12. Juni bis 18. Juni 2009
Freitag, 12. Juni 2009
Bin ich vielleicht heilfroh, dass heute nicht der 13. Ist. Eigentlich bin ich ja nicht abergläubisch, trotzdem wäre mir noch unwohler wegen der bevorstehenden OP. Man kann ja nie wissen ob nicht doch etwas dran ist, an diesen abergläubischen Aussagen. Außerdem kann bei jeder OP immer etwas schief gehen, es gibt ja keine Garantie darauf, dass alles imer glatt läuft.
Keine Ahnung, ob ich je wieder Vertrauen fassen kann in das Leben, vor Allem, in Martins Leben.
20.00 Uhr
Ein schmerzlicher, aufregender Tag geht zu Ende.
Mit großer Angst hat Jürgen Martin heute um 8.15 Uhr bis vor den OP begleitet und hat dort im Gang umsonst bis um 11 Uhr gewartet, dass er wieder mit Martin zur Station und zu seinem Zimmer zurück fahren könnte. Irgendwann kam jemand vom Personal zu Jürgen und teilte ihm mit, es sei alles okay. Aber das war es dann auch. Um 11 Uhr ist Jürgen nach Hause gefahren, weil er wusste, ich bin kurz nach 12 Uhr im KKH bei Martin.
Als ich auf die Station kam, war Martin bereits schon wieder in seinem Zimmer und wach. Er freute sich mich zu sehen und begann sofort zu weinen. Welch großes Leid wurde ihm da heute wieder zugefügt. Es ist alles so grausam und traurig.
Martins Gesicht , seine Schultern und die Brust waren mit Jodtinktur bräunlich verfärbt, unter seiner neuen Kanüle lag eine blutige Schlitzkompresse, sein Hemdchen hatte viele Blutflecken, ein faustgroßer , blauer Fleck befindet sich auf der rechten Seite, knapp unter dem Hals. Ich musste mein Gesicht von Martin wegdrehen, damit er meine Tränen nicht sehen konnte. Ich will nicht, dass mein Kind vermuten muss, dass auch Mama völlig kraftlos und voller Angst ist , damit würde Martin sich wohl noch hilfloser fühlen müssen.
Wie soll ich meinem bedauernswerten Kind noch vermitteln, es ist alles nicht so schlimm, was hier mit dir geschieht, wenn ich selber schon lange nicht mehr daran glauben kann? Wie kann ich meinem Sohn Mut machen, nicht auf zu geben und durch zu halten?
Als ich Martin nach ein paar Minuten wieder ansah, dachte ich, ich träume.
Er schluckte seinen Speichel. Nach ein paar Minuten wieder, er schluckte seinen Speichel. Wie konnte das möglich sein? Noch vor zwei Tagen war absolut keine Regung im Rachen und an der Zunge auslösbar. Lag die Übergangskanüle falsch und wurde durch die Neuanlage ein versperrter Weg frei oder konnte sich Martins Gehirn plötzlich wieder daran erinnern, wie Schlucken funktioniert?
Martin war nach dem Eingriff mittig gelagert und sein Körper lag ganz gerade, das Kopfteil des Bettes nur minimal erhöht.
Ich gab ihm Arnika Globuli in den Mundraum und nach ein paar Sekunden wieder, er schluckte.
Selbst als Martin später auf die rechte Seite gelagert wurde und schlief, schluckte er ab und zu im Schlaf.
Abends bei der Visite erzählte ich dem Arzt davon und er meinte, wir wissen ja nicht, ob er auch Alles schluckt, und ob alles richtig funktioniert, aber so auf den ersten Blick sehe es gut aus. Oh bitte, hoffentlich bleibt alles gut aussehend.
Wenn sich nicht wieder etwas verschlechtert, könnte in der nächsten Woche die PEG gelegt werden und dann könnte Martin endlich zurück kehren nach Markgröningen, in seine gewohnte Umgebung, nach ein paar Tagen.
Ich kann noch nicht gar nicht glauben, dass mein Kind in absehbarer Zeit tatsächlich endlich das KKH verlassen kann. Zwar mit wahnsinnigen Defiziten, aber er kann endlich zurück kommen, in sein Zimmer, auf seine Wohngruppe, zu seinen Mitbewohnern und Betreuern, nach so vielen, traurigen, grässlichen Wochen.
Samstag, 13. Juni 2009
Heute verbringe ich die meiste Zeit an Martins Seite und Morgen übernimmt Jürgen die meiste Zeit von Martins Begleitung, da ich geteilten Dienst habe. Was geschieht mit den Patienten, die so hilflos wir Martin sind und die keine Angehörigen haben, die sich um sie bemühen, ihnen bei stehen in den schlimmsten Zeiten ihres Lebens? Nicht aus zu denken wie grausam für Menschen das alleine sein aussehen kann.
