19. Juni bis 25. Juni 2009

Blick aus Martins Zimmer im KKH

 

Freitag, 19. Juni 2009

 

Endlich ist das Wetter wieder etwas kühler geworden  und es tut mir gut, endlich mal wieder richtig durch atmen zu können. Vielleicht hat Martin gestern auch die Witterungsbedingungen gespürt und deshalb so geschwitzt, auch wenn die Temperaturen auf der ITS konstant sind, eigentlich.

 

Nun mache ich mir Gedanken, wie die Mitarbeiter der Wohngruppe es wohl lernen, aus Martins, nur noch ,  sehr bescheidener Kommunikationsmöglichkeit, zu erkennen, was er möchte oder auch nicht, sofern die Leute Dienst haben, die sich auf Martin voll und ganz einstellen wollen und können.

 

Das, was man hinein interpretiert,  in die Zeichen eines so schwer behinderten  Menschen, ist sicher oft nicht so ganz reell, mit dem, was Martin wirklich mit teilen  will. Auch wir Eltern, die Martin sehr gut kennen, können im Moment nur ca. 50 % vom dem, was Martin uns vermitteln will, verstehen und erkennen und das ist trauriger Weise sehr wenig.

 

Menschen, die Martin vor der Veränderung nicht gekannt haben, dürften vielleicht, wenn sie bereit sind, sich auf Martin ein zu lassen, ca. 10 % seiner  Mitteilungen über Augen und Mimik erkennen, wenn überhaupt.

 

Inzwischen grüßen uns auch auf der ITS tatsächlich ein paar Ärzte, wahrscheinlich aus Mitleid, weil wir schon wieder hier angekommen sind. Gehören wir schon zum Inventar der Station, nach so vielen Wochen?

 

20.00 Uhr

 

Welch ein Stress heute. Martin wurde wieder, zurück,  auf die neurologische Station verlegt, gegen  seinen und unseren  ausdrücklichen  Willen. Wir haben leider nichts zu sagen in dieser Sache und müssen wieder alle gemeinsam aushalten lernen, was nun wieder auf Martin zu kommt.

 

Als ich mittags zu Martin in den Raum auf der ITS kam, blieb mein Herz fast stehen vor Schreck.

 

Eine Pflegekraft, die ich gestern das erste Mal  gesehen habe in all den Wochen unserer Anwesenheit,  hatte seinen bewegungsunfähigen Kopf so unglücklich  zu hoch gelagert, dass er ihm nach vorne weg rutschte und mit dem Kinn auf die Kanüle drückte.

 

Martin war so voller Panik, dass seine Zähne klapperten und er ganz rot im Gesicht war. Fast zehn Minuten habe ich gebraucht, bis ich ihn wieder beruhigen konnte und vor allem, bis wieder eine Pflegekraft nach ihm sah. Er muss schon länger in dieser unglücklichen Stellung gelegen haben und ich hoffe, es ist nicht mehr passiert durch die unglückliche Kopfhaltung. Natürlich habe ich der Schwester  erzählt, wie ich mein unglückliches Kind gerade vorgefunden habe. Könne mal passieren und sei ja nicht mit Absicht gemacht worden, bekam ich keck zur Antwort.

 

Das wäre ja auch noch schöner. Ich bin freundlich geblieben obwohl ich die junge Dame am liebsten geschüttelt hätte. Dieses Lagern war  echt ein Akt der Gedankenlosigkeit. Hatte mich gestern schon etwas gewundert, als diese Schwester mit einem Anamnesebogen ankam, den ich bitte ausfüllen solle. Martin lag den ganzen Mai durchgehend  auf dieser Station, wir waren jeden Tag für Stunden anwesend, nun auch wieder seit Sonntag und einen Tag vor der erneuten Verlegung auf einmal soll dieser Bogen wichtig sein? An den ersten Tagen hätte ich es wohl verstanden und ihn gerne aus gefüllt.

 

Die Verlegung sollte eigentlich um 14 Uhr statt finden, wurde dann aber erst um 15.15 ausgeführt , aus Zeitmangel des Personals der aufnehmenden Station, das die Patienten anholen muss von der abgebenden Station, und um 15.30 musste ich los zur Arbeit gehen. Da nicht alle Teile für die Sauerstoffgabe im 8 . Stock vorhanden waren, wurde ich nochmals in den 3. Stock geschickt, diese Teile zu holen von der ITS.

