1. Mai bis 7. Mai 2009
Freitag, 1. Mai 2009
Das Leben geht in seinen Bahnen, eine bestimmte Routine entsteht und eigentlich ist alles in Ordnung, so wie es ist--- dachte ich. Schlimme, traurige Dinge passieren leider immer, aber doch nicht bei uns.
Uns hat es im April dieses Jahres, heftig und unerwartet auf eine Ebene katapultiert, von der wir dachten, mit Ihr haben wir noch lange nichts zu tun. Unsere kleine Familie ist noch zu jung, um an Abschied und große , krankheitsbedingte Veränderungen zu denken, wir haben sicher noch viel Zeit, war meine Meinung und Überzeugung.
Es begann mit Abstand die schlimmste, traurigste und schmerzlichste Zeit meines 57jährigen Lebens, die ich keinem Menschen wünsche, je durch machen zu müssen. Wir wurden nicht gefragt, ob wir einverstanden sind mit einem Unglück.
Wenn ich mir Jürgen, meinen lieben Mann anschaue, habe ich den Eindruck, er ist in dieser Zeit gealtert vor Kummer, Ungewissheit und Sorge.
Uns Allen ging es gut in dieser Zeit, wir waren endlich wieder zufrieden mit unserem Leben, das wir erst vor ein paar Jahren , durch einen notwendigen Umzug in ein anderes, für uns fremdes Bundesland, komplett neu einrichten mussten. Das Eine oder Andere wurde geplant und überlegt. Ziele halt, für die Zukunft.
Gerade hatte ich Anfang April für meinen Sohn Martin 6 neue Jeans für den Sommer gekauft und wartete auf eine Gelegenheit, ihm Eine davon an zu probieren. So rein nach meinem Gefühl, müssten die Hosen passen. Ein und dasselbe Modell, mit rundum Gummibund, bestens geeignet für Rollstuhlfahrer. Je zwei Hosen in blau, weiß und schwarz. T-Shirts hat er noch genügend und so müsste mein Sohn gut über den langen Sommer kommen. Notwendige Gedanken einer Mutter, die ihr Kind gut versorgt wissen will.
Dienstag Mittag um 13 Uhr komme ich von der Arbeit nach Hause, der Anrufbeantworter blinkt. Melanie, die Gruppenleiterin der Wohngruppe des Behindertenheimes , indem meine Jüngsten, Steffi und Martin seit 2 ½ Jahren leben und sich wohl fühlen, teilt mir auf dem Band mit, daß Martin vom Heimarzt ins KKH eingewiesen wurde, die Blutwerte seien sehr kritisch, Leukozyten über 18000, ich solle mich melden, der Krankenwagen sei bereits bestellt.
Mein Herz blieb fast stehen vor Schreck und Angst um mein Kind. Genauso hat es sich angefühlt, als Ricky, mein ältester Sohn, vor zwei Jahren an einem Sonntag Morgen, mitten im Winter, anrief, und von einem schrecklichen Brand in der Nacht in seinem Wohnhaus in Bayern, und die rettende Flucht mit seiner Freundin durch ein Dachfenster, berichtete. Ein älterer Mieter hatte nicht aufgepasst mit einer brennenden Kerze in der Nacht. Ich muß jetzt aufpassen, daß mir die Beine nicht einfach weg sacken und mein Herz aufhört zu schlagen. Zusammenreißen hämmert es in meinem Kopf, funktionieren, stark sein, erst nachdenken, bevor Du etwas machst.
Martin fühlte sich schon seit über einer Woche sehr schlapp, hatte auch einige Male erbrochen, fiebert, kann kein grelles Licht mehr ertragen. Ein Blutbild hat ergeben, die Leukozyten sind extrem hoch, er hat wohl einen Infekt. Der Heimarzt meint, Magen-Darm, das geht gerade rum und Martin soll MCP Tropfen bekommen. Die Tropfen sind ja eigentlich nie verkehrt, schon lange kennen wir sie und sie haben uns oft geholfen, auch die Bewohner meiner Dienststelle bekommen diese Tropfen oft verordnet bei Übelkeit. Ich wundere mich über die hohe Anzahl dieser Blutkörperchen bei einem schlichten Magen Darm Infekt.
Schon alleine die Tatsache, daß Martin einfach so erbrochen hat, ohne Durchfall und Übelkeit, hätte bei mir alle Alarmglocken läuten lassen müssen. Aber irgendwie dachte ich, es kommt davon, daß der gute Junge mal wieder viel zu viel Cola getrunken hat, dessen Genuß er noch nie so gut vertragen hat. Irgendjemand besorgt es ihm wohl ständig, ohne zu wissen oder zu verstehen, daß es Martin nicht wirklich gut tut und er wird es uns sicher nicht verraten, Mama sieht es ja nicht. Viele leere Colaflaschen in Martins Zimmer haben mich leider Irre geführt.
Die Mitarbeiterinnen seiner Wohngruppe sind sich auch sicher, dass Martin keinen Magen-Darm Infekt hat. Das würde anders ausschauen und heute, während ich diese Worte schreibe, wäre ich froh, es wäre nur ein Magen Darm Infekt gewesen.
Martin war, als Anfang des Jahres fast die ganze Einrichtung flach lag mit Magen Darm, quietsch fiedel und munter, was alle Mitarbeiterinnen erstaunt hat. Er sei der Held gewesen in dieser Zeit und er war immer sehr gut davor. Sein Immunsystem war wohl in Bestform. Wir haben ihn bei jedem Besuch stets strahlend gesehen, unseren rollenden Sonnenschein.