20.00 Uhr
Kraftlos, zitternd und traurig haben wir heute Abend die Station und unseren Kleinen verlassen.
Er kämpft und kämpft und anscheinend kann es keine wirkliche, sinnvolle Hilfe mehr für ihn geben. Es sieht eben nicht wirklich gut aus mit ihm, nicht ein kleines Stück im Moment.
Der Tag fing für Martin schon mit Fieber an und im Laufe des Tages ließ sich das Fieber absolut nicht mehr mit Medikamenten senken. Letzter Stand der Dinge, um 18 Uhr wurde begonnen, als letztes Geschütz, eine Stammkühlung bei Martin vor zu nehmen. Wir hoffen, diese unangenehme Aktion kann ihm noch helfen und er verschläft alles, spürt nicht, was schon wieder schreckliches mit ihm geschieht.
Eine neue Röntgenaufnahme wurde heute Morgen von der Lunge gemacht und ergab kein gutes Bild. Martin muss doch irgendwie aspiriert haben anscheinend. Das Schlucken funktioniert nicht richtig, der Kehlkopfdeckel schließt nicht mehr richtig.
Zwei hammermäßige Breitspektrumantibiotika wurden Martin per Infusion gegeben, neue Kulturen von Blut und Ausscheidungen in Auftrag gegeben, und es geht leider doch weiter rückwärts im Moment.
Ob Martin sich nun aufgegeben hat, nachdem ihm seine hilflose Situation immer bewusster, transparenter, wurde?
Mehr darüber zu schreiben bin ich heute nicht mehr in der Lage. In mir tut alles weh und Jürgen fühlt nur noch Übelkeit.
Den ganzen Tag habe ich neben meinem kranken Kind gebetet und versucht, ihm meine letzte Kraft zu spenden. Habe versucht, ihn auf zu heitern. Für ihn interessante Artikel aus der Tageszeitung vorgelesen, ihm leise, alte, ihm bekannte Lieder vorgesungen und immer wieder versucht ihm Hoffnung zu machen, dass es nicht mehr so lange dauert, bis es ihm wieder besser geht und er zurück, zur Wohngruppe gehen kann, zurück ins Leben.
Keine Ahnung, was die Mitarbeiter der Stationen von uns Eltern denken. Wir wollen Martin nur nicht alleine lassen in seinem Elend. Dem Pfleger habe ich heute versucht zu erklären, dass wir nicht hier sitzen, um die Arbeitsweise auf der Station zu kontrollieren, sondern dass wir Martin begleiten wollen. Einfach, nicht mehr wie nötig, unser Kind alleine lassen wollen. Er braucht uns wirklich sehr in dieser schlimmen Zeit, weil ihn nur Menschen verstehen können, die ihn kennen. Kommunikation ist nur noch machbar über die Augen und das Wenige an Mimik, was Martin möglich ist, von sich zu geben nach der langen Narkose auf der ITS..
Martin geht es immer schlechter, auch wenn so viel für ihn getan wird im KKH.
Die Medikamente sind wahnsinnig teuer, die Untersuchungen aufwendig. Auch wenn es nicht unser Problem ist, den Batzen, den die Kasse nun für Martins Aufenthalt und Behandlung im KKH zahlen muss , muss beachtlich sein. Und Martin kann absolut nichts dafür, es ist einfach so passiert.
Sonntag, 14. Juni 2009
Heute mussten wir traurig mit erleben, wie Martin stündlich immer noch weiter abgebaut hat.
Als Jürgen heute Morgen zu ihm kam, war nichts besser, als gestern Abend, zu der Zeit, als wir nach Hause gefahren sind. Kurz nachdem ich am Mittag bei Martig angekommen war, musste mein Kind sich auch noch heftig übergeben. Gestern Mittag fast um die gleiche Zeit, war es so dem Zimmernachbarn, der auch in einer Behinderteneinrichtung lebt, ergangen. Vielleicht nur Zufall, möglicherweise ein Unverträglichkeit der Sondennahrung, zu viel oder zu schnell laufen lassen, vielleicht auch ein weiterer Virus. Es ist ein Trauerspiel, egal, von welcher Seite wir es uns ansehen.
