11. August bis 17. August 2009
Dienstag, 11. August 2009
Heute Nacht habe ich herrlich geträumt, meine Kinder waren alle noch klein und lebten bei uns zu Hause. Es war so schön diese Lebendigkeit und Leichtigkeit ihres Lebens spüren zu dürfen.
Wie kostbar diese Zeiten sind, und wie behutsam man mit ihnen umgehen sollte, merkt man wohl erst, wenn man sie nicht mehr hat, dass die Selbstverständlichkeit sich verändert hat .
20.00 Uhr
Nun bekam Martin heute Nachmittag wieder Besuch von seinem großen Bruder mit Freundin. Das sind die Highlights, die Martins Leben so wunderbar erhellen.
Ricky war vor ca. vier Wochen das letzte Mal hier und bei Martin, und Ricky meint, Martin hätte erhebliche Fortschritte gemacht in dieser Zeit.
Vielleicht fällt es uns nur nicht so auf, weil wir ihn täglich sehen. Aber es stimmt, die Nackenmuskulatur hat sich so ca. zu 30 % wieder berappelt.
Jedenfalls hat Martin heute sehr oft und anhaltend gelächelt - Rickys Freundin war wohl heute der Grund, warum er sich so sehr angestrengt hat, ich weiß, dass ihm die junge Dame auch gefällt und Martin natürlich auch ihr gefallen will.
Solche Tage, die Martin nur Freude machen, bräuchte mein Bärchen öfters. Von Herzen lachen können, sich freuen können, Liebe spüren, unbeschwerte Gedanken haben dürfen.
Mittwoch, 12. August 2009
Als ich Martin heute auf seinen gestrigen Besuch angesprochen habe, hat er mich wieder so herrlich angestrahlt. Sein Lächeln ist dann fast genauso, wie es früher immer war und mit ganau diesem Lächeln erreicht er die Herzenseiner Mitmenschen, weil er ihnen damit Kraft gibt, ihnen gut tut.
Auch einige Mitarbeiter der Wohngruppe gehen an schlimmen Tagen, die es leider auch oft gibt in der Gruppe, gerne zu Martin um irgendwie auf zu tanken.
Den Rest unserer Besuchszeit war mein Liebling dann aber wieder nur am Weinen.
Martin erwartet von uns immer noch, dass wir dafür sorgen können, dass Alles wieder so , wie früher werden kann.
Er kann nicht sehen und spüren, wie weh sein Zustand und Verlust seiner körperlichen Fähigkeiten auch uns, jeden Tag immer mehr, weh tut und wie sehr es auch uns quält, Martin nicht helfen zu können, seinen Zustand nicht wie einen PC auf wiederherstellen programmieren zu können.
Ein netter Nachbar hat mir Äpfel geschenkt. Die ersten Äpfel in diesem Jahr. Eine alte Apfelsorte deren Namen ich nicht weiß, mit einem wunderbaren, sehr intensivem Geschmack. Es waren so viele Äpfel, dass ich noch fünf Gläschen Marmelade gekocht habe, nachdem ich gut die Hälfte der Äpfel entsaftet habe. Diese Marmelade hat das intensive Aroma dieses Apfels und ist für mich etwas ganz Besonderes.
Die ganze Erntezeit über, werden wir von diesem netten Nachbarn mit Äpfeln versorgt. Die Familie hat ein Grundstück, etwas außerhalb der Ortschaft, mit vielen alten Obstbäumen. Hätten wir die finanziellen Mittel, wäre ein so Stückle, genau dort, auch mein Wunsch.
Es würde dann in etwa zur Hälfte zwischen unserer Wohnung und der Einrichtung liegen auf einer Anhöhe, die einen herrlichen Weitblick zu lässt. Ab und an wird dort mal ein Grundstück zum Verkauf angeboten, in wunderbarer Lage. Träumen darf ich davon, ein bisschen wenigstens.
Donnerstag, 13. August 2009
Der nun sechste Tag ohne Antibiotika und bis heute haben wir nicht den Eindruck, dass sich wieder eine Lungenentzündung aufbaut. Gott sei Dank, wenn Martin dieses Trauerspiel, zu allem anderen, endlich erspart bliebe.