Eine Nachbarin fährt mich netterweise sofort die 6 km rüber nach Markgröningen, Jürgen kann ich telefonisch nicht erreichen in seiner Dienststelle in Stuttgart, er braucht das Auto später, wir haben nur ein Auto. Wie sich am Abend heraus stellt, eine Störung seines Dienstapparates, die mich fast in den Wahnsinn treibt. Martin will seinen Papa an seiner Seite, besonders, wenn es ihm nicht gut geht, das weiß ich nur zu genau. Mein Junge fühlt sich sicher, beschützt, wenn Jürgen in der Nähe ist und es ihm schlecht geht.
Mir ist übel vor Aufregung, Martin ergibt sich in sein Schicksal mit traurigem Blick. Ich begleite mein, auf einer wackeligen Rollliege festgeschnalltes, Kind in einem älteren, holprigen
Krankenwagen nach Ludwigsburg ins KKH . Zurück bleiben die Heilerziehungspflegerinnen Melanie und Siggi mit Tränen in den Augen. Ich weiß,- was nicht selbstverständlich ist - sie lieben meinen Sohn,
meine beiden, behinderten Kinder und ich vertraue ihnen zu 100% und mag sie sehr. Unser Verhältnis ist gut und ehrlich. Wir kommen wieder, sage ich beim raus Gehen, ganz bestimmt, und zwinge mich,
jetzt nicht auch noch los zu weinen, in meiner Magengegend zieht sich langsam Alles stechend zusammen.
Martin wird in der Notaufnahme von einem jungen Arzt untersucht. Blut wird abgenommen, EKG gemacht, Bauchraum mit Ultraschall angesehen-der Darm ist ziemlich voll. Lunge wird geröntgt, ohne
Befund.
Ich erzähle, brav und detailiert immer wieder, Alles was war in der letzten Zeit. Das Erbrechen ohne Durchfall, die Kraftlosigkeit, daß mein Kind plötzlich nicht mehr lachen kann und sehr traurig aussieht. Das Wort Lethargie will mir irgendwie nicht über die Lippen kommen.
Mein Sohn habe wohl einen Infekt, er soll mit Antibiotika behandelt werden und abgeführt werden. Das könne auch zu Hause oder in Markgröningen, in seiner Wohngruppe gemacht werden. Wenn es nicht besser wird, sollen wir wieder kommen. Irgendwie sind leise Zweifel in mir, aber okay, der junge Mann hat Medizin studiert und sicher schon Vieles gesehen in der Notaufnahme und Martin möchte verständlicherweise nicht im KKH bleiben.
Martin hebt seine linke Hand , freundlich , etwas hoch zum Abschiedsgruß für den Doc. Die Stunden hier, in der Notaufnahme waren anstrengend für Martin , die Liege für Jemanden , dem es wirklich schlecht geht, sehr unbequem, viel zu schmal und nicht dem Wohlbefinden förderlich.
Wir fahren mit einem, ebenfalls überall klappernden Krankenwagen zurück zur Gruppe, durch den dichten Ludwigsburger Feierabendverkehr. Es dauert lange mit dem Weiterkommen heute Abend. Martin wieder liegend und mit verständnislosem Blick. Er war im KKH , obwohl er es nicht wirklich wollte, und ihm wurde nicht geholfen. Es geht ihm immer noch grottenschlecht.
Ich bin ziemlich ratlos und habe Angst. Wie entsetzlich leid mir mein Sohn tut, kann ich mit Worten nicht beschreiben.
Jürgen, inzwischen von unserer Nachbarin informiert beim nach Hause Kommen und geschockt von der Nachricht, erwartet uns schon in Markgröningen mit Nono, unserem Hund. Ich konnte zwischenzeitlich unseren Anrufbeantworter darüber informieren, wo , wir in etwa, wann, sein werden.
Wir haben uns all die Jahre einfach zu sicher gefühlt. Martin ist von Geburt schon schwer behindert durch eine vorgeburtliche Hirnleistungsstörung, der Gedanke, daß er noch weitere, schwere, gesundheitliche Probleme und Defizite bekommen könnte, kam uns einfach nicht in den Sinn. Er sollte leben und sich an seinem Leben erfreuen, eingeschränkt war er schon genug, aber glücklich, lebensfroh, freundlich und herzlich. Seine Welt, war so, wie sie war, für ihn in Ordnung.
Martin war erst einmal froh, daß er nicht im KKH bleiben musste, zurück zu seiner Wohngruppe kommen durfte und schläft sofort, in seinem Bett, völlig erschöpft, ein. Uns Allen ist nicht wohl bei der Sache. Meine Gedanken gehen in Richtung Schädel CT, MRT, Kernspinn, erweitertes Blutbild. Doch denke ich, jetzt bist Du eine übersensible Mutterglucke, die Fachleute werden schon wissen, was sie tun. Martin wurde ja in der Klinik untersucht, diese Verantwortung tragen nun Andere mit, es wird schon Alles recht sein. Das Antibiotika muss erst wirken und es wird nicht sofort passieren. Geduldig sein, einfach geduldig sein und hoffen auf Besserung.
Wir besuchen Martin von nun an regelmäßig, nicht nur 2 Mal pro Woche, wie inzwischen üblich, Jürgen sogar häufiger, da Martin ihn an seiner Seite braucht. Martins Zustand wird in einer Woche nur
minimal besser, immerhin beginnt er wieder zu essen und zu trinken. Wir werten Dies als gutes Zeichen, dennoch bitte ich, den Heimarzt zu veranlassen, eine erweiterte Blutuntersuchung machen zu
lassen, über das große Blutbild hinaus, biete an , für die Kosten auf zu kommen, falls dies keine Kassenleistung sein sollte. Mein Wunsch wird nicht erfüllt, warum auch immer. Bei einer erneuten
Blutabnahme sind die Leukos im Rahmen eines normalen Blutbildes noch viel höher als beim letzten Mal, der Arzt lehnt die Verantwortung für Martins Behandlung ab, Martin muß nun definitiv stationär
ins KKH eingewiesen werden.