Wohngruppenleiterin Melanie hat Martin mit seiner Schwester Steffi besucht und das arme Kerlchen hatte keinerlei Kraft mehr, sich auch nur ein bisschen zu freuen. Aber er hat Steffi und Melli erkannt, immerhin. Melli kamen die Tränen, als sie verinnerlicht hatte, was aus unserem kraftvollen Gutelaunebär inzwischen geworden ist. Ihr ist nun bewusst, was alles für Martin gebraucht wird und schon im Vorwege angeleiert werden muss, damit Martin in der Einrichtung so gut wie möglich versorgt werden kann. Melli braucht Vorlaufzeit und sie will nun versuchen, ein hilfreiches Gespräch mit der Pflegedienstleitung der Einrichtung zur führen. Von dieser Seite wurde leider in all den Wochen kein Interesse an Martin und seinem Zustand geäußert. Martin ist anscheinend egal geworden auf dieser Ebene, einfach ein Irgendwer, im Moment sicher ein unwirtschaftlicher Faktor . Wie traurig noch dazu, zu allem, was Martin geschehen ist.
Dabei sichert der Umsatz, der durch Steffi und Martin in die Einrichtung fließt, auch wiederum die Arbeitsplätze der Mitarbeiter, auch der Verwaltungsmitarbeiter. Spielt es in den Köpfen überhaupt eine Rolle? Klar, die Einrichtung ist nicht auf unsere Kinder angewiesen, aber wo bleibt die Menschlichkeit, wenn bekannt ist, dass es einem Bewohner und seiner Familie so schlecht geht im Moment und schon über Wochen?
Wir hätten uns über etwas Unterstützung von dieser Seite her sehr gefreut, so haben wir uns sehr alleine gelassen gefühlt.
Hätten die Mitarbeiter der Gruppe ihre Besuche bei Martin nicht auf ihre eigene Kappe genommen und sogar ihre Freizeit dafür verwendet hätten, wären wir anständig ins Trudeln gekommen, mit dem wenigen an Kraft, was uns noch geblieben ist, alles unter einen Hut zu bringen.
Steffi hat sich nicht getraut, ihren Bruder zu berühren. Sie kennt ihn ja nur mopsfidel und lebendig. Ich musste die Hand meiner Tochter nehmen und so mit Steffis Hand, Martins trauriges Gesicht streicheln. Still saß sie auf einem Stuhl neben Martins Bett und hat ihren Bruder nur unentwegt angeschaut.
Es dauert sicher wieder etwas länger, bis sie in ihrem Köpfchen verarbeiten kann, dass ihr Bruder so schwer krank ist. Ich hoffe sehr, dass sie nicht wieder in eine Stresssituation kommt und wieder auffällig wird. Aber was schreibe ich hier, ich könnte ja selber auch nur schreien und weinen in einer Tour und muss mich mehr zusammen reißen, als mir eigentlich gut tut.
Martins Fieber heute war nur etwas zu drosseln mit Waschungen mit hoch konzentriertem Pfefferminztee, selbst die quälende Stammkühlung und die Medis haben nichts mehr gebracht.
Das Blutbild ist wieder total im Keller, Martins blutbildenden Organe kommen nicht mehr nach mit der Neubildung der lebensnotwendigen Blättchen. Es sind einfach zu viele Baustellen in dem eh schon so sehr gebeutelten und ausgelaugten Körper meines Kindes. Der Blutdruck lag schon bei 45 zu 19, sicher durch die fiebersenkenden Mittel, und es ist nur auf der ITS möglich, Martin im Moment etwas zu helfen. Er ist total unglücklich, wir sind mit den Nerven und der Kraft am Ende.
Als ich wieder zu meiner Arbeitsstelle gehen musste zum Spätdienst, wurde Martins Bett gerade in Schocklagerung gestellt, ein Versuch, um den Blutdruck zu beeinflussen. Aber als ich ging, war mir klar, so kann Martin nicht auf dieser Station sinnvoll weiter behandelt werden. Hier gibt es deutliche Grenzen.
Jürgen konnte Martin am Nachmittag auf dem Weg zur Intensivstation begleiten, dann hat er mich von der Arbeit abgeholt und eigentlich wusste ich schon an seinem Gangbild, dass es keine wirklich guten Neuigkeiten gibt heute Abend. Es hatte sich auch zusehends abgezeichnet im Laufe der letzten Tage, dass wenn Hilfe noch möglich ist, dann nur auf der ITS.
Wir mussten Martins wenige Habseligkeiten auf der Neurologischen Station im 8 Stock wieder zusammen packen und zur ITS , in den 3. Stock bringen, den Rollstuhl hatte Jürgen schon in dieer Woche zurück zur Gruppe gebracht, Martin wird dieses Modell sicher nicht so schnell wieder benutzen können-wenn überhaupt jemals wieder , mussten wir einsehen.
