26. Juni bis 1. Juli 2009

 

Freitag, 26. Juni 2009

 

Ich bin unendlich traurig  und kraftlos heute Morgen. Jürgen ist nun zu Martin gefahren und mir graut echt vor den nächsten Wochen. Wir müssen wirklich auf fremde Hilfe zurückgreifen in der Begleitung von Martin ab der nächsten Woche. Der Gedanke, dass Martin schon bald nach Markgröningen zurück kehren  kann, war schön, aber nun ist erst mal wieder die Seifenblase geplatzt.

 

Nun werde ich drei Stunden lang ein wenig den Haushalt ordnen, mich eine Stunde ausruhen und dann nach Ludwigsburg fahren, Jürgen ablösen. Es geht mir einfach nicht mehr gut mit all dem Traurigen auf meinen Schultern.

 

Jürgen wird heute tagsüber  endlich die Hecke zu den hinteren Nachbarn bearbeiten, wir sind damit schon gute zwei Monate überfällig und es sieht nicht mehr stimmig aus. Solche Dinge müssen sein, auch wenn sie eigentlich unwichtig sind in Anbetracht von Martins Leidensweg.

 

20.00 Uhr

 

Es ist ein Drama dieses Kindchen so leiden zu sehen. Ein fieses Bakterium war resistent gegen die beiden Antibiotika, die schon richtige Hammermedikamente sind, und hat sofort Chaos veranstaltet, schon nach ein paar Stunden ohne Antibiose waren die Leukozyten auf 37000. Nun bekommt Martin die nächsten Keulen und es geht ihm elend. Seine Haut hat durch diese Medikamente von Rücken bis Hinterkopf durchgängig einen   Wahnsinnsausschlag und nun ist es auch zu allem Überfluß wettermäßig wieder so irre heiß und schwül.

 

Martin  muss auch auf die linke Seite gelagert werden und da diese Seite immer seine aktive Seite war und er es immer abgelehnt hat, linksseitig gelagert zu werden, ist diese Notwendigkeit ein weiterer Stressfaktor für ihn. Er weint in einer Tour und regt sich heftig auf, wenn er nicht gerade vor Erschöpfung schläft.

 

Im Moment wünsche ich mir, wenn mein geliebtes Kind  schon nicht mehr gesund werden kann, dass es  erlöst wird. Es ist Alles nicht mehr zu beschreiben und man kann es auch nur verstehen, wenn man Martin täglich begleitet und ihn auch spüren kann.

 

Im Moment sehe ich nicht mehr, dass mein Kind noch einmal lebend aus diesem Wahnsinnsapparat KKH raus kommt. Und wenn, er ist so empfindlich, sein Immunsystem ist völlig am Boden. Wie lange würde er es noch  schaffen?

 

Nun soll wieder in seinen Hals ein Venenkatheder gelegt werden, weil es Nirgendwo sonst mehr geht an seinem geschundenen, inzwischen ausgemergeltem Körper, ständig wird meinem Kind weh getan. Wenn wir nicht da sind, ist Niemand da, der Martin tröstet oder seine Hand hält und wir schaffen es nicht 24 Stunden durchgängig im KKH zu bleiben. Wieder liegt ein Wochenende vor uns, die Wochenenden waren immer die schlimmsten Tage in diesen  letzten Monaten.

 

An Krankengymnastik war gestern und heute gar nicht zu denken, in diesem Zustand tut es Martin schon weh, nur gelagert zu werden. Wenn er die Stimme des netten Physiotherapeuten schon hört, verzieht er sein Gesicht zum Weinen.

 

Martin produziert irre viel Schleim, muss ständig abgesaugt werden und ich weiß nicht, wie oft nach ihm gesehen wird, wenn wir die Station verlassen haben. Martin ist dort ein Patient von Vielen und bekommt keine Sondereinheiten, auch wenn er sie noch so sehr verdient hätte und wenn er sicher, immer noch, das hilfloseste Wesen im Moment auf dieser Station ist.

 

Was, soll man wie, einem Menschenwesen noch sagen, das nur noch weinen kann, dem es nur noch schlecht geht? Das  regelmäßig und immer wieder knapp an der Grenze zum Jenseits  liegt? Wir wissen es nicht mehr, uns fehlen die passenden Worte für unser Kind, wir haben auch für uns selber nicht mehr die passenden Worte.

 

Morgen wird Jürgen Martin wieder die Haare kürzen mit der Maschine, wie häufig muss es noch im KKH geschehen, oder wie häufig ist es überhaupt noch nötig und möglich?