Wieder empfängt mich , mit dieser Nachricht, der Anrufbeantworter, als ich von der Frühschicht nach Hause komme. Sofort rufe ich mir ein Taxi, das einfach nicht kommt. Nach 30 Minuten muß ich
unsere Nachbarn über schräg gegenüber bitten, mich zu Martin zu fahren, eine Freundin meiner Nachbarin übernimmt netterweise diese Fahrt umgehend. Dieses Mal konnte ich Jürgen wenigstens
telefonisch erreichen und bitten, ins KKH zu kommen, sobald er zu Hause angekommen ist. Wir fahren immer mit S- Bahn und Bus zur Arbeit, ist so besser für unsere älteren Nerven so.
Gleiche Notaufnahme, gleicher Arzt, gleiche Untersuchungen, gleiches Ergebnis. Martin kommt nun zur Beobachtung auf eine innere Station. Jürgen und ich sind tagsüber im Wechsel durchgehend bei ihm,
die Schwestern können ihm weder das Essen geben, noch regelmäßig nach ihm schauen. Personal wird immer an der falschen Stelle eingespart, auch wenn es noch so nett ist, und mein Sohn ist in seiner
Behinderung und seinem derartigen Zustand völlig hilflos, wenn er mit Menschen zu tun hat, die ihn nicht kennen und nicht verstehen können, und die sowieso keine Zeit für ihn haben. Dann noch diese
gräßlichen, unwürdigen Dreibettzimmer. Martin muss auf einer Erwachsenenstation untergebracht werden, da ein Aufenthalt in der Kinderklinik nicht abgerechnet werden kann. Martin ist zwar 22 Jahre
alt, aber er wird immer ein Kind bleiben, von seiner Größe und seiner optischen Erscheinung her, wirkt er wie ein 14-16 jähriger Junge und damit wäre er auf dieser Ebene besser untergebracht,
beobachtet und betreut. Darum handeln hat also keinen Sinn und ich finde es sehr bedauerlich, daß in einem Krankenhaus nicht so eine Art Sonderstation, mit höherem Personalschlüssel, existiert, die
Menschen mit einem höheren Betreuungsaufwand gut versorgen kann. Es gibt ja nicht nur meinen Sohn mit großen Defiziten auf der Welt und Patienten in den Krankenhäusern.
Das Antibiotika wird nun abgesetzt vom Stationsarzt, das Fieber lässt etwas nach, Martin isst und trinkt gut, schläft nach wie vor sehr viel, muss vermehrt Wasser lassen, ist schlapp und sehr ruhig, was sehr untypisch für den ,eigentlich, lebenslustigen, agilen , jungen Mann ist.
Die Leukos gehen etwas zurück und eigentlich sind seine Werte nun wieder zu unauffällig. Auch im KKH für eine erweiterte Blutuntersuchung sind die Werte jetzt noch nicht ausreichend. Warum schreie ich nicht endlich los jetzt?
Die Entlassung soll für Samstag Mittag vorbereitet werden. Eigentlich bin ich nur noch fassungslos. Es ist doch gar kein wirkliches Ergebnis vorhanden. Und welcher Infekt der Übeltäter sein kann, wurde nie heraus gefunden.
Betreuerin Siggi aus der Wohngruppe besucht Martin , mit Bärchenapfelsaft, und ist ebenso verwundert und traurig, daß Martin in so ungeklärtem Zustand , weiterhin krank , entlassen werden soll. Ich binde Martin das kleine Bärchen an sein Bett, es soll ihm Glück bringen. Den Apfelsaft hat er bis zum nächsten Mittag ausgetrunken, kommt ja auch von Siggi und von Herzen und schmeckt doppelt so gut.
Am Nachmittag des 1. Mai möchte Martin von mir in seinen Rollstuhl gesetzt werden und will mit mir vom 9. Stock des KKH, mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoß fahren. Jürgen war gestern mit ihm dort unten in der Cafeteria, dort möchte Martin wieder hin gehen mit mir. Unten angekommen, entdeckt Martin den kleinen, aber recht teuren Kioskladen und will lieber dort Fanta, Motorradzeitung und einen kleinen Notarztwagen gekauft haben. Abschlagen kann ich es ihm nicht und so ergebe ich mich, froh, daß mein Sohn wieder Interesse an seiner Umwelt hat und neugierig ist, etwas direkt für sich fordert.
Kurz vor dem Mittagessen hat Martin sein Frühstück plötzlich erbrochen, er hatte einen ganz kurzen Krampfanfall, den ich noch so eingeschätzt habe, wie es schon des Öfteren vor kam bei ihm. War der Magen noch zu voll, hatte Martin bei kleinen Anfällen des Öfteren erbrochen, 5 Minuten geschlafen und dann wollte er weiter essen. So war es auch heute, dachte ich. Auch diesen Vorboten habe ich nicht erkannt und somit nicht richtig gedeutet.
Da Martin dann sein Mittagessen, -Nudeln mit Soße , etwas Putenfleisch und Rapunzelsalat, eingefordert hat, und auch gut vertragen hat, sah diese Situation für mich nicht bedrohlicher aus, als die letzten Tage waren.
Als Jürgen später, am Nachmittag, wieder ins KKH zu uns kam, ist Martin im Verhältnis zu den letzten drei Wochen, relativ fit. Er genießt sein letztes Abendbrot-20gr. Margarine, 1 Scheibe gebackener Bierschinken, Hüttenkäse , 1 Brötchen und 1 Fruchtjoghurt und wir versprechen, am nächsten Tag wieder ab spätestens 7 Uhr bei ihm zu sein, um seine Taschen zu packen und mit ihm auf die Entlassung zu warten.
Martin schaut uns traurig an und hätte es lieber, daß wir bei ihm bleiben. Wie habe ich es inzwischen bereut, nicht einfach die Nacht über an seinem Bett sitzen geblieben zu sein. Da die beiden
anderen Patienten in diesem Dreibettzimmer schon nach Hause gehen durften und am Wochenende kein Neuzugang erwartet wird, hätte ich Niemanden gestört mit meiner Anwesenheit.
Wir vertrösten und knuddeln unser Kind schweren Herzens, daß er doch auch ohne uns hier gut schlafen kann, wie die Tage zuvor, geben ihm die Kopfhörer für den TV , Martin will noch ein wenig
Zeichentrickfilme schauen, da er von den Schwestern später nochmals versorgt wird, können sie ihm den TV wieder ausschalten. Beim Gehen lassen wir die Zimmertür extra weit auf, damit Martin hört, daß
er nicht alleine ist auf der Station und daß die Schwestern daran denken, öfters nach ihm zu schauen.
In dieser Nacht, kurz vor 24 Uhr reißt uns lautes Telefonklingeln aus dem Schlaf. Martin hatte einen nicht unterbrechbaren Krampfanfall bekommen, liegt auf der Intensivstation in Narkose. Wir sollen dort anrufen. Die Telefonnummer muß ich mir über die Auskunft besorgen, mit zitternder Stimme und eiskalten Händen.
Kurze und knappe Auskunft beim Anruf auf der ITS , Besuchszeit sei ab 14 Uhr, es musste eine Narkose gelegt werden und mein Kind musste intubiert werden.
Seit diesem Anruf sind wir in ständiger Alarmbereitschaft und Panik. Wir dürfen nur mittags ab 14 Uhr zu unserem Kind, während der Besuchszeiten und haben plötzlich große Bedenken und Angst, daß Martin uns schon verlassen muss. Das Leben mit diesem Sonnenschein zieht an uns vorbei, er ist doch noch so jung mit seinen 22 Lebensjahren und lebt glücklich und vital und voller Liebe, und er wird von so vielen Menschen geliebt und wirklich gebraucht, so positiv wie Martin ist, hilft er Menschen, wieder Kraft zu tanken.
Was haben wir falsch gemacht, nicht früh genug erkannt, oder nicht laut genug den Mund aufgemacht? Irgendwie habe ich schon die ganzen, letzten Wochen ein sehr flaues Gefühl in meinem Bauch, so, als ob etwas Schlimmes, oder ein Gewitter im anrollen ist.
Samstag, 2. Mai 2009
Einiges ist nun etwas klarer.
Daß ein Infekt besteht, sei nach wie vor anhand der Blutwerte erkennbar, woher er kommt, oder Was es ist, ist immer noch nicht raus. Es ist absolut Nichts eindeutig erkennbar.
Vielleicht durch den Infekt, vielleicht auch in Kombination mit dem letzten Antibiotika, vielleicht auch einfach nur so, wurde das Orfiril, das Martin seit über 18 Jahren nimmt, immer unter Kontrolle und mit jeweiliger Erhöhung, nicht mehr richtig verstoffwechselt. Die Leberwerte seien aber nach wie vor noch okay, obwohl es wohl fast nicht mehr sein kann.
So entstand Ammoniak, in hoher Konzentration , kam durch die Darmschleimhaut ins Blut, durch diese Vergiftung kam wohl die Antriebslosigkeit und das erhöhte Schlafbedürfnis, und, wie ich später nachgelesen haben, kann sie auch für die Hirnblutung verantwortlich sein. Auch das Erbrechen wurde wohl durch diese Vergiftung ausgelöst, da das Ammoniak die Bluthirnschranke durchbrechen kann. Wir haben bislang von solch einer gefährlichen Reaktion noch nie etwas gehört und alle Ärzte, mit Denen wir bislang zu tun hatten, wahrscheinlich wohl auch nicht, sonst hätte man uns doch sicher darauf hin weisen müssen, dass eine engmaschigere Kontrolle statt finden muss. Es wurde immer nur gezielt nach den Leberwerten und dem Orfirilspiegel geschaut, in den EEGs nach Veränderungen, die es nicht gab. Die EEGs und Blutwerte sahen seit Jahren immer gleich aus. Krampfspitzen waren allerdings immer zu sehen in der linken Hirnhälfte.
In einen Status kam Martin letzte Nacht, weil das Orfiril so nicht mehr gewirkt hatte, er sein Medikament, daß er über 18 Jahre eingenommen hat, nicht mehr vertragen hat , somit seinen Schutz vor Anfällen verloren hat. Da der Status so extrem heftig war, kam es, wahrscheinlich wohl auch eventuell durch die Einwirkung des Heparins, des im KKH täglich zur Profilaxe gegeben wurde, und dem hohen Ammoniakwert, zu einer Hirnblutung. Eine miese Kombination.
