch in ihren Schlüssellöchern.
Für einen klitzekleinen Moment musste ich schon mit mir kämpfen ob ich denn nun einfach mal probieren sollte, aber nicht sehr lange!!!!
Und siehe da, schon der erste Schlüssel passte - wer hätte das Gedacht. Wieder überlegte ich einen Moment ob ich denn wirklich in den Weihnachtsmannschrank hinein sehen sollte, aber die kindliche Neugierde war einfach größer und besiegte mein schlechtes Gewissen mit 1:0.
Da lagen sie vor mir, die wunderbaren, unerahnten Geheimnisse des lieben Weihnachtsmannes. Ich wusste natürlich nur all zu genau, dass das, was ich gerade tat, absolut nicht in Ordnung und erlaubt war, aber hätte meine Mutter nicht demonstrativ den Türschlüssel abgezogen, nie im Leben wäre ich auf die Idee gekommen, dass dort, wo ansonsten unsere guten Teller standen, etwas ganz und gar Geheimnisvolles verborgen war.
Und was konnte ich dort alles erblicken - jede Menge Naschsachen - auch meine geliebten Gummibärchen und Schokoladenkekse, ein bunter Strickpullover mit Rollkragen, Walnüsse, eine kleine, allerliebste Negerpuppe, Bilderbücher, bunte Wollsocken und das Allerschönste - ein gestiefelter Kater mit schwarzem Umhang, grünem Hütchen und roten Stiefelchen, gerade so, wie er im Märchenbuch gezeichnet war.
Nun kannte ich dieses Weihnachtsgeheimnis und nur ich allein konnte es wissen, weil nur ich es herausgefunden hatte indem ich die anderen Schranktürschlüssel ausprobierte und gleich der Erste passte.
Jetzt wusste ich alles. Sicherlich waren das alles meine Weihnachtsgeschenke, die der Weihnachtsmann schon vorsichtshalber hier abgelegt hatte, damit er an Heiligabend ja nichts vergisst mit zu bringen.
Zwar hatte ich mir eine ganze Menge mehr gewünscht, aber das, was ich hier gerade alles gesehen hatte, war auch nicht übel. Besonders die roten Stiefelchen des gestiefelten Katers hatten es mir angetan, genau solche hatte ich mir auch für mich selber gewünscht.
Natürlich hatte ich früh genug, noch bevor meine Mutter vom Einkaufen zurückkehrte, die Schranktür wieder abgeschlossen und den Schlüssel an seinen ursprünglichen Platz zurück gesteckt, so, dass niemand etwas merken konnte von meiner Entdeckung.
Allerdings spürte meine Mutter nur all zu genau dass irgendetwas geschehen sein musste in der Zwischenzeit. Ein kommunikatives Kindchen, wie ich es nun mal war, dass keine drei Worte sprach, nachdem sie vom Einkaufen wieder zurück nach Hause kam, vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass der Einkauf mehr als zwei Stunden gedauert hatte.
Mit Sicherheit hatte meine Mutter alles Mögliche vermutet, was ihr herzallerliebstes Kindchen angestellt haben konnte in der langen Zeit des unkontrollierten, alleine zu Hause seins.
Auch wenn es mir schwer fiel, aber bis zum Abendbrot habe ich es doch tatsächlich geschafft, mein neues Geheimnis ganz für mich zu behalten. Aber als mein Vater dann die allabendliche Abendbrotfrage stellte, was es denn heute so neues gegeben hätte, da sprudelte es einfach so aus mir heraus.
Der Weihnachtsmann sei da gewesen, als die Mama beim Einkaufen war und der hätte mir doch tatsächlich erzählt, was ich alles so an Geschenken bekommen würde, wenn ich bis Heiligabend schön lieb und brav sein würde.
Das zu erzählen war ein grober Fehler von mir Plappermäulchen. Denn nun roch meine Mutter den Braten, der da in der Röhre brutzelte.
Sie begann, mich nach genaueren Details zu fragen, die ich natürlich, um glaubhaft da zu stehen, treu und brav nur all zu genau berichtete.