 

 

Samstag, 27. Juni 2009

 

Schon wieder ist mir übel am frühen Morgen. Jürgen ist schon kurz nach 6 Uhr los gefahren zum KKH. Er wollte mich schlafen lassen. Als ich den laufenden Motor unseres Autos durch die geöffnete Balkontür zu unserem Schlafzimmer gehört habe, bekam ich erst mal Panik. Aber das Telefon hatte nicht geklingelt in der Nacht oder am Morgen.

 

Wir stehen normaler Weise immer um 4.30 Uhr, um in Ruhe den Tag beginnen zu können und Jürgen geht mit unserem Hundchen noch eine Runde Gassi, bevor wir zur Arbeit aufbrechen oder zu Martin fahren.

 

Jetzt hoffe ich, dass Martin die Nacht gut überstanden hat und dass Ricky nicht zu spät hier ankommt, damit wir Jürgen  ablösen können.

 

Man kann sich nur schwer  vorstellen, wie anstrengend die Stunden an Martins Seite im KKH sein können, welche Ängste auch wir ständig aus stehen, mit ihm und um ihn.

 

Ich muss immer wieder aufstehen, mich ein wenig bewegen können, damit ich nicht selber ganz steif werde. Mein Nackenbereich ist total verspannt inzwischen, durch das lange Sitzen und die sicher unnatürliche Haltung zu Martin hin, der immer wieder um  gelagert werden muss. Interessant ist, dass auch ich, obwohl ich mich nicht mehr richtig ernähre seit April, noch kein Gramm abgenommen habe. Ich nehme nur Obst zu mir, zwei Vollkornbrötchen ohne Belag und am Abend etwas Brot mit Fisch und Tomaten und Gurken, oder zwei Eier. Jeden zweiten Tag gönne ich mir ein Zitroneneis. Irgendwie hält mein Körper noch das Gewicht fest, was eh viel zu viel ist, vielleicht habe ich auch durch das viele Sitzen zu wenig Bewegung, um jetzt etwas der Reichlichkeit ab zu bauen. Andere Menschen wären durch solche Stressmonate schon richtig abgemagert und bei mir geschieht genau das Gegenteil.

 

Zum Kochen komme ich eh nur noch selten, wann auch und wie?  Aber heute gibt es Vollkornspaghetti mit selbst gemachter Tomatensoße und Rohkostsalat aus Möhren, Porree, Äpfeln, Pilzen und frischen Kräutern aus dem Garten.

 

Wir freuen uns auf den Besuch von Ricky und wissen doch, dass es wieder ein trauriger Tag wird für uns Alle.

 

20.00 Uhr

 

Heute Nacht wurde wieder ein CT von Martins Köpfchen gemacht, weil man vermutete, eine weitere Hirnblutung sei eingetreten. Das CT ist aber glücklicher Weise okay.

Der Grund war, dass bei Martin die Pupillen nicht gleich groß und auch nicht rund waren, als mit der Taschenlampe die Pupillenreaktion getestet wurde von der Nachtwache. Was immer da wieder am Brodeln ist, wir kennen diese Pupillenreaktion nicht von Martin. Allerdings konnte ich es so, auch heute tagsüber beobachten. Hoffentlich ist es nicht wieder ein schlimmer Vorbote von der nächsten Katastrophe. Ricky sagt mir, ich soll nur positiv sehen und denken, nur auf die positiven Dinge achten. Normalerweise denke ich auch so, aber beim allem, was Martin seit April widerfahren ist, fällt es mir sehr schwer. Ich gefalle mir selber nicht in dieser Rolle, immer mit Angst im Bauch und den angstbesetzten Gedanken, was wohl als Nächstes kommt.

 

Bislang war es leider die Regel, ging es meinem Mausebär etwas besser, kam gleich die Keule hinterher.

Heute war Martin  sehr weinerlich und schmerzempfindlich, hat aber seinen großen Bruder mit einem süßen Lächeln empfangen. Er hätte uns alle am Liebsten immer ständig um sich und es ist auch oft mehr wie notwendig, Martin in seinem Elend nicht alleine lassen zu müssen. Wenn Ricky nur nicht so weit entfernt wohnen würde.

 

Durch die auf Kipp  geklappten Fenster können wir Bruchstücke der Musik und des Treibens , des Ludwigsburger Marktplatzfestes hören, das heute statt findet  und ich stehe am Fenster neben Martins Bett, schaue auf die Menschen die vor dem KKH laufen und sitzen  und empfinde, dass das Leben da draußen statt findet, wir aber abgekapselt sind in einer Anderwelt.

 

Wir drei Besucher  waren dabei, als  eine neue Magensonde durch die Nase gelegt wurde bei Martin und wie sehr das Kind leidet unter dem Husten und dem Absaugen.

 

An der Sonde befindet sich ein Gleitmittel und Amnästisiegel, aber es ist  trotzdem eine unangenