25. August bis 31. August 2009

 

Dienstag, 25. August 2009

 

Wie ungerne ich Martin immer noch so alleine in der Einrichtung zurück lasse.

 

Man merkt immer, wer Dienst hat. Einige Mitarbeiter sind mit Herz und Kopf dabei, andere machen ihre Arbeit, jedenfalls das Notwendigste. Aber so kann es nicht optimal laufen in einer Einrichtung, die eigentlich über die Pflege hinaus konzeptioniert ist und ein richtiges zu Hause für ihre Bewohner darstellen soll und nicht eine Verwahrung bis zum Ende.

 

Nachdem wir Martin heute Abend in sein Bett gelegt hatten, war er guter Dinge, hat sogar länger anhaltend gelächelt. Nach etwa einer halben Stunde musste er so stark husten, dass er dabei reichlich von seiner Sondennahrung erbrochen hat.

 

Normalerweise wäre er einfach nur alleine gewesen und ich habe Angst, dass er irgendwann aspiriert und erstickt und niemand etwas davon  mitbekommt.

 

Es gibt auch keine Möglichkeiten mehr, etwas an dieser Situation des nur geparkt werdens zu ändern. Der niedrige Personalschlüssel, die unterschiedliche Auffassung des Personals sind mehr wie traurig und meiner Meinung nach auch gefährlich für hilflose Menschen wie Martin.

 

Irgendwie ist für unsere Familie dieses Jahr ein sehr schlechtes Jahr.

 

 

Mittwoch, 26. August 2009

 

Jetzt erst fange ich an, so richtig zu verarbeiten, was mit meinem Kind geschehen ist und es tut sehr weh.

 

Ob es Martin wohl je wieder richtig gut gehen kann? Ich kann es nur allzu gut verstehen, dass er immer mehr verzweifelt an seiner Hilflosigkeit und der Kälte, die ihn teilweise umgibt.

 

Immer wieder bin ich am überlegen, ob es  nicht doch besser ist, ihn wieder nach Hause zu holen, wenn ich doch wieder arbeitslos bin. Aber würde das nicht eine Art Isolation sein für mein Kind? Würde er dann nicht noch weniger erleben, als in der Einrichtung?

 

Es ändert sich so gar nichts und Martin ist sehr oft alleine, steht einfach nur vor der Glotze oder liegt in seinem Bett. Er bräuchte Menschen, die für ihn da sind. Im Moment habe ich das Gefühl, es wird immer weniger an Zuwendung, was er bekommt.

 

Jürgens Kräfte sind aufgebraucht und ich müsste Martin völlig alleine versorgen und wäre dann selber fest genagelt im Haus.

 

Was ist nur richtig? Wer kann uns nur wirklich helfen, damit es Martin wieder gut gehen kann?

 

 

Donnerstag, 27. August 2009

 

Bitterlich hat Martin wieder geweint, nachdem er uns freundlich lächelnd begrüßt hat.

 

Er lag in seinem Bett, hatte geschlafen, bis wir kamen. Das Beste , was er bei dieser Hitze tun kann.

 

Und immer wieder erwartet er Hilfe von uns und kann nicht verstehen, dass wir an seinem Elend, sich nicht mehr bewegen zu können, nicht mehr reden und essen zu können, absolut gar  nichts ändern können.

 

Mit nicht mal 23 Jahren plötzlich einfach gar nichts mehr eigenständig machen zu können ist bitter.

 

 

Freitag, 28. August 2009

 

In der Nacht habe ich geträumt, ich habe  wunderbare, kleine Zwillinge, die so fit und munter sind.

 

Immer wieder wünsche ich mir Martins Gesundheit zurück, die guten Zeiten, die wir hatten. In meinen Gedanken, wenn ich über meinen Tod, meinen Abschied aus dieser Welt nachgesonnen habe, habe ich immer drei Kinder zurück gelassen, denen es gut geht und die mich nicht mehr brauchen, wenn ich nicht da bin.

 

Sollte ich nun krank werden und diese Welt verlassen müssen, muss ich ein Kind zurück lassen, dem es sehr schlecht gehen wird, für den Rest seines Lebens. Das habe ich nie gewollt. Ich wollte sterben dürfen  mit der Gewissheit, es geht meinen Lieben gut und sie brauchen mich nicht mehr.

 

Bei Martin gibt es derzeit nicht viel Neues. Er ist wohl weiterhin stabil im Moment und sehr unglücklich über seinen Zustand. Gestern hat er bitterlich geweint, sicher, weil er sich kein bisschen bewegen kann und nicht an den Mahlzeiten teilnehmen kann, oft einfach nur geparkt wird und das wars dann.

Die Kopf und Rumpfkontrolle entwickeln sich leider  auch nicht weiter, so wie wir es erhofft hatten. Aber wir üben weiter, jeden Abend.

Nun hat Martin bald Geburtstag und wir wissen einfach nicht mehr, was wir ihm noch schenken können und was für ihn einen Sinn macht.

Ich habe den nächsten Termin am 2.9. beim AA und inzwischen meine Pakete an Papieren  zum ausfüllen und zum ausfüllen lassen bekommen. Hat mich tatsächlich fast drei Stunden gekostet, bevor ich alles auf den Weg bringen konnte. Hätte ich mir auf meine alten Tage nicht träumen lassen, dass ich mich damit nochmals stressen muss.