 

Vor dem Aufzug konnte ich von irgendwoher einen Feuermelder Alarm schlagen hören. Wie sich später heraus stellte, hat es in einem Umkleideraum für das Personal im allerobersten Stockwerk gebrannt,  glücklicher Weise gab es nur materiellen Schaden. Nicht aus zu denken, in diesem wahnsinns Gebäude würde ein großer Brand aus brechen.

 

Dann musste ich los rennen, mit Tränen in den Augen und mein Kind schon wieder alleine lassen in seiner Angst.

 

Alle Zeit der Welt reicht nicht mehr aus und alles, was wir machen können ist zu wenig.

 

Jürgen war dann 40 Minuten später bei Martin und als er dann am Abend wieder ging, war Martin sehr unglücklich.

 

Irgendwie wird dieses KKH auch so langsam zum Horror für mich  und ich bete, bitte flehentlich, dass Martin bald so stabil ist, dass er endlich zurück zur Wohngruppe entlassen werden  kann.

 

 

 

Auch dann erst, kann richtig mit ihm gearbeitet werden und ihm vielleicht auch wirklich ein Stück weit geholfen werden, hoffen wir jedenfalls.

 

Im Moment geht mir nur im Kopf herum, in ein KKH darf man nicht gehen, wenn man wirklich krank ist.

 

Wenn ich doch nur endlich schon Urlaub hätte und mehr Zeit für mein Kind. Außerdem ist nächste Woche auch noch eine Pflichtfortbildung in Kornwestheim für alle Mitarbeiter. Kaum Jemand will wirklich daran teilnehmen, aber unsere Vorgesetzte  besteht darauf, dass wir alle dort erscheinen, ohne Ausnahme.

 

In der Regel gehe ich schon gerne zu Fortbildungen, nur im Moment ist es für mich überflüssiger und zusätzlicher Ballast.

 

Aber ob mein Urlaub für Martin ausreicht weiß ich jetzt noch nicht einmal. Zeit, wir brauchen einfach mehr Zeit.

 

 

Samstag, 20. Juni 2009

 

Wieder Wochenenddienst und ich bin so müde. Schon lange sind die Nächte nicht mehr erholsam für mich. Bei jedem Geräusch schrecke ich auf, an wirre Träume kann ich mich bruchstückhaft erinnern und wenn dann der Wecker um 4.30 Uhr klingelt, bin ich wie gerädert, obwohl ich normaler weise gerne früh auf stehe.

 

Aber was ist das alles, gegen den bedauernswerten Zustand, aus dem mein Kind nicht mehr heraus zu kommen scheint?

 

Es hat ihn wirklich komplett aus seinem Leben geworfen und er muss aushalten, was auch immer an ihm und mit ihm gemacht wird, und alles, was er nicht mehr machen kann, was Martins Leben ausgemacht hat bis zum April dieses Jahres.

               

Seine völlige Hilflosigkeit  ist  zum Schreien. Im Moment hustet Martin sehr viel Schleim ab, der fast zum allen Öffnungen, die mit seinen Atemwegen zu tun haben, heraus quillt. Etliche Male musste ich heute eine Schwester bitten, meinen Sohn ab zu saugen. Bei meinem ersten Versuch bekam ich zur Antwort, sie seien heute  nur zu fünft und sie hätten wenig Zeit.

Aber was kann Martin denn  dafür? Er kann doch, wenn er alleine ist, nicht nach Hilfe rufen oder klingeln. Auch wenn ich es selber könnte, hier im KKH ist es nicht meine Aufgabe Martin ab zu saugen und auch rechtlich nicht haltbar.

 

Immerhin hatte Martin heute Besuch von Melanie und Siggi und das ist für ihn ein schönes Gefühl, zu wissen, sie sind immer noch da für ihn, denken an ihn und wollen ihn zurück haben, in der Wohngruppe, egal wie.

 

Jürgen war schon sehr früh am Morgen an Martins Seite und ist dann gegen Mittag zu Steffi gefahren, um endlich wieder einmal mit ihr einkaufen zu gehen. Für Steffi ist das eine sehr wichtige Angelegenheit.