Martin ist völlig verzweifelt und weint, hat gleich etwas zur Beruhigung bekommen, ich weiß nicht mehr, was ich meinem Kind noch sagen soll, wann es ihm wieder besser gehen kann. Es ist nur noch ein Elend und großes Leid für ihn, so wie es jetzt ist und wie es steht um ihn im Moment.
Diese Lungenentzündung ist so was von heftig und andere Antibiosen scheint es nicht mehr zu geben, wie uns der diensthabende Arzt, den wir bislang noch nicht gesehen hatten, bei Martins letztem Aufenthalt auf dieser Station, mit geteilt hat. Wir sollen nun einfach warten, ob die Mittel nicht vielleicht doch noch wirken. Martin wird wieder beatmet zur Erholung und sieht auch gleich etwas besser aus in seinem traurigen, hellen Gesicht.
Es wird doch Alles gemacht, was möglich ist. Warum kann es Martin nicht endlich besser gehen um Himmels Willen?
Hoffentlich sind diese Keime nicht schon resistent gegen alles, was möglich ist an Medikamentation. Ich habe immer mehr das Gefühl, dass Martin sich verabschieden könnte, weil einfach nichts wirklich weiter geht und ihm helfen kann, damit sich sein Zustand wieder verbessert und sein gebeutelter Organismus und Körper Erholung findet.
Es ist einfach nicht mehr zu beschreiben, wie wir uns fühlen in dieser schrecklichen Hilflosigkeit.
Ständig habe ich das Gefühl, meine Beine sacken einfach zusammen wie ein alter Klappstuhl und ich habe Angst, vor jedem neuen Tag, vor jeder Nacht.
Jürgens Urlaubstage für dieses Jahr sind nun fast aufgebraucht für Martin inzwischen, meine freien Tage sind auch alle an Martins Seite und ich hoffe, wenn ich meine drei Wochen Urlaub im Juli habe, dass ich diese Tage mit Martin verbringen kann und es ihm dann wirklich besser geht. So gut, dass er uns vielleicht nicht mehr ganz so oft an seiner Seite braucht und er in seiner Wohngruppe wieder gut leben kann, auch mit den neuen, traurigen Defiziten und Einschränkungen. Ob dort genügend Zeit für ihn bleibt, wage ich zu bezweifeln. Das Personal kann nicht mehr wie arbeiten und es ist auch schon ohne Martins neuen Mehraufwand an Pflege und Zeit nur schwer zu bewältigen, was den ganzen Tag über anfällt. Traurig, dies so klar und deutlich miterleben zu müssen.
Montag, 15. Juni 2009
Wieder bekommen wir Panik, wenn das Telefon klingelt. Die alte Angst ist wieder ständiger Gast bei uns und zehrt an unseren Nerven.
Ich konnte es kaum abwarten, wieder bei meinem Kind zu sein und auch, wenn hier in Haus und Garten so viel zu tun wäre inzwischen, kann ich mich nicht mehr auf diese Arbeit konzentrieren. Meine Gedanken sind nur noch bei meinem Kind.
Eine Freundin und mein Bruder und meine Schwägerin riefen an und wollten hören, wie es uns geht und ich erzähle zwar brav alles, aber es ist mir fast zu viel. Vor allem, weil es so wenig Positives, Aufbauendes zu berichten gibt.
Martin hatte wohl schon wieder sehnsüchtig auf uns gewartet hatte ich den Eindruck. Er fühlt sich elend, ich weiß es ja, aber ein paar Stunden Knuddeln und immer wieder Erklärungen, warum und weshalb , ein bisschen Spaß machen mit Nils, der großen Handpuppe und kleine Pläne für die Zukunft, wollen wir ihm wenigstens geben können. Wenigstens ein paar wenige, positive Gedanken bewirken, die Martins Psyche vielleicht ein wenig aufbauen können.
Jürgen hat einige Autokarten mit Martin angesehen und wir haben uns über die Autos unterhalten, was ja schon immer Martins Lieblingsthema war. Vielleicht können wir Martin so ein wenig ablenken und seinem traurigen Tagesablauf und Zustand ein ganz klein wenig Positives, Gewohntes zufügen.
Dann haben wir Martin erzählt, dass wir heute noch Poloshirts für ihn einkaufen müssen, da er wegen der Kanüle die normalen T-Shirts nicht mehr anziehen kann im Moment und haben dann gemeinsam so überlegt, welche Farben wir denn so ins Auge fassen sollten. Es hat Martin schon interessiert, wir konnte es an seinen Augen sehen. Immerhin hat er versucht, als wir die Farbe Rot nannten, ein wenig zu lächeln. Klar, Rot ist Martins Lieblingsfarbe, schon so lange wir den jungen Mann kennen.