Diese Blutung liegt nun leider genau in dem Hirnareal der Stammganglien, das für die linke Körperhälfte zuständig ist und auch quasi eine Art Schaltstelle ist, für viele Funktionen. Ein Arzt hat uns auf seinem PC die Aufnahmen gezeigt,-- uns auf eine Einblutung und mehrere Kalkablagerungen, die schon älter sein müssen, hingewiesen-- und sie haben sich in meinem Gedächtnis eingebrannt. Martins rechte Körperhälfte ist schon seit Geburt gelähmt und wir hoffen sehr, daß, wenn das Blut wieder resorbiert ist und die Schwellung in diesem Bereich abgeklungen ist, nicht auch noch Ausfälle der linken Seite, die eh nur teilweise intakt ist, vorhanden sein werden und daß keine gravierende Amnesie entstanden ist.
Das würde Martins Lebensqualität und Freiheit noch mehr beschneiden, bislang war er so glücklich und lebensfroh, auch mit seinen angeborenen Defiziten.
Im Moment wird versucht, das Narkosemittel aus zu leiten, was aber lange dauern kann, um zu sehen, ob der Anfall aufgehört hat in Martins Köpfchen u toben . Sollte Martin immer noch krampfen, wird die Narkose weiter belassen, um ihn nicht zu gefährden.
Das Orfiril wurde raus genommen und wird nun durch Keppra ersetzt, wie Martin, in welcher Dosierung , damit klar kommt, wird sich zeigen. Bekanntlich hat Alles, was eine Wirkung hat, auch eine Nebenwirkung, und diese Medikamente Leider in großem Umfang.
Außerdem wissen wir immer noch nicht, was wirklich mit Martin Gesundheitszustand los ist.
Die Bezugsschwester, die es auf der ITS glücklicher Weise gibt, eine Pflegekraft für zwei Patienten, die heute Dienst hat, will uns sofort anrufen, wenn Martin am Aufwachen ist/ sein darf und dann sind wir in einer halben Stunde wieder bei ihm.
Im Moment können wir gar nichts für ihn tun. Wenn früher kein Anruf kommt, fahren wir morgen so nach Ludwigsburg, daß wir um 14 Uhr zur Besuchszeit wieder bei Martin sind, wenigstens, um ihn ein wenig zu streicheln und an zu sprechen, auch wenn er es vielleicht nicht wahr nehmen wird.
Wir vertrauen dem Personal auf dieser Station, daß sie sich wirklich melden. Sie wissen, wie wichtig es ist, in einer Aufwachphase, bekannte Gesichter zu sehen. Besonders auch für Menschen, mit Martins eh schon vorhandenen Behinderungen und Defiziten. Auf der ITS ist genau der Personalschlüssel, der für jede Station und Einrichtung so wünschenswert wäre, auch wenn das Personal extrem belastet ist, durch die Schwere der Fälle und die traurigen Schicksale, die dort gepflegt und versorgt werden müssen.
Wenn Martin von der ITS wieder verlegt wird, wird er wohl auf eine neurologische Station kommen und wir müssen sehen, daß wir die Zeiten irgendwie abgedeckt bekommen ihn dort zu begleiten, da dort genauso wenig Personal ist, wie auf der Inneren. Martin kann nicht allein essen und sich Menschen, die ihn nicht kennen, verständlich mit teilen, nach diesem Supergau sicherlich noch viel weniger.
Wenn es soweit ist, werden wir den sozialen Dienst im KKH aufsuchen und nach Menschen fragen, die sich ein paar Stunden in der Woche, zu Martin setzen können, wenn er verlegt wurde. Wir werden es nicht schaffen, länger als die nächste Woche, den ganzen Tag ab zu decken, und es ist sehr anstrengend, vor oder nach der Arbeit dann mehr als vier Stunden Martin zu übernehmen, wenn er selber gar nichts tun kann. Alleine soll er auf gar keinen Fall mehr sein müssen.
Es tut weh, unser Kind - narkotisiert und --verkabelt, durch einen ZVK versorgt, an so vielen Stellen ist ist Irgendwas angeschlossen, er wird beatmet und mit ist Blasenkatheder und Nasensonde ausgestattet-- totenbleich liegen zu sehen und einfach Nichts für Martin tun zu können.
Nun sitzen wir hier zu Hause und starren das Telefon an, daß endlich der erlösende Anruf aus dem KKH kommt, wir sollen kommen. Für andere Dinge ist in unseren Herzen und Gedanken nicht viel Raum im Moment, Vieles ist einfach ausgeblendet.
Wir sind wie ausgebrannt und haben Angst. Essen ist nur noch mechanisch, ohne Appetit oder wirkliches Bedürfnis nach Nahrung. Wir verspüren zwar Beide Hunger, aber kein Interesse mehr an Nahrungsaufnahme. Wir wissen, daß wir Flüssigkeit und Nährstoffe brauchen, nicht schlapp machen dürfen. Alles ist wie zugeschnürt oder ausgeschaltet.
Das ist nun im Moment der traurige Stand der Dinge, von Dem wir nicht wissen, wie er wirklich weiter geht.
Sonntag, 3. Mai 2009 - 9.15 Uhr
Der Versuch der Ärzte, gestern, die Narkose runter zu fahren, ist fehl geschlagen. Nachdem wir das KKH am Nachmittag verlassen hatten, begannen sofort neue Anfälle und die Narkose musste wieder
erhöht werden, ohne daß Martin aufwachen konnte.
Heute Morgen wurde ein neuer Versuch gestartet, die Narkose zu reduzieren. Um 14 Uhr wissen wir mehr.
Uns geht es immer schlechter damit, daß es Martin so elend geht und so langsam bekommen wir richtige Angst, daß unser Kind so jung sterben könnte.