Meine Eltern sahen erst sich an und dann mit sehr finsterer Mine ihr nun schon etwas stiller gewordenes Töchterlein.
Nun erfuhr ich, dass Kinder die Lügen gar nichts vom Weihnachtsmann bekämen, höchstens mit der Rute den Hintern voll gehauen. Und das der Weihnachtsmann heute ganz bestimmt nicht hier war, denn der Weihnachtsmann sei den ganzen Tag am Bahnhof herum gelaufen und habe die braven Kinder gefragt, was sie sich denn von ihm wünschen würden. So konnte er gar keine Zeit gehabt haben, ausgerechnet zu mir zu kommen.
Tja, so war ich dann so was Ähnliches wie ertappt. Zwar dauerte es noch eine ganze Weile, bis meine Eltern darauf kamen, wie ich an das Weihnachtsgeheimnis gelangt sein könnte. Aber - da Eltern manchmal gar nicht so dumm sind, wie Kindern lieb ist, fanden sie es natürlich gemeinsam heraus.
Seit diesem Tag waren sämtliche Schrankschlüssel für mich verschwunden und meine Mutter ließ mich nicht mehr alleine zu Hause. Nun musste ich, egal ob gesund oder nicht, zu sämtlichen Besorgungen mit ihr kommen.
Vorgehalten wurde mir meine Missetat bis zum Heiligabend mehrmals täglich. Am Ende glaubte ich wirklich, dass ich böses Kind nun wirklich nichts zu Weihnachten bekäme. Zum einen hatte ich heimlich geschnüffelt und dann hatte ich auch noch gelogen. Das war in den Augen meiner Eltern ein sehr schlimmes , kriminelles Vergehen.
Als endlich der 24. Dezember da war, war ich das aller traurigste Kind im ganzen Haus. Unsere nette Nachbarin traf mich im Treppenhaus, als sie den Mülleimer runter zur Mülltonne bringen sollte, mit Tränen in den Augen.
Schluchzend erzählte ich ihr alles, nachdem sie mich auf meine traurigen Augen ansprach. Ein Kind, das nichts zu Weihnachten bekommen sollte, weil es böse war und gelogen hatte stand unglücklich vor ihr.
Mich zu trösten war nicht möglich. Es traf ja ansonsten immer ein, was meine Eltern mir androhten oder prophezeiten, das hatte ich schon oft genug erlebt weil meine Eltern ja immer alles raus bekamen was ich gesagt oder gemacht hatte. Die Nachbarin meinte ja auch, dass sie ihren Kindern da aber auch böse gewesen wäre, wenn sie das gemacht hätten als sie noch klein waren.
Trotzdem ging der Tag langsam zu Ende und der Abend kam endlich. Ich saß den ganzen Nachmittag in der Küche am Tisch und malte Weihnachtsgeschenke auf weißes Papier. Dann gab es Abendbrot und danach wurde ich doch tatsächlich ins Wohnzimmer geschickt, aus dem ich mich den ganzen Tag über fern halten musste.
Am Weihnachtsbaum brannten sie Kerzen, im Radio spielten sie Weihnachtslieder und Glockengeläute und für einen Moment, war es fast genauso wie das letzte Weihnachtsfest.
Merkwürdig war dann, dass doch alle Geschenke unter unserem Weihnachtsbaum standen und noch ein bisschen mehr dazu, weil meine Oma in der Zwischenzeit noch ein Paket geschickt hatte. Mein Vater teilte mir mit, dass ich das alles gar nicht verdient habe und wohl nur Glück hätte, dass der Weihnachtsmann sicher nicht alles mit bekommen hatte, was ich so angestellt habe.
Geredet haben meine Eltern an diesem Heiligabend nicht viel mit mir und so richtig von Herzen freuen konnte ich mich auch nicht mehr über die Geschenke. Zum einen hatte ich mir mit meiner entsetzlichen Neugier selber die Freude verdorben, zu anderen fühlte ich mich so langsam wie ein Schwerverbrecher. Mir gingen die ganzen Vorhaltungen meiner Eltern durch den Kopf und ich wusste nur all zu genau, was in dem nächsten Brief an meine Großeltern stehen wird.