Auf der neurologischen Station habe ich von einem Pfleger so einige Dinge gelernt in Sachen lagern und umsetzen in einen Rollstuhl und nun können wir, dank dieser Anleitung die beiden Pflegerollstühle, die wir besitzen, doch für den Anfang sicher benutzen ohne Martin damit zu schaden. Ich habe heute Abend eine lange dünne Kissenwurst zusammen gebastelt und einen Überzug aus einem Teil eines Bettbezuges genäht, und diese Bettwurst wird dann hinter Martins Rücken im Nackenbereich an beiden Körperseiten entlang modelliert, so dass er, wenn er fixiert ist und ein Tisch auf den Armlehnen liegt, gut und sicher in diesen Rollstühlen ( einer für Draußen und einer nur fürs Haus) sitzen kann und so auch der Nackenbereich gut geschützt und stabilsiert ist.
Eine dynamische, temperamentvolle KG war heute bei Martin als ich bei ihm ankam und ich bat sie, ein bisschen mehr mit Martin zu arbeiten. Es hat mir gut gefallen, wie sie mit meinem Sohn umgeht, so kraftvoll und psoitiv, mit einem strahlenden Blick.
Natürlich wollte uns Martin nach fünf Stunden Besuchszeit noch nicht gehen lassen, aber es wurde dann einfach Zeit für uns.
Morgen nach dem Frühdienst sehe ich mein Kind wieder und hoffentlich ist Martin etwas besser davor, als heute.
Jürgen wird sich morgen um die Reifen des einen Rollis, den wir hier im Hause haben kümmern und dann hoffe ich, dass Mobilisieren bald ein gut gehendes Thema sein wird und vor allem, dass Martin keine Infekte oder was auch immer, mehr dazu bekommt. Wir geben ja die Hoffnung noch nicht auf.
Dienstag, 16. Juni 2009
Oft wirken Martins Augen so lebendig, sein Blick ist so klar und aussagekräftig. Dann wieder wirkt der junge Mann einfach nur weg getreten, sein Blick nimmt keinen Kontakt mehr auf, mit Niemandem.
Das Interesse an Auto und Motorradzeitungen ist wieder da in wachen Momenten. Wir blättern die Seiten um und halten Martin die Seiten so hin , dass sie in seinem Blickfeld liegen und er schaut die Fotos in den Magazinen an, interessiert wie früher.
So plötzlich wie am Tag der OP des modellierten Tracheaostomas das Schlucken wieder möglich war, so plötzlich habe ich gestern fest gestellt, dass Martin beide Füßchen etwas bewegen kann, wenn ich über seine Fußsohlen streiche mit meinen Händen. Reaktion des linken Fußes ist zwar im Verhältnis zur Reaktion des rechten Fußes nur ca. 40%, aber sie ist wieder da.
Die KG hatte gestern ihren Schwerpunkt auf die linke Hand und den linken Arm gerichtet und nun habe ich wieder ein ganz klein wenig Hoffnung, dass doch wenigstens ein Minimum an Bewegungsmöglichkeit zurückkehren kann, im Laufe der Zeit.
Wenn wir eines gelernt haben in diesen schmerzvollen Wochen, so ist es, Geduld zu haben.
Jürgen hat für diese Woche Urlaub genommen, seine allerletzten Urlaubstage, weil ich darum gebeten habe. Mir geht es einfach nicht mehr gut und ich bin froh und dankbar für jede Fahrt, die ich nicht mit S-Bahn und Bus machen muss im Moment.
Angst sitzt tief in mir und blockiert vieles, von meinem eigentlichen Ich. Immer noch träume ich den Traum, dass Martin wieder so sein darf, wie er vor dem Supergau war. Ein lebensfroh und lustiger Lausbub.
Im Moment würde ich mich gerne aufspalten können in drei gleich große Teile, die jeweils ihren Aufgabenbereich zu 100% gut ausfüllen und bewältigen können, ohne unter den Aufgaben der anderen Bereiche zu leiden.
Da ich Sternzeichen Zwilling bin, wünsche ich mir, wenigstens jetzt für die nächsten Wochen von meinem Zwilling profitieren zu können.
Was erwartet mich heute Mittag, wenn ich wieder an Martins Seite bin? Kann es endlich ein echtes Aufatmen endlich geben?
Jürgen sagt, er könne im Moment wieder ruhiger schlafen, seit Martin wieder auf der ITS liegt. Auch wenn die Arbeitsweise auf der neurologischen Station noch etwas kompakter ist, wie auf den normalen, anderen Stationen, für Menschen wie Martin reicht die Zeit einfach nicht aus um immer auf der sicheren Seite zu sein. Ob wir vielleicht handeln können, dass Martin bis zur stabilen Entlassung auf der ITS bleiben kann?