Obwohl wir inzwischen froh sind, daß dieser traurige Zustand noch im KKH entstanden ist, eigentlich kurz vor der Entlassung, mit weiterer Ungewissheit, sind wir fassungslos.
Wäre dieser heftige Anfall bei uns zu Hause oder in der Wohngruppe gekommen, obwohl wir nicht wissen, wie lange er schon im Anfall lag bevor er von der Nachtwache so gefunden wurde, wären es nicht nur ein paar Stationen mit dem Fahrstuhl zur ITS gewesen, sondern es wäre eine lange Wartezeit und Fahrzeit, dann wieder Wartezeit in der Notaufnahme entstanden. Niemand kann sagen, wie es dann weiter gegangen wäre, ob Martin jetzt überhaupt noch bei uns wäre.
Ich bitte ständig Martins Schutzengel und die Engel der Heilung, Martin zu helfen. Zumindest, wenn er wirklich schon gehen muss, daß er nicht mehr leiden muss. Martin los zu lassen, dazu müssen wir uns Beide zwingen. Wir wollen Martin noch nicht so früh gehen sehen. Er ist für uns und für so viele andere Menschen mit seiner Liebe, Freundlichkeit und Fröhlichkeit, seiner reinen Freude, ein so kostbarer, nicht ersetzbarer , Lebensgefährte.
Sein Schieberollstuhl, mit ein paar Kleidungsstücken, Autozeitungen, die Ricky erst die Tage für ihn geschickt hatte, und die die Mutter von Rickys Freundin Maria so lieb gesammelt hat für Martin, stehen nun in einer Ecke der ITS in Wartestellung.
Manche Worte, die wir nun hören müssen klingen merkwürdig. Menschen reden halt so aus sich raus.
„ Ach, ist das der Behinderte"?
„Muß man bei solchen Menschen nicht immer damit rechnen, daß Sowas passiert"?
„Wird er sterben"?
„Wieso gehst Du jeden Tag zu ihm, er merkt es doch gar nicht"?
„Wäre es nicht besser gewesen, er wäre gleich gestorben?"
Das hat nun jemand Anderes in der Hand.
16.15
Ein erneuter Versuch, die Narkose zu verringern, schlug fehl. Martin reagiert sofort mit Anspannung und Krampfen.
Wir waren nun direkt dabei und haben das traurige Bild schweren Herzens in uns aufgenommen.
Alles Hoffen, daß, wenn der Spiegel des Keppras nun höher wird, sich das Krampfverhalten endlich, endlich, reduziert hat Nichts gebracht.
Die Station will den Tubus sobald wie möglich ziehen können, da durch den ständigen Überdruck auch die Gefahr einer Lungenentzündung besteht. Aber das geht nur, wenn die schweren Anfälle endlich nachlassen und Martin die Narkose nicht mehr benötigt und er wieder eigenständig atmen kann.
Unsere Kraft schwindet merklich, immer mehr. Wir würden Martin so gerne helfen können, aber im Moment ist es so unmöglich und aussichtlos.
Morgen beginnt wieder ein neuer Versuch, die Narkose zu rezuzieren.
Montag, 4. Mai 2009 - 18 Uhr
Heute durften wir nur kurz zu Martin gehen, an sein total verkabeltes Bett , in der Zeit, die wir heute im KKH sein konnten. Wir hatten heute für 16 Uhr für uns Vier, eigentlich, einen Zahnarzttermin
und mussten Steffi in Markgröningen vorher abholen . Es muß so Vieles einfach weiter laufen nebenbei.
Steffi (unsere 23 jährige Tochter mit Down Syndrom) verliert im Moment kein Wort dazu, daß Martin nicht mehr auf der Gruppe und in der WfB erscheint. Jeder ist darüber erstaunt. Wenn das nur kein schlechtes Zeichen ist.
Aber eigentlich kennt Steffi es inzwischen aus der Einrichtung, daß immer mal wieder Bewohner ins KKH gebracht werden und dann irgendwann wieder da sind.
Kann auch sein, daß sie länger braucht, um es in ihrem Köpfchen um zu setzen. Jedenfalls wirkt sie auf uns und die Gruppe und in der WfB wie immer im Moment.
Es kam eine neue Patientin mit in Martins Raum dazu , und bei ihr mussten noch Untersuchungen gemacht werden. Ein weiterer Mensch, Dem es sehr schlecht geht, deshalb mussten wir auch gehen.
Martin war noch immer in Narkose, allerdings hatten die Ärzte nun, auf meine Bitte hin bei meinem Morgenanruf, ein weiteres Medikament dazu gegeben, gegen die Krämpfe. Nun sind es drei Medikamente, dazu ein Schmerzmittel und nach einem weiteren CT im Laufe des morgigen Tages, wenn sichtbar sein sollte, daß sich die Blutung etwas verteilt haben sollte, wird ein erneuter Aufweckversuch gestartet.
Aber immerhin sagte uns die junge Ärztin, jetzt im Moment, sei Martin stabil.
Der Stationsarzt der Inneren Station, auf der Martin vor dem Supergau lag, lief uns im KKH über den Weg und fragte, wie es unserem Sohn nun ginge.
Ich bat ihn, sich die Berichte der ITS gut durch zu lesen, und daß wir daraus Alle nur lernen können für die Zukunft . Er versprach es und ich glaube ihm.
Die nächsten Tage will ich auch den jungen Arzt, der in Notaufnahme Dienst hatte, darum bitten, sich diese Berichte an zu schauen, in der Hoffnung, daß Martins traurige Geschichte anderen Menschen nutzen kann, schneller die richtige Hilfe zu bekommen.