 

Morgen Mittag kommt  Karin, später Melli  zu Martin und so übernimmt Jürgen den Morgen, holt mich am Mittag von der Arbeit ab und wir haben dann frei bis Nachmittags und Martin ist trotzdem nicht zu lange alleine. Zeit wird immer kostbarer und knapper  für uns.

 

Ich habe einen Plan verteilt, von den ganzen Zeiten, die wir in den nächsten beiden Wochen, weil wir arbeiten müssen,  nicht an Martins Seite sein können und hoffe, dass von den Gruppenmitarbeitern doch einige Stunden übernommen werden können. Auf dieser  normalen Station ist er einfach alleine völlig aufgeschmissen. Natürlich ist es für ihn besser, es kommen Menschen zu ihm, die ihn von früher kennen, aber wir werden nicht mehr ohne externe Hilfe auskommen. Die Zeit ist einfach schon zu lange, die wir im KKH versuchen, zu überbrücken.

 

Traurig ist es für mich immer aufs Neue, wenn ich an Martins Verständnis appellieren muss, weil wir wieder gehen, ihn alleine zurück lassen in seiner Hilflosigkeit und Angst. Entweder um wieder zur Arbeit zu gehen, oder einfach nur, weil wir zu Hause in unserem Bett schlafen wollen, uns um den Hund kümmern müssen, zu Steffi fahren müssen, oder weil ich den alten Herrn am  einigen Abendenden in der Woche  noch zu versorgen habe.

 

Martin kann nicht weg gehen aus dem KKH, aus seinem Bett raus klettern und Martin will auch nicht alleine bleiben. Das Erlebnis von gestern Mittag geht mir immer noch sehr nach.

 

Bitte lieber Himmel, lass Martin die Zeit im KKH  so überstehen, dass er stabil bleibt , dass er endlich zurück zur Gruppe gehen kann. Nimm bitte wenigstens dieses Leid von meinem Kind

 

Heute Abend, gerade als wir nach Hause kamen, rief ein ehemaliger Mitschüler von Martin an. Er hatte mit einem ehemaligen Lehrer gesprochen, der ihm von Martins Unglück erzählt hat. Es tat so weh, ihm nicht sagen zu können, dass es Martin wieder gut geht, dass es nur ein vorübergehender Ausfall war, ohne bleibende Folgen.

 

Martins Augen sagen uns in einem fort, bitte helft mir doch und er weint so sehr, weil einfach nichts mehr geht, er Schmerzen aushalten muss. Aber wir können ihm nicht helfen, ihm nicht einmal ein kleines Teilchen seines Leides abnehmen, so gerne wir dies tun würden für ihn.

 

 

Sonntag, 21. Juni 2009

 

Nach Aussagen des Stationsarztes Melli gegenüber, befindet sich Martin immer noch in einem sehr kritischen Zustand. Eigentlich wissen wir das auch. Dennoch versuchen wir stets minimale Fortschritte, Verbesserungen zu erkennen.

 

Zumindest ist der Schleim, der nun aus Martins Atemwegen in reichlichem Maße kommt, hell und transparent. Noch vor einer Woche noch war er braun, zu der Zeit, als Martin so extrem hoch gefiebert hatte und die ganzen, teuren  Antibiotika noch nicht gewirkt hatten.

 

Jürgen hat heut Morgen versucht, ein Gespräch mit dem Arzt zu führen, wie lange seiner Meinung nach, Martin noch im KKH bleiben muss.

 

Es war wohl sehr schwierig für den Arzt, Jürgens Frage zu beantworten. Wenn alle Entzündungswerte verschwunden sind, wenn die Lungenentzündung ganz abgeheilt ist, so dass die PEG gelegt werden kann und wenn danach weiter die Werte im grünen Bereich sind, vielleicht mit großem Fragezeichen, Ende übernächster Woche.

 

Wir werden immer bescheidener in unseren Wünschen. Nur das größere Auto, damit wir Martin wieder in einem Pflegerollstuhl oder Lagerungsrollstuhl mitnehmen können, steht außer Martins  stabiler  Gesundheit, auf unserem Wunschzettel.