Heute Morgen regnet es tüchtig und ich wünsche mir, der Regen würde alles Negative, alles Schwere und alles Leid einfach von uns fort spülen und meine Tränen mit nehmen.
Wenn Liebe heilen könnte, müsste mein lieber Martin kreuzfidel und munter, gesund sein und ein langes , herrliches Leben haben. Er wird wirklich von vielen Menschen von Herzen geliebt, wer bekommt schon so ein kostbares Geschenk in diesem Ausmaß?
Wenn Martin diese Liebe so intensiv spüren könnte, so müsste ihm dieses wärmende Gefühl doch helfen können, wieder gesund zu werden.
Wie oft habe ich in diesen traurigen Wochen das Gefühl gehabt, Martin schreit nach mir, ruft um Hilfe und ich kann mein Kind nicht erreichen. Wie ich es auch anstelle, ich kann meinem Kind nicht helfen. Immer und immer wieder kommen diese Gefühle und Gedanken in mir auf.
20.00 Uhr
Als ich mittags, nach meinem Feierabend, bei Martin ankomme, ist er sehr stark am Röcheln. Schleim kommt aus seinem Mund und aus dem modellierten Bereich seines Halses, in dem die Kanüle steckt, an den Seiten heraus. Die Schwester saugt ihn ab so gut es geht. Das tiefe Absaugen ist wohl sehr schmerzhaft und unangenehm-und das soll Martin nun ein ganzes restliches, Leben lang ertragen und aus halten müssen?
Diese Lungenentzündung hat es echt mehr wie in sich, das Sekret hat einen eigenartigen Geruch sagt die Schwester. Wenn Martin husten muss, bebt das ganze Bett, so heftig ist der Husten ein jedes Mal.
Mit der KG zusammen habe sie Martin heute Vormittag auf die Bettkante gesetzt, es sei gut gelaufen. Martin hört diesen Satz und beginnt sofort zu weinen. Für ihn muss es wohl nicht so toll gewesen sein. Ich denke, er hatte große Angst zu stürzen und ihm wurde schwindelig, die nicht vorhandenen, aktiven Muskeln müssen ihn stark schmerzen. Wie grausam, wenn man sich so gar nicht mehr äußern und wehren kann und absolut alles fremd bestimmt ist.
Über die Schwester habe ich mir das Okay geholt von einem Arzt, zu versuchen, ob Martin mit etwas Schokoeis in seinem Mund etwas anfangen kann. Ich durfte den Versuch wagen und habe sofort für Martin und Jürgen Eis aus der Cafeteria hoch, auf die Station geholt. Für Martin Schoko und Vanille und für Jürgen Joghurt-Himbeere. Für mich Keines, ich hatte leider keine Hand mehr frei für einen dritten Becher.
Martin mochte es sehr, nach so langer Zeit wieder einen richtigen Geschmack im Mund zu haben, er konnte seinen Mund etwas öffnen und er konnte auch schlucken, was er im Mund hatte. Das Meiste kam wieder aus den Seiten an der Kanüle raus, nach dem Schlucken und Martin musste sofort wieder abgesaugt werden. Ein weiteres Zeichen, dass er noch immer aspiriert. Ob er es jemals wieder lernen kann, so zu schlucken, dass das Geschluckte ausschließlich in seinem Magen landet?
Die Schwester wollte es später nach dem Umlagern in die Mitte des Bettes nochmals versuchen, wenn wir gegangen sind. Es wäre grausam, wenn Martin nicht einmal mehr ein bisschen Eis oder Joghurt ein wenig genießen könnte. Dabei hat er ja die Kanüle bekommen, damit nichts aus dem Mund in die Lunge gelangen kann.
Im Moment sieht es für uns nicht so stimmig aus. Das muss alles nochmal ein HNO erklären und die ganze Notwendigkeiten. Manchmal habe ich das Gefühl, nichts mehr zu verstehen und aufnehmen zu können in meinem Kopf , oder es läuft prinzipiell alles anders, als es ursprünglich geplant wird .
Eine Schwester wollte Martin etwas Gutes tun und hat einen Fernseher in den Raum gestellt. Leider fehlte ein Teil des Antennenkabels und sie konnten so schnell kein anderes auftreiben. Martin wollte schon mal gucken, so wie er uns geschaut hat. Nun ja, vorsichtshalber bringen wir morgen Mittag ein Kabel von uns mit und dann schauen wir mal, ob der Mausebär das Geflimmer überhaupt schon ertragen kann. Vielleicht ist es für sein Gehirn auch einfach noch zu früh für solche Reize.