So langsam verlieren wir jegliches Zeitgefühl und Stunden vergehen wie Minuten und 3 Minuten heute Vormittag, bevor ich auf der ITS anrufen durfte, kamen mir wie eine Ewigkeit vor.
Nun hoffen wir auf heilenden Einfluß , von überall her, in der Nacht, für unser Kind.
Eleni unsere Nachbarin hat für Martin eine Kerze entzündet und betet mit uns für ihn.
Dienstag, 5. Mai 2009 - 18 Uhr
Mein armes Kind, immer noch ist Nichts besser geworden.
Die Blutung liegt immer noch genauso da wie am 1. Mai, das erweiterte Medikament zeigt noch keinen Erfolg. Nun ist seine linke Hand noch dazu stark angeschwollen, heiß und rot durch den Zugang, der nun in Martins Hals verlegt wurde. Die Hand wird mit einem Medikament von außen, durch Umschläge, gekühlt.
Weiter warten und beten. Nun brennen schon ganz viele Kerzen für Martin in Deutschland, liebe Menschen beten für ihn. Ich hoffe nicht, daß er von der ganzen Narkosearie Alpträume bekommt. Ein schrecklicher Gedanke, daß er sich auch noch in diesem grausamen, aber nötigen Dämmerzustand, quälen muß.
Heute habe ich der, für den Nachmittag zuständigen, Krankenschwester gesagt, daß Martin fit sein muß am 5.7. Dann nämlich findet das Sommerfest in Markgrönigen statt und das soll er auch erleben und genießen dürfen. Dieses Fest in das High Light des Jahres in der Einrichtung und immer sehr gut besucht.
Wunschdenken, ich weiß. Kein Mensch kann uns sagen, wie es mit Martins Köpfchen weiter geht.
Morgen werde ich mit den Ärzten sprechen, und auch mitbringen, daß Martin von nun ab Arnica Globuli, gemörsert und in Wasser durch seine Nasensonde bekommt.
Da Standardmediziner von diesen Dingen normalerweise leider nichts halten, wird es sicher eine Diskussion geben, obwohl bei Frühchen wird Arnica in einigen Fällen ja auch erfolgreich eingesetzt bei Hirnblutungen. Wir werden sehen.
Zufällig trafen wir gestern noch eine nette Pflegehelferin im KKH, die hier im Ort lebt. Wir fahren öfters mit der gleichen S-Bahn zur Arbeit und gehen zusammen zur Bushaltstelle in Ludwigsburg.
Wir sprachen miteinander und ich erzählte, daß ich nicht weiß, wie wir Martins Frühstückszeiten abdecken soll, wenn er wieder auf einer normalen Station sein darf, wenn ich Frühdienst habe.
Das Mittagessen kann ruhig eine Stunde stehen bleiben, das krieg ich dann hin, es bleibt ja warm in dem Thermobehälter, dann würde ich auch bis 19 Uhr bei meinem Kind bleiben, aber der Morgen macht
mir Kummer. Die gute Seele versprach mir, an den Tagen auf ihre Frühstückspause zu verzichten und Martin das Frühstück zu geben. Ich bin sehr dankbar für dieses Hilfsangebot und werde es auch
annehmen, wenn es soweit ist, weil ich weiß, daß es sehr ernst gemeint ist.
Jürgen muß ab Montag wieder arbeiten, ich ab diesem Freitag. Es wird anstrengend, aber Martin nicht zu besuchen, bringe ich nicht übers Herz. Er hatte doch immer so große Angst vor Untersuchungen, Ärzten und Krankenhäusern und ich will mein Kind nicht solange alleine lassen in seinem Elend. Er soll spüren, daß er sich noch immer auf seine Oldies verlassen kann, daß wir da sind, wenn wir gebraucht werden.
Freundin Sandra, aus dem schönen Norden, unserer alten Heimat, berichtet uns, aus den Komazeiten ihres Ex-Mannes nach einem Autounfall. Wie er es erlebt hat, was er gespürt hat und wie sie es erlebt hat. Ich kann so Einiges mit ihren Worten anfangen und bin dankbar für ihr Mitdenken, ihren Beistand. Wie gut, daß wir uns per Email austauschen können, zu Reden fällt mir immer schwerer.
Mittwoch, 6. Mai 2009
Nun kommt auch noch Husten und das Absaugen dazu. Mein armer Junge. Martin fängt nach wie vor an zu krampfen und braucht das Narkosemittel weiterhin , wie bisher. Wie werden wohl die Entzugserscheinungen aussehen, wenn es endlich abgesetzt werden kann?
Heute Abend soll noch eine Angiographie gemacht werden. Das erste Mal haben wir von einer Ärztin erfahren, daß Martin an zwei Stellen seines Gehirnes Blutungen haben soll.
Glücklicherweise ist der Ammoniakwert etwas gesunken und Martin darf tatsächlich ab heute Arnica ein nehmen. Da wohl Nichts dagegen sprach, durfte die zuständige Krankenschwester sofort damit beginnen. Die Globuli müssen leider mit Wasser aufgelöst werden und über die Nasensonde verabreicht werden. Der Mund ist verklebt und belegt durch den Tubus, es passt nicht mal ein Globuli hinein im Moment.
Ich bete daß dieses Blümchen erfolgreich in Martins Köpfchen arbeiten kann und dem Blut hilft, sich weiter zu verteilen, dem Körper hilft, alle möglichen Selbstheilungsprozessen zu aktivieren.
Wieder heißt es, warten auf den neuen Tag und einen neuen Versuch und vor Allem, auf Heilung für mein Kind.