Im KKH zeigte sich sofort nach dem Absetzen der Antibiose mit heftigem Temperaturanstieg und Kurzatmigkeit , das heftige wieder Aufblühen der üblen Krankenhauskeime.
Ich vermisse unsere Freunde so sehr, die in allen Ecken des Landes wohnen und die auch meine Kinder lieben und so akzeptieren, wie sie sind.
Mir ist klar, dass nicht jeder Mensch diese Gabe hat. Für Martin wäre es so toll, immer mal wieder Besuch von anderen Menschen zu bekommen und neue Geschichten zu hören, aus anderen Familien .
Auf Martins Zimmer auf der neurologischen Station lag kurzfristig eine alte Dame, die auf das Finale zuging. Ihre Töchter kamen immer wieder auch zu uns, an Martins Bett.
Die alte Dame ist inzwischen friedlich eingeschlafen und ihr psychisch erkrankter Sohn lebt nun seit ein paar Wochen auch in der Einrichtung in Markgröningen, bis ein wirklich passender Platz für ihn gefunden wurde.
Die Töchter wollen den Kontakt mit uns aufrecht erhalten und wenn sie alles abgewickelt haben, was es für sie nun zu tun gibt, werden wir uns ab und an treffen, wie alte Freunde. Ich bin glücklich über diese Bekanntschaft, da mir diese Familie sehr ans Herz gewachsen ist.
Es war ein Kennenlernen und Näherkommen in einer sehr traurigen Zeit für uns alle.
20.00 Uhr
Wir haben eine Einladung der Wohngruppe bekommen zu einem Angehörigentreffen mit Grillen.
Diese Idee finde ich super und nun hoffe ich, dass ich am 4.9. keinen Spätdienst habe. Diesen Nachmittag würde ich nicht so gerne versäumen, auch wenn Jürgen mir sicher etwas von den Leckereien mit bringen würde, müsste er alleine an diesem Nachmittag teil nehmen.
Vor ein paar Wochen wäre ich noch in Tränen ausgebrochen, wenn ich diese Einladung bekommen hätte. Heute freue ich mich richtig darauf und hoffe, dass viele Angehörige daran teilnehmen und dass es muntere Unterhaltenungen gibt.
Freitag, 14. August 2009
Jürgen war alleine bei Martin, da ich geteilten Dienst hatte. Da es wieder so unsäglich heiß war heute , hat Jürgen mich nachmittags zur Arbeit gefahren um mir die Hitze etwas zu ersparen in S- Bahn und Bus.
Wenn ich Spätdienst habe, holt Jürgen mich immer zum Feierabend ab. Ich muss auch zugeben, abends bin ich einfach nur noch kaputt und kraftlos.
Martin lag im Bett, wohl gut gelaunt und als dann ein Bewohner der Gruppe mit seinem E- Rolli gegen Martins Tür gebrettert ist, weil er mal wieder nicht richtig zielen konnte, hat mein Mausebär sehr lange ein lachendes Gesicht gehabt.
Scheint so, als käme unser alter Martin teilweise wieder zurück. Das wäre zu schön.
Ein trauriger Artikel aus der Tageszeitung hat mich sprachlos gemacht. Eltern haben sich und ihr Kindchen umgebracht, weil es mit Down Syndrom auf die Welt gekommen ist. Sie konnten es nicht ertragen,mit einem behinderten Kind leben zu müssen.
Ich kann es immer noch nicht verstehen, wieso es für viele Menschen ein so großes Unglück ist, ein behindertes Kind zu haben, auch wenn es arbeitsintensiver ist, wie vielleicht ein nicht behindertes Kind. Auf der anderen Seite gibt es Familien, die sich freuen, einem besonderen Kind ein zu Hause, eine Familie, geben zu dürfen. Der Kontakt zu Martin wurde uns auch über den Bundesverband behinderter Pflege und Adoptivkinder ermöglicht und in diesem Verband warten immer Eltern auf besonderen Nachwuchs.
Diese Familie könnte noch am Leben sein, wenn sie bereit gewesen wäre, ihr besonderes Kind anderen Eltern an zu vertrauen.
Samstag, 15. August 2009
Immer noch diese Affenhitze. Überall im Ländle sind Flohmärkte und ich habe dieses Wochenende frei. Würde es aber nicht mal eine halbe Stunde im Gelände aushalten. Ich freue mich schon auf den Winter und erholsame Monate ohne Hitze.