Ich fand es echt super, dass überhaupt jemand daran gedacht hat, dass unser Mausebär ja wach ist und alles wahr nimmt und Unterhaltung braucht, am Rande des für ihn so schlimmen Klinikalltags.
Ob er wirklich ertragen kann, auf einem Bildschirm zu schauen, müssen wir erst antesten, aber ich bin auch schon gespannt darauf und denke, es könnte doch klappen.
Immerhin hat Martin es geliebt, Autorennen an zu schauen oder viele Sendungen des Kika oder der Musiksender.
Mittwoch, 17. Juni 2009
Zwei Tage habe ich nun frei, komme aber innerlich nicht zur Ruhe. Immer noch kann ich nicht wirklich wahr haben, was meinen Kind geschehen ist.
Früher, als Martin noch klein war, waren die Zeiten gegen Mitte Juni immer die Zeiten, zu denen es Martin am schlechtesten ging, er regelmäßig großen Krampfanfälle bekam. Ab dem 2. Schuljahr ging es dann besser und bis es nun im April dieses Jahre begann, Martin so schlecht zu gehen, hatte er viele Jahre kein Antibiotika mehr gebraucht oder schwere Anfälle gehabt. Warum konnte das alles nicht einfach so bleiben? Warum muss er sich jetzt so entsetzlich quälen?
Langsam gehe ich mir selber damit auf die Nerven, nicht wirklich viel Positives sehen zu können und einfach darauf zu bauen, dass wieder alles gut wird. Ich kann es einfach nicht, und das, obwohl ich eigentlich ein positiver denkender, fröhlicher Mensch geworden bin, im Laufe meines Lebens.
Vielleicht muss ich es erst wieder lernen, eine andere Sichtweise zu bekommen. Hoffentlich habe ich mich in dieser Zeit der Trauer und Angst nicht zu sehr verändert.
Jürgen erntet die Kirschen von unserem Bäumle im Vorgarten und im Moment kann ich sie nicht verarbeiten, bin ja kaum noch länger am Stück zu Hause. Wir wollen heute Abend Steffi einen Korb voll Kirschen in die Einrichtung bringen, damit wenigstens die Gruppe etwas davon hat. Wie schade, dass wir Martin mit den süßen, leckeren Kirschen im Moment so gar nichts Gutes tun können. Er hätte sie gerne gemocht.
Immerhin habe ich es heute Vormittag geschafft, das bisschen Rasen zu mähen und ein paar Worte mit den Nachbarn zu wechseln, über Alltägliches. Wir sind ja kaum noch zu sehen und zu hören seit Ende April.
Einen kleinen Eintopf habe ich auch noch zustande gebracht und nun ist es schon wieder Zeit, los zu fahren. Es tut weh zu wissen, dass Martin so sehr auf uns wartet und auf diese Besuche angewiesen ist.
20.00 Uhr
Martin war tief und fest am Schlafen, als wir kamen und es war schön, meinem schlafenden Kind zu zuschauen und dann zu erleben, wie es aufwacht , uns erkennt und sich freut.
Die KG der Intensivstation hatte Martin am Vormittag wieder mit einer Pflegekraft in die Mangel genommen und er war nach der Anwendung tüchtig erschöpft.
Seine Muskeln müssen langsam wieder aktiviert werden, auch wenn es erst sehr anstrengend und unangenehm für unseren Hasen ist.
Zwei Stunden haben wir wieder Bilder von Motorrädern und ein Katzenbuch angesehen, ein tolles Foto von einer früheren Freizeit der Wohngruppe angeschaut, das ich gestern zufällig dort auf dem Gang entdeckt habe und alles in allem waren dann wieder 4 1/2 Stunden ruck zuck vorbei. Hier auf der Station geht das Zeitgefühl völlig verloren.
Martin ist dann einfach friedlich eingeschlafen und wir sind leise gegangen.
Der Schleim in seiner Lunge löst sich jetzt reichlich und er muss noch häufiger abgesaugt werden. Temperatur und Blutdruck sind glücklicherweise wieder okay im Moment.
Den Fernseher hat Jemand auf ein anderes Zimmer entführt, ich habe aber den Pfleger gebeten, es später einmal zu versuchen, an zu testen, wie Martin damit klar kommt.
Im Sanitätshaus haben wir einen neuen Tisch für den Pflegerollstuhl erworben, da der eigentliche Tisch zerbrochen war, und ich bin geschockt, dass so ein Stück Plastik, das Jederzeit wieder zerbrechen kann, wirklich stolze 243 Euro kostet. Aber wir wollen ja den Rollstuhl nun mit ins KKH nehmen , in der Hoffnung, es kann ein Mobilisieren stattfinden und ich habe zur Zeit keinen Nerv, im Internet nach einem günstigeren , passenden Tisch zu schauen. Ohne den Tisch kann Martin mit seinen schlaffen Ärmchen nicht mehr gut und statisch in einem Rolli sitzen.
