15. September bis 21. September

 

Dienstag, 15. September 2009 

 

Und dieser Tag war für mich sehr heftig. Sieben Stunden nur auf den Beinen, Hetze, Hektik, keine Zeit für die Bewohner, die sie so dringend bräuchten. Ich fühle mich ausgelaugt und mies. So will ich nicht arbeiten müssen. Mir ist übel und schwindelig, mein Rücken tut am Abend entsetzlich weh, meine Seele auch.

 

 

Mittwoch, 16. September 2009

 

 

 

 

 

Immerhin hatte ich heute den Mut, abzusagen und  meine Betreuerin des Arbeitsamt zu informieren. Ich kann einfach nicht mehr über meine körperlichen Grenzen hinausgehen und ich will so arbeiten können und dürfen, dass den Menschen an denen ich arbeiten soll, die Zeit gegeben wird, die sie brauchen.

 

Spüre ich doch tagtäglich an meinem Sohn, was es bedeutet, als Mitarbeiter einer Einrichtung keine Zeit für den einzelnen Menschen zu haben.

 

 

 

 

Donnerstag, 17. September 2009

 

Wenn ich daran denke, dass jetzt gerade die Dienstbesprechung stattfindet, in der vielleicht über mich geredet wird und dass sich meine Kolleginnen vielleicht wegen mir Ärger einhandeln könnten, geht es mir auch heute nicht gut. Ich will nicht, dass es böses Blut gibt. Mein Vertrag war eben nur befristet, auch wenn ich noch so gerne in dieser Einrichtung weiter gearbeitet hätte.

 

Für mich ist es gelaufen, egal, was nun geredet wird.

 

Ich kann nur hoffen, dass ich wieder eine Stelle finde, in der ich vom Körperlichen her klar komme und in der menschlich gearbeitet wird, mit einem vernünftigen Personalschlüssel.  Nun spüre ich aber auch klar und deutlich, dass ich einfach nicht mehr die Kraft habe, wie vor 30 Jahren. Bäume kann ich keine mehr aus reißen und sinnlose Arbeiten ausführen, möchte ich auch nicht mehr.

 

Und ich möchte den Menschen, mit denen ich arbeiten muss genügend Zeit und Zuwendung geben dürfen, dann kann es auch mir an einem Arbeitplatz gut gehen.

 

Morgen habe ich wieder Frühdienst und mein Rücken schmerzt immer noch so sehr. Aber die letzten Tage, die ich noch Dienst machen darf, möchte ich auf keinen Fall fehlen. Ich arbeite doch gerne und bin gerne dort, immer noch.

 

Für Martins Geburtstag habe ich einige Tipps bekommen und heute schon per Online eine Lichtsäule zum Aufhängen in seinem Zimmer und eine Leuchtkugel erworben. Ich hoffe, mein Junge kann sich darüber freuen, auch wenn er die dazugehörigen Schalter nicht selber bedienen kann.

 

 

Freitag, 18. September 2009

 

Ich hatte es fast vermutet, meine Vorgesetzte  hat erst gar kein Gespräch aufkommen lassen zu meiner Person. Ist wohl auch besser so für meine Kolleginnen. Ich will wirklich nicht, dass sie Ärger bekommen, für eine Sache, die mit nichts auf der Welt zu ändern ist. Dass ist es wirklich nicht wert.

 

Aber es ehrt mich, dass im Moment so viele Menschen signalsieren, dass sie mich mögen und meine Art zu arbeiten und mit Menschen um zu gehen schätzen.

 

Heute Nachmittag wurde Martins Kanüle wieder gewechselt und es haut mich jedes Mal aufs Neue fast um, mein Kind mit einem Loch in seinem Hals zu sehen. Der Kanülenwechsel ist sehr unangenehm und Martin hat Angst, dass er erstickt. Er würgt und hustet, wird heiß und rot an seinem Köpfchen.

 

Betreuerin Siggi aus der Wohngruppe hat schon ein Geburtstagsgeschenk für Martin gekauft, dass ihn veranlassen soll, wenigstens zu versuchen, nur ein klein wenig seine linke Hand zu bewegen. Es ist ein Hund mit einem Sensor, der auf die allerkleinste Bewegung reagiert und sich rollt und lacht. Genau das Richtige für Martin.

 

Eine Wassersäule bekommt Martin auch geschenkt von der guten Seele, sie hat das Teil über und wir müssen Martin zu Weihnachten nicht wie geplant, so ein Teil kaufen.

 

Da Martin nur noch Poloshirts oder andere geknöpfte Oberteile tragen kann, wegen der Kanüle, werden wir unseren Schwerpunkt auf Textilien legen.

 

 

Samstag, 19. September 2009

 

Wieder war es für Martin ein herber Nachmittag. Eine rroße Grillfete fand mit der Nachbargruppe. Leckere Düfte überall und er darf nichts davon essen.

 

Die neue Kanüle macht meinem Mausebär anscheinend große Probleme. Er weint sehr viel und das Absaugen ist anscheinend schmerzhaft. Nach jedem Wechsel der Kanüle ist er extrem empfindlich.

 

 

Sonntag, 20. September 2009

 

Es hat keinen Sinn mit dieser neuen, anderen  Kanüle. Martin erbricht um so heftiger, wenn er abgesaugt wird und sie scheint ihm wirklich weh zu tun. Er schaut uns noch unglücklicher an, als an den anderen Tagen.

 

Wenn ihm doch nur Jemand wirklich helfen könnte. Es schlaucht uns auch, wirklich jeden Tag in die Einrichtung zu fahren. Aber wir wollen Martin nicht so Mutterseelen alleine lassen, ihn nicht hängen lassen in seiner immer noch vorhandenen Not.

 

Aber was ist mit uns?

 

Die Mitarbeiter der Gruppe  haben so oft kaum wirklich  Zeit für Martin, weil einfach zu vieles Anderes zu bearbeiten ist und heute ab Mittag war nur eine Mitarbeiterin alleine in der Gruppe und musste ihren Dienst leisten, die bis 21 Uhr, bis die Nachtschicht anfängt.

 

Manchmal denke ich, ich träume dies nur alles und wache auf, und überall ist wieder eitel Sonnenschein und ein jeder ist zufrieden.

 

Ein Bewohner urinierte auf den Gang zu den Zimmern, ein Anderer kam mit nasser Hose von draußen. Eine Bewohnerin  fühlte sich benachteiligt und war motzig, weil sie der Meinung war, sie bekäme nicht genügend zu essen, was definitiv nicht zutrifft. Und so geht es immer weiter, den lieben langen Tag. Zu allem Anderen kommt noch immer mehr dazu. Viel zu viel schon für zwei Mitarbeiter, aber dann noch für eine Kraft alleine?

 

Ich habe an solchen Tagen auch große, sicher sehr berechtigte  Angst um Martin.

 

 

Montag, 21. September 2009

 

Letzter Frühdienst . Noch ein Spätdienst und einen langen Samstag. Ich könnte nur weinen, so traurig bin ich. So muss sich ein alter Baum fühlen, wenn er gewaltsam entwurzelt wird.

 

Martins neue Kanüle muss wieder gegen eine Standardkanüle ausgewechselt werden. Das arme Kind behält vor lauter Würgereiz nun noch wenig von seiner Sondennahrung bei sich.

 

Wenn nur diese Quälerei endlich ein Ende hätte.