 

20.00 Uhr

 

Wie viele Bettnachbarinnen  und Nachbarn Martin schon hatte in diesen zwei Monaten, weiß ich nicht mehr. Ich habe aufgehört zu zählen. Heute Morgen lag eine Frau meines Alters mit im Zimmer, sie hatte wohl einen leichten Schlaganfall und soll in dieser Woche mehrere Untersuchungen machen lassen.

Todesfälle, Reanimationen, Schreien, Weinen, Stöhnen und viel Angst, das  Alles hat Martin mit erleben müssen und wir zum Teil auch in dieser Zeit. Ist das noch mit Würde zu bezeichnen?

 

Heute Nachmittag wurde Martin vom Monitor abgenommen, weil seine Werte diesbezüglich im Moment ziemlich stabil seien. Die Antibiose wirkt anscheinend und so wird er wohl in den nächsten beiden Tagen auf ein normales Dreibettzimmer auf der Station verlegt werden, da die Monitorplätze für schlimmere Fälle gebraucht werden. Anscheinend ist Martins Fall nicht mehr schlimm genug oder  sein Kostenfaktor sprengt den Rahmen des Möglichen inzwischen.

 

 Eine diensthabende Ärztin hatte Martin heute gefragt, wie es ihm ginge, ob er Schmerzen hätte. Außer weinen konnte mein Bärchen  sich nicht äußern. Wie auch, wenn alle Funktionen still gelegt sind und er kann wirklich nicht behaupten, dass es ihm gut geht, nach allem Schrecklichen, was er mitmachen musste bis jetzt in diesem Jahr.

 

Am Samstag will Ricky wieder zu Besuch kommen und ich weiß, dass wird eine große Freude für Martin werden, seinen geliebten, großen Bruder wieder für ein paar Stunden an seiner Seite zu haben.

 

Besuche sind im Moment die einzige positive Abwechslung für Martin  und ich bin froh und dankbar, über  jeden Besucher, der gerne und freiwillig zu Martin ins KKH kommt in dieser schweren Zeit und ihn tröstet.

 

 Vor einer Stunde habe ich noch den Garten gegossen und nun beginnt ein Gewitter. Nichts ist mehr richtig zur Zeit, nicht einmal das Gießen des Gartens.

 

 

Montag, 22. Juni 2009

 

Um sieben Uhr betrete ich leise das Zimmer im KKH und finde ein heftig weinendes, verzweifeltes Kind mit hochrotem Köpfchen vor. Wie lange er wohl so schon gelegen haben muss. Niemand hört sein stilles Schreien. Niemand sieht Martin  in seiner Not.

 

Ich kühle sein Köpfchen und tröste Martin, leise, um die Frau im Bett nebenan nicht auf zu wecken.

 

Es dauert über eine Stunde, bevor eine Schwester kurz in den Raum schaut und wieder geht. Ich habe so große Angst um Martin an meinen Frühschichttagen. Es war auch nicht so einfach,  helfende Menschen zu erreichen im KKH. Letztendlich bin ich dann doch in das Büro des Sozialdienstes gegangen und habe um Hilfe gebeten. Dies ist so gar nicht der Aufgabenbereich der Damen.  So einen Fall hatten sie noch nicht, aber immerhin, die nette Frau kam dann später hoch auf die Station um zu berichten, dass sie sich an den evangelischen Pfarrer gewandt  hat, der für das KKH zuständig ist, und er wolle versuchen, und auch mal selber bei Martin vorbeischauen, ob er Jemanden aus der Gemeinde für spezielle Besuchsdienste gewinnen kann. Aber es wird mit Sicherheit nicht die ganze Zeit sein, die wir von jetzt ab brauchen.

 

Wenigstens ein paar Stunden Zeit für Martin werden dabei hoffentlich raus springen.

 

 

Wieder bin ich am Boden zerstört, dass es den Grund dafür überhaupt gibt und dass wir ausgerechnet jetzt nicht mehr genügend Zeit haben für Martin haben.

 

Alleine der heutige Vormittag, was wäre der Junge aufgeschmissen gewesen in seiner Angst und Hilflosigkeit.

 

Wir mussten zu einem OP Bereich im 3. Stock  fahren, weil es für die Ärzte dort wohl einfacher ist, einen neuen Venenzugang zu legen, was wohl auch zutraf, aber die Angst, als Martin hörte, er müsse runter zum OP, war schrecklich für ihn.

Dann Atemtherapie, die ihm unangenehm ist, wieder eine neue Schwester für Martin, Blut abnehmen, ständig musste ich eine Schwester holen, zum Absaugen.

 

Ein junger Physiotherapeut kam zu einer Stunde,  in der Martin vor Erschöpfung so tief und fest  geschlafen hat, dass wir ihn nicht wach bekommen haben.

 

Er kam um 14 Uhr noch einmal und wir haben gemeinsam das traurige Bündelchen Mensch auf die Bettkante gesetzt und auf ihn ein geredet, er solle versuchen, sein Köpfchen zu heben, was so noch gar nicht funktionieren kann nach der langen Liegezeit. Gemeinsam haben wir Martin ein wenig zwischen uns hin und her geschaukelt, damit er wieder ein Gefühl für Bewegung und seinen Körper bekommt. Wie lange wohl wird es dauern, bis er seine Mitte wieder finden kann?

 

Martins Bettnachbarin, die sich gerade an Martin ein wenig gewöhnt hatte und ihn sicherlich nun auch ein Stück gespürt hat, wurde verlegt und ein alter, querschnittsgelähmter Mann liegt nun neben Martin.

 

Mit Sicherheit wird Martin diese Woche auch noch in ein Zimmer, raus aus der Wachstation verlegt. So ist es jedenfalls geplant vom Oberarzt der Station.

 

Die Schwestern und Pfleger sind den ganzen Tag am Rennen und haben sicherlich keine Zeit für Pausen, es geht hier auf der Station irgendwie zu, wie in einem Taubenschlag.

 

Früh am Morgen habe ich eine junge Ärztin gebeten, dafür zu sorgen, dass, wenn wir nicht bei Martin sind, öfters nach ihm gesehen wird. Auch sie meinte, hier könne nur eine Grundversorgung vorgenommen werden.  Aber sie nahm dann doch meinen Stundenzettel mit und sagte, sie wolle es versuchen und selber auch ein paar Mal nach Martin sehen, aber für Lange ginge das nicht.

 

Meine Güte, Martin hat sich das doch alles auch nicht ausgesucht und er ist doch Derjenige, der hier die allergrößten Problem hat.

Trotz der Kanüle aspiriert Martin wohl noch immer, ließ mich dann die Logopädin wissen, und es brauche alles Zeit. Na Prima, aber es hilft Martin doch jetzt auch nicht wirklich.

 

Am  Abend, nach dem Spätdienst, der es heute für mich auch in sich hatte, als Jürgen mich abholte und ich endlich im Auto saß, liefen bei mir nur noch Tränen.

 

Ich will meinem Kind helfen und kann es einfach nicht. mehr Ich habe nicht genügend Zeit für mein Kind, das mich nun eigentlich ständig braucht, und meine Kraft wird immer weniger, jeden Tag noch ein Stück weniger.

 

Hoffentlich halte ich noch durch bis ich endlich Urlaub habe und mich dann drei Wochen nur um Martin kümmern kann und versuchen muss, auch mich ein wenig zu erholen, wieder ruhiger zu werden.

 

 

Dienstag, 23. Juni 2009

 

Inzwischen ist mein Blutdruck auf 160/90 und auch manchmal sehr viel höher im roten Bereich. Der Doc meint, es sei kein Wunder und eine Reaktion des Körpers auf die Situation. Ich werde versuchen, Donnerstag einen Termin am Vormittag zu bekommen, zum EKG usw. Ich fühle mich nur noch krank.

 

Jürgen ist tatsächlich eine Woche krank geschrieben, die Psyche meldet sich auch körperlich bei ihm . Die zwei Monate haben nicht nur Martin geschafft.

 

Das Neueste aus dem KKH, Martin sollte am Donnerstag entlassen werden, zurück nach Markgröningen. Dass die PEG noch nicht gelegt ist, hat der Doc kurzfristig übersehen. Also, morgen oder übermorgen dann OP. Lieber Himmel, lass diesen Eimgriff  Martin gut überstehen, dann könnte er echt am Wochenende zurück zur Gruppe.