Er muss langsam wieder mobilisiert werden um wieder in einen normalen, strukturierten alltag eingebunden werden.
Nun wird er auch hoffentlich ab und an mehr Besuch bekommen, von Mitarbeiterinnen der Wohngruppe, wir haben heute unser Okay auf der ITS dafür gegeben und Siggi hat heute Abend ihren Besuch angekündigt.
Mit dem Schlucken hat es dann gestern Abend auch nicht mehr bei anderer Lagerung geklappt, es lief weiter an der Kanülenwand aus Martins Hals, und so hoffen wir auf helfenden, logopädischen Einsatz, damit es wenigstens in diesem Sommer noch ein richtiges Eis und wenigstens ein bisschen Joghurt geben kann für Martin. Nur schade, wo es doch gerade mit dem Schluckreflex eigentlich so gut klappte.
Donnerstag, 18. Juni 2009 - mein 56 Geburtstag
Ob ich es verdient habe, so alt zu werden? Eigentlich will ich von meinem Geburtstag nichts hören und sehen in diesem Jahr. Ich habe nur einen Wunsch - Martin soll es wieder gut gehen und er soll diese schlimmen Wochen vergessen können. Martin soll wieder Freude am Leben haben, keine Schmerzen und Bewegungslosigkeit sollen ihn plagen und er soll nie,nie wieder krank werden.
Die Besuche und Anrufe zu meinem Geburtstag im Laufe des Vormittags habe ich überstanden und hin genommen, die reichliche, liebe Post gelesen. Viele Menschen haben an mich gedacht, es fällt mir in diesem Jahr sehr schwer, mich wirklich darüber zu freuen.
Ich will diesen Geburtstag nicht haben, kein Stück.
Schön war es mit an zu sehen, wie Martin sich heute über den Besuch von Siggi aus der Wohngruppe gefreut hat. Alle seine Kräfte hat er mobilisiert, um ein Lächeln für Siggi in sein geplagtes Gesicht zu zaubern.
Siggi muss nun auch schmerzlich lernen, wie schlecht Martin dran ist. Es tat weh, zu sehen, wie sehr es auch sie mit nimmt. Es ist so schwer nach zu vollziehen, dass es Martin so hart und unfair erwischt hat. Ich werde nie darüber hinweg kommen können, dass eines meiner Kinder einfach so, fast ganz ausgeschaltet wurde.
Aber umso mehr zeigt es uns, dass Martin in dieser Wohngruppe zu Hause ist und geliebt wird Irgendwie sind wir ein Stück verwachsen mit der Gruppe und den meisten MitarbeiterInnen, sie haben schon lange einen Platz in unseren Herzen. Die meisten Kräfte tun wesentlich mehr, als sie müssten und investieren mehr Zeit in ihre Arbeit, als sie bezahlt bekommen. Und sie arbeiten mit Herz, auch wenn der eine oder andere Bewohner eine pädagogisch strenge Hand braucht. und eine wahre Herausforderung sein kann. Sie wollen, dass die Bewohner sich wirklich zu Hause fühlen können in der Einrichtung, so gut es eben geht. Vor vielen Jahren war es dort richtig schön. Genug Personal, genug Zeit und genug Geld. Alles auf der Strecke geblieben, alles immer weiter rot durch gestrichen, seit den 80er Jahren heftig runter reduziert.
Morgen werden wir den Rollstuhl mit nehmen und dann wird sich zeigen, ob es Martin vielleicht gut tun kann, wieder in einem eigenen Gefährt zu sitzen und mobilisiert zu werden. Der Pfleger meinte, es wäre sicher Zeit dafür, wir könnten es wagen.
Heute war auch die Rede davon, dass Martin wieder auf eine normale Station verlegt werden soll. Damit haben wir Bauchschmerzen und Angst, dass es bald schon wieder eine neue Katastrophe geben könnte. Wir können auch nicht mehr die Vormittage durchgehend abdecken mit Besuchen bei Martin und wollen Martin aber auf keinen Fall alleine lassen.
Ich muss nun doch tatsächlich auf Hilfe von den ehrenamtlichen Mitarbeitern des KKH hoffen und werde es wohl am Montag anleiern müssen. Einen Plan sollte ich noch erstellen und die Zeiten eintragen, die wir auf der Station anwesend sein können und die Zeiten, in denen Martin ein wenig nette Assistenz und Unterhaltung gebrauchen kann.