Mit Martin raus zu gehen, habe ich mich bei diesen Temperaturen auch nicht getraut. Wenn er nur wieder so fit wird, dass er einen Besuch im Zoo aushalten könnte. Sehnsüchtig schaut er im TV die Zoosendungen an. Heute war ein Bericht von der Stuttgarter Wilhelma, die meine Kiddis gut kennen, auch durch viele Besuche dort mit der Lebenshilfe.
Obwohl mir die Zootiere immer in der Seele leid tun, von wegen artgerechter Haltung. Die Gehege sind viel zu klein allesamt und so vieles ist gegen die Natur der armen Lebewesen.
Als wir das letzte Mal in der Wilhelma waren, schaute ein Grorillababy durch die Scheibe eines Showfensters sehr interessiert Martins Rollstuhl an und Martin hätte das süße Gorillakind am liebsten mit genommen.
Ich fand es spannend, dass das kleine Äffchen so klar erkannt hat, dass ein Rollstuhl wohl nicht ganz so häufig vor der Scheibe steht, wie ganz normale Zweibeiner.
Sonntag, 16. August 2009
Heute kommen unsere Nachbarn aus dem Italienurlaub mit ihrem Wohnwagen zurück und wir haben es seit April nicht mal mehr geschafft, meinen Bruder und meine Schwägerin in Stuttgart zu besuchen.
Immerhin haben wir heute Morgen eine gute Stunde im Wald verbracht. Im Wald zu sein, hat mich schon als Kind immer sehr beglückt und am liebsten würde ich an einem Waldrand leben dürfen.
Vielleicht schaffen wir es, wenn wir in Rente gehen können und nicht mehr so auf eine verkehrsgünstige Lage der Wohnung angewiesen sind.
Unser Thermometer im Garten zeigt schon jetzt 30 Grad an in der Sonne und es ist gerade erst mal zehn Uhr vormittags.
Martin wird wohl gerade in der Einrichtung gewaschen und gerichtet und ich hoffe, es geht ihm heute wieder besser.
20.00 Uhr
An Martins Fingernägeln kann man deutlich sehen, wie sehr die Medikamente und Narkosemittel der letzten Monate seinen Körper belastet haben.
Das neu heraus wachsende Drittel ist blank, glatt und normal. Die 2/3 darüber sind gerillt, dunkler und dicker.
Aus seiner Lunge hat Martin heute extrem viel dünnflüssiges Sekret abgehustet, das wieder aus allen Öffnungen lief. Phasenweise war wieder kaum mit dem Absaugen nach zu kommen.
Nun liegen anstrengende acht Tage vor mir, inklusive einem langen Wochenenddienst. Ich wünsche mir kühlere Temperaturen und habe Angst, dass diese Hitze irgendwann mein Herz nicht mehr weiter schlagen lässt, so unwohl fühle ich mich in der heißen Jahreszeit.
Montag, 17. August 2009
Tatsächlich hat es heute Abend endlich wieder ein wenig geregnet und auch gedonnert, als wir mit Martin unter einem Sonnendach vor der Einrichtung saßen.
Ich werde das Gefühl nicht los, dass Martin zur Zeit nur noch für unsere Besuche lebt.
Als die anderen Bewohner der Gruppe ihr Abendbrot bekommen haben und der Essensplan für nächste Woche vorgelesen wurde, fing Martin wieder bitterlich an zu weinen.
Ich weiß, dass er nicht wirklich verstehen kann, wieso er kein richtiges Essen und Trinken mehr bekommt. Er fühlt sich ausgeschlossen, aus dem Gruppengeschehen.
Mein armer Hase. Immerhin, bis heute kam noch kein Fieber hoch, anscheinend sind die Krankenhauskeime wirklich endlich besiegt.
Gerade heute kam eine Sendung über Keime und ihre Resistenz gegen Antibiotika im Fernsehen. Die Mistviecher geben die Informationen auch an andere Keime und Bakterien weiter und bauen sich so auf, dass ihnen die Medikamente nichts antun können.
Heftig hört sich das an und in den Kliniken wird es immer eine Vielzahl diese Viecher geben, trotz intensiestver Hygienemassnahmen.