 

Aber das arme Kerlchen hat zurzeit keinerlei Muskeln mehr. Es wird ein Kraftakt für uns Alle, ihn wieder dahin zu bringen, dass er sein Köpfchen selber halten kann und länger in einem Rollstuhl sitzen kann und sich damit auch wohl fühlt.

Überfordern dürfen wir ihn auch nicht. In kleinen Schritten hat der Physiotherapeut heute zu uns gesagt, als wir wieder Sitzen auf der Bettkante für ein paar Minuten trainiert haben.

 

Alles kommt mir wie ein Riesenberg vor, den wir nie bewältigen können. Ich setze auf Martins Lebenswillen und die Kraft, die er wieder bekommen soll.

 

Wäre toll, wenn Ricky seinen Bruder am Samstag schon in der Wohngruppe besuchen könnte  und uns wäre auch wohler dabei. Hoffentlich schafft Martin es, stabil zu bleiben und hoffentlich kann er sich freuen, darauf, endlich raus aus dem KKH zu kommen.

 

Ich kann mir mein Kind gar nicht mehr ohne Schlauch aus der Nase und ohne Kathederbeutel vorstellen. Ob die Blase noch funktionieren kann, nach so langer Zeit mit Katheder?

 

Heute hatte sich der Klinikseelsorger gemeldet und wir haben lange geredet, nicht nur über Martin sondern über die Situation hilfloser Menschen im KKH allgemein. Es ist ein Trauerspiel, das sicher nicht besser wird. Aber nicht dafür auch offen zu sein, wäre falsch.

 

Wir sind so verblieben, dass ich ihn morgen Abend anrufe und erzähle, wie Martin den Tag überstanden hat, und wenn er nächste Woche doch noch im KKH sein sollte, wird der Klinikseelsorger versuchen, ein oder zwei Helfer für Martin zu finden. Er selber hat unseren Mausebär gestern schon besucht.

 

So habe ich einen guten, netten  Ansprechpartner und wenn nicht mehr für Martin, aber vielleicht für andere, hilflose Patienten, geht nun  ein kleines Türchen auf. Martins Geschichte hat ein Herz hier berührt.

 

Auf unserem Anrufbeantworter war eine Nachricht des Gemeindediakons, hier aus der Kirchengemeinde unseres Wohnortes. Er hatte erfahren, uns ginge es nicht gut und er wäre, falls wir das möchten, zu Gesprächen bereit.

 

Ich konnte mich nicht überwinden ihn an zu rufen. Mir fehlt die Zeit, mich jetzt auch mit ihm auseinander zu setzen, auch wenn es nett gemeint ist. Ziemlich genau muss ich meinen Tag einteilen und im Moment reicht es mir, wenn der evangelische Seelsorger ermöglichen kann, dass es Jemanden gibt, der sich an Martins Seite setzt, wenn wir nicht da sein können.

 

Irgendwann werde ich mich bei dem netten Diakon melden und ihm erklären, warum ich in dieser Zeit nicht auf ihn zu gekommen bin.

 

Für mich ist es schon ein großer Akt überhaupt um Hilfe zu bitten. Bislang haben wir das Meiste alleine regeln können, nun sind uns Grenzen gesetzt. Anderen Menschen zu helfen war nie ein Problem für mich und wenn wir/ich Hilfe gebraucht haben, mussten wir immer dafür bezahlen, was wir jetzt nicht mehr können in diesem Umfang, der nötig wäre.

 

Nun sind auch wir auf herzliche, ehrenamtlich tätige Menschen angewiesen.

 

 

Mittwoch, 24. Juni 2009

 

Dann wurde es heute doch nichts mit der Anlage der PEG. Die Terminvorstellung der beiden jeweiligen Oberärzte sieht anders aus und warten haben wir ja nun reichlich geübt. Dafür wurden die Fäden der Nähte des Tracheostomas gezogen, was für Martin und Jürgen schon heftig genug war. So lernen sie sogar die Wege durch die Keller des KKH kennen, um in andere Bereiche zu gelangen. Martin in seinem Bett und Jürgen als Begleiter , hinter her laufend.