Habe um 19 Uhr nochmal angerufen auf der ITS, da ich unbedingt wissen wollte, was bei der Angiographie heraus kam.
Angiographie ist eine Gefäßdarstellung mit Radioaktivem Kontrastmittel. Nun musste ich aber eben erfahren, daß sie doch nicht gemacht wurde, weil Martins Blutwerte und sein Allgemeinzustand noch zu schlecht sind und diese Untersuchung, eine anstrengende Geschichte für den Körper ist. Die Belastung sei einfach zu groß. Der Doc, der heute Abend am Telefon war, meinte, es stimmt nicht mit der zweiten Blutungsstelle. Er hat sich das CT nochmal angeguckt. Vielleicht hat die Ärztin heute Mittag die Patienten und die CTs durcheinander gebracht.
Aber das Beatmungsgerät ist nun im Moment so eingestellt, daß Martin sich die Luft selber holen muß, er braucht nur noch minimal Hilfe zum atmen. Der Tubus soll erst mal noch weiter liegen bleiben, weil er auch verhindern kann, daß Mageninhalt durch die Speiseröhre in die Lunge gelangt, was sicher eine Lungenentzündung, durch Aspiration, mit sich bringen würde..
Allerdings seien die Blutwerte im Moment so kritisch, daß eine volle Dosis der Medikamente nicht gefahren werden kann.
Auf dem CT ist zu sehen, daß sich die Blutung nur sehr, sehr langsam verteilt und sich an der Stelle des Geschehens ein Ödem bildet, wohl als Polster. Der Gedanke lässt mich erschaudern.
Ich bin mir sehr sicher, solange diese Veränderung nicht ganz abgeklungen ist, kann Martin nicht aufhören zu krampfen und hoffe, daß die Narbe, die an Austrittsstelle bleiben wird, nicht weitere
Anfälle hervorruft.
Ich hoffe sehr, daß die Arnicaglobuli etwas bewirken können. Eine andere Chance gibt es derzeit wohl nicht mehr.
Donnerstag, 7. Mai 2009
Es hat sich immer noch nichts verbessert an Martins Zustand. Der Status ist nicht zu durchbrechen.
Morgen Mittag wird ein Luftröhrenschnitt gemacht und ein vorüber gehendes Tracheostoma gelegt, um Mund , Hals und Stimmbänder zu entlasten. Auch wenn es ein Eingriff ist, Martin wird sich danach besser fühlen. Es ist zu sehen, wie sehr der Tubus ihn stört, der doch hin wieder für die Atmung gebraucht wird.
Es kann jederzeit wieder entfernt werden, zukranuliert werden, und es gibt nur eine kleine Narbe.
Mein armes Kind. Sein ganzes Leben lang hatte Martin so große Angst vor Krankenhäusern, Untersuchungen, Eingriffen, nun bekommt er Alles geballt, auf einmal ab, Was für viele Leben ausreichen würde.
Jürgen meinte, die ersten drei Tage sei er an Martins Bett gegangen, um zu sehen, ob sich etwas an seinem Zustand verbessert hat. Ab dem 4. Tag schaut er nur noch, ob sich Nichts verschlechtert hat. Wir sind schon dankbar dafür im Moment.
Ricky war heute bei einem Medium in Bayern, das weitergehende Kontakte aufnehmen kann, wie wir, und hat aus Liebe um Hilfe für Martin gebeten. Nun ist Alles ausgeschöpft, was möglich ist. Wir beten weiter und Jürgens und mein Herz, alle Kraft und alle Gedanken sind bei Martin, zu jeder Zeit.
Ich habe Sehnsucht nach Martins Lachen, seinen Streichen, Scherzen, Wünschen und Träumen. Lieben werde ich dieses Kind immer, auch wenn es nie mehr aufwachen darf. Aber der andere Teil von Martin fehlt mir so sehr. Ich weiß, daß Martin mich jetzt trösten würde, in seiner liebevollen Art und Weise. Fast kann ich die Berührung seiner liebevollen, zärtlichen Hand auf meiner Hand spüren, seinen traurigen, mitfühlenden Blick sehen. Seine Augen, die sagen, Mama, bitte nicht weinen.
Heute waren wir in der Wohngruppe, haben die Getränke, die noch in Martins Zimmer standen, zu Steffis Getränken, in ihr Zimmer gestellt, es tat mir in der Seele leid das tun zu müssen. Wir besorgen und finanzieren die meisten Getränke für die Kiddis selber, da es so kostengünstiger ist und ihr Taschengeld nicht sofort auf frisst.
Martins Zimmer, aufgeräumt und leer, ohne Martins Seele dort zu spüren, tut unendlich weh.
Steffi hat immer noch nicht nach Martin gefragt. Sie freute sich uns zu sehen, nahm ihre Malbücher und ein neues T-Shirt in Empfang, aber sie fragt einfach nicht nach Martin. Richtig unheimlich wird mir dieses Verhalten so langsam. Wenn da nicht doch noch ein Rattenschwanz nach kommt. Steffi soll nicht auch noch leiden müssen unter Martins Unglück.
Ich habe Hoffnung, wenn der Tubus gezogen ist, daß es Martin vielleicht wirklich hilft, seine Krampfbereitschaft zu reduzieren. Der Schlauch im Hals und Gaumenbereich reizt doch sehr und alleine der Gedanke daran, lässt in mir ein Würgegefühl aufkommen.
Die Arnicaglobuli könnten dann auch in den Mund gelegt und so direkt über die Mundschleimhaut wirken, was sicherlich effektiver sein wird.