Bin am Überlegen, ob es einen Sinn macht, wenn ich in die Ortschaften fahre, oder in die Stadt, und in jeden Laden und jedes Büro, jede Einrichtung oder was auch immer auf meinem Weg liegt, gehe und persönlich nach Arbeit frage.

 

Ricky hat mir heute gemailt, dass, auch wenn wir es im Moment nicht erkennen können, vielleicht doch alles, was geschehen ist,  einen Sinn ergibt.

Bei Martins Drama fällt es mir allerdings arg schwer, das so zu sehen. Wenn es für mich eine positive Veränderung, Jobmäßig, geben würde, okay.

Wir waren heute während der Abendbrotzeit in der Einrichtung und haben beobachtet, wie Steffi eine Banane mit Ketchup  gefuttert hat. Jeder Anwesende war verwundert und es gab Gelächter und Steffi meinte nur, es sei lecker.

Gibt also auch mal was Lustiges so nebenbei, auch wenn es für mich ein totales Igitt ist. Für mich gehört Ketchup nun mal auf Pommes.

 

Naja, Ricky verschlimmbessert viele Gerichte mit heftig viel Chillisauce, Jürgen nimmt Senf auf Schnittkäse, da ist Steffis rote Banane vielleicht einfach nur angemessen in der Esskultur unsererer Familie.

 

 

Samstag, 29. August 2009

 

Schäferlauf in Markgröningen. Das High Light des Jahres in dieser Gemeinde und weit über ihre Grenzen bekannt. Es sind nicht genügend Mitarbeiter da, um mit den Bewohnern der Gruppe zu den Festivitäten  gehen zu können, die in der Lage dazu wären.

 

Steffi hat keine Lust, Martin kann nicht. Steffi will mit Papa lieber einkaufen gehen, dann mit einer Betreuerin Spaghetti zum Abendbrot kochen, das ist ihr wichtiger.

 

Zumindest bringt sie Martin das obligatorische Autole an sein Bett, mit den Worten- für Dich mein Schatz- mehr will sie von Martin nicht wissen. Martin fallen die Augen zu, er schläft so tief und fest, dass er nicht einmal durch heftiges Husten und mein ihn Absaugen, wach wird.

 

Vielleicht spürt er ja doch, dass ich drei Stunden neben ihm sitze, er weiß ja, morgen, am Sonntagmittag, sind wir wieder da und haben Zeit für ihn.

 

Martin verschläft den ganzen Nachmittag und wird auch nicht wach, als Jürgen mit Nono kommt, um mich ab zu holen.

 

Steffi ist stolz auf die Spaghetti mit roter Soße , bei deren Fertigstellung sie mit helfen durfte , und dass die Bewohner der Gruppe sie gerne essen.

 

Wie glücklich wäre Steffi, wenn sie in einer überschaubaren Küche arbeiten könnte. Ich hoffe immer noch, dass die Einrichtung ihre Küche wieder eröffnet und selber kocht, für alle Bewohner und Mitarbeiter. So wie ganz früher, lange vor unserer Zeit.

 

Irgendwann war es wohl leider billiger, die Mittagessen von außerhalb zu beziehen und die Wäsche der Bewohner an eine Fremdfirma zum waschen zu  vergeben. Ganz zu schweigen, von den Einsparungen an Personal.

 

Dabei gäbe es hier viele Bewohner, die auch in diesem Bereich ihre sinnvolle Aufgabe finden würden.

 

 

Sonntag, 30. August 2009

 

Wieder geht ein trauriger Sonntag zu Ende. Bis auf das Formel 1 Rennen im TV, das Martin im Bett liegend, mit Mama und Papa anschaute, hatte Martin wenig Freude. Wie so oft hat er heftig geweint, sogar bei unserem Spaziergang über das Einrichtungsgelände.

So langsam kommen auch mir wieder ständig die Tränen, wenn ich das unglückliche Kerlchen anschaue und über seine Lebensperspektive nachdenke.

 

 

Montag, 31. August 2009

 

Immer noch kein Ende mit der großen Hitze. Ich kann nichts davon spüren, dass wir wieder auf eine Eiszeit zugehen, es sei denn, in manchen zwischenmenschlichen Beziehungen.

 

Martin wird sich nicht daran gewöhnen, sich nicht mehr bewegen zu können und den Rattenschwanz, der an diesem traurigen Umstand dran hängt und ich mich auch nicht.

 

Wenn ich ab Oktober wieder arbeitslos bin und wahrscheinlich mehr Zeit habe, werde ich versuchen, mehr Verordnungen für KG für Martin zu bekommen. Dann kann ich mich ausschließlich auf diese Dinge konzentrieren. Ich gehe nicht davon aus, dass ich mit 56 Jahren wieder eine Arbeitsstelle finde, die von den Anforderungen für mich so zu bewältigen ist, wie meine Nocharbeitsstelle. Naja, immerhin hatte ich 1 ½ Jahre das Vergnügen, befristet. Ich werde die Kolleginnen und Bewohner sehr vermissen und im Moment tut mir jeder Tag, den ich noch arbeiten muss, weh.

 

Eine Kollegin wird wohl aufstocken, wie sie mir gestern mitteilte und es täte ihr sehr leid, dass ich gehen muss.

 

Immer wieder sage ich mir, dass ich die Dinge, von denen ich definitiv weiß, dass ich sie nicht ändern kann, annehmen muss. Aber in mir schreit es um Gerechtigkeit. Martin hat es nicht verdient, was ihm geschehen ist und warum mir das Schicksal diese kleine Arbeitsstelle nicht vergönnt, ist mir ein Rätsel.