 

Von dem netten Physiotherapeuten habe ich so Einiges gelernt in den jeweils 10 Minütchen. Und mir ist auch inzwischen klar, dass mein Hase auch völlig vergessen hat, wie es geht, sich zu bewegen. Nicht nur, dass die Muskeln atrophiert sind, wir müssen ihm langsam, immer wieder  zeigen, wie alles funktioniert. Geht aber im Moment nur zu zweit, da Martin extrem schlaff ist am ganzen Körper.

 

Es ist auch nicht alles ausgeschaltet, durch die Narbe der Hirnblutung, die tiefe Narkose und das lange Liegen haben Martins Gehirn einfach auch vieles vergessen lassen, was sicher wieder hervor geholt werden kann.

 

Nach dem Training mit dem Physiotherapeuten, habe ich Martins Beine noch eine Weile weiter bewegt und immer ihn wieder  aufgefordert, doch alles zu bewegen, was er bewegen kann. Dann habe ich seine Füße massiert - er bewegte seine Beine ein wenig und auf einmal  hob er seinen linken Unterarm etwas an. Er hat es auch noch ein zweites Mal geschafft, dann ging Nichts mehr.

 

Aber Martin hat mich verstanden und wahrscheinlich durch das Bewegen der Beine und das Massieren seiner Fußsohlen, konnte er sich für einen kurzen Moment wieder daran erinnern, dass er seinen linken Arm früher benutzen konnte.

 

Das zeigt ganz deutlich, wie wichtig KG und erinnern lassen ist und dass Martin dringend andere Möglichkeiten bekommen muss, sich zu erinnern.  Ich hoffe, dass wir ihn in einem halben Jahr wieder soweit haben, dass er in seinem Rolli gut sitzen kann, seinen linken Arm bewegen kann und vielleicht auch gelernt hat, wieder so zu schlucken, dass alles in seinem  Magen ankommt. So aussichtslos erscheint es mir jetzt  nicht mehr, Martin wieder zu mehr Lebensqualität zu verhelfen.

 

Durch die Medikamente ist Martins Hautzustand  an Rücken und Po sehr angegriffen und ich bete, dass sich die Haut wieder erholt und keine offenen Stellen entstehen, und wir um dieses Problem herum kommen.

 

Auf ein Antibiotikum hatte Martin allergisch reagiert und somit entstand ein großflächiger Hautausschlag, auf den sich wohl ein Pilz gesetzt hat.

 

Eine Pflegekraft erzählte mir wieder, dass hier Niemand Zeit hätte, meinen Sohn zu mobilisieren, also haben wir den Rollstuhl nach Markgröningen gebracht heute Abend. In der Hoffnung, Martin kann bald darin seine Gruppe wieder genießen.

 

Ich bin todmüde und werde, ohne Hausarbeiten zu machen, gleich ins Bett fallen.

 

Morgen habe ich dann selber einen Termin beim Doc. Mein Blutdruck macht mir Angst. Ich kann es mir nicht leisten, aus zu fallen. Zu dieser Zeit überhaupt nicht.

 

 

Donnerstag, 25. Juni 2009

 

Durch meinen Arztbesuch heute und die Pflichtfortbildung heute Nachmittag, werde ich nur  zwei Stunden bei Martin sein können und es  bricht mir fast das Herz.

 

Jürgen wird  bis Mittag bei ihm sein, Melanie kommt von 13-15 Uhr aber er wird ein paar Stunden alleine sein müssen. Diese Fortbildung ist für mich im Moment grausam, da sie auch zusätzlich mit zeitaufwendiger  Fahrzeit mit S- Bahn und Bus verbunden ist und ich brauche sie nicht wirklich. Ein absolut unpassender Zeitpunkt heute Nachmittag. Leider war kein Verhandeln darum möglich, meine Gründe zählen nicht. Dabei würde es absolut nichts ausmachen, wenn ich nicht an dieser Fobi teilnehme, für Niemanden.

 

Wenn die OP heute nicht stattfindet, wird Jürgen ein wenig mit Martin turnen, soweit es möglich ist. Wir sollten keine Zeit mehr ungenutzt lassen, in der Martin wach ist und bereit, sich auf Bewegungen an seinem Körper ein zu lassen. Ich bin mir sicher, dass wir dem jungen Mann helfen können, sich wieder an die Funktionen seines Körpers zu erinnern.

 

Das Anheben seines linken Unterarmes gestern, und wie er mich dabei angeschaut hat waren ein so deutliches Signal.

 

Nun müssen wir  zu sehen, dass wir genügend Mitarbeiter und Helfer in Markgröningen finden, die mit uns im Wechsel, zusätzlich zu KG und Logopädie, mit Martin Bewegungsübungen machen. Jedenfalls wäre es toll, wir würden Zeit und Helfer finden.

 

Wenn es ihm zu viel wird, zeigt er es durch Weinen, aber ich kann mir gut vorstellen, dass Martin bald selber erwartet, dass er diese Hilfen bekommt, weil er erkennt, wofür sie gut sind.

 

20.00 Uhr

 

Die PEG wurde heute noch nicht gelegt, aber soll morgen  dran kommen. Die zuständige Ärztin war heute bei Martin und hat mit Jürgen darüber gesprochen. Das heißt, wenn Martins Blutwerte dazu okay sind und die Temperatur entsprechend. Heute Nachmittag hatte Martin  wieder erhöhte Temperatur, schwitzte und war sehr kurzatmig.

 

Ich denke, Martin war aufgeregt, weil heute der HNO bei ihm war und die Wundränder des Tracheostomas gereinigt hat. Es muss sehr unangenehm gewesen sein.

 

Melanie war auch zu Besuch und ich denke, wenn Martin dann, vorausgesetzt es läuft Alles optimal, am Montag zur Gruppe zurück kehrt, ist Alles gut vorbereitet. Es wird ein heftiges Stück Arbeit werden für alle Beteiligten, was nun kommt.

 

In der Nacht hatte ich einen unangenehmen Traum. Jemand hätte Martin das laufende Antibiotika einfach wieder abgehängt und die Flasche weg genommen. Martin war sehr verzweifelt und ich auch.

 

Gestern Abend hing die 10. Dosis  und länger sollte er es auch nicht bekommen.

 

Einen Zwischenbericht haben wir gelesen, und da wird bestätigt, dass Martin doch zwei Blutungen in seiner rechten Hirnhälfte hatte. Oh man, was hat er alles mit machen müssen bis heute und was kommt noch dazu?

 

Den Klinikseelsorger haben wir heute auch persönlich kennen gelernt und er wird Martin am Montag nochmals besuchen. Vielleicht wäre es gut gewesen für uns, schon früher Kontakt zu ihm bekommen zu haben, aber daran habe ich einfach nicht gedacht in dieser schlimmen Zeit.

 

Nun bete ich, dass mein Kind die Nacht gut übersteht und endlich den Weg wieder nach draußen gehen kann, nach vollen zwei Monaten.

 

Als ich heute bei meinem Hausarzt war, war mein Blutdruck noch höher und er hat mir ACE Hemmer verordnet. In einer Woche etwa müssten sie Wirkung zeigen.

 

21.00 Uhr

 

Martin wird definitiv noch nicht am Montag entlassen. Gerade kam ein Anruf aus dem KKH. Er hat einen Rückfall der Lungenentzündung. Ich dachte es mir fast nach meinem Traum und wie traurig mein Kind  heute wieder  war.

 

Nun heißt es wieder warten, die PEG kann  nun doch nicht gelegt werden und wahrscheinlich schicken sie Martin wieder auf die Intensivstation.  Nach dem Drama der letzten Episode eigentlich nur logisch.

 

Das Tracheostoma  muss er sicher  noch lange behalten, da müssen noch viele andere Dinge vorher erst wieder gut laufen. Dabei wird genau das die Ursache der Pneumonien sein, vermute ich stark.

 

Ich könnte schreien und mir die Haare ausraufen. Wie lange muss Martin noch so entsetzlich leiden? Nimmt es denn nicht endlich ein Ende?

 

Jedes Mal,  wenn es ihm ein bisschen besser geht, kommt immer wieder ein weiteres Drama dazu. Ich weiß nicht mehr, wie ich ihn noch trösten soll, was ich dem kleinen, unglücklichen Kerlchen noch sagen soll.

 

Wie kann ich wieder zu Kräften kommen um meinen Sohn  mehr und besser unterstützen zu können?

 

Wie gerne möchte ich nur einen Tag wieder ganz unbeschwert sein können und wissen, meinen Lieben geht es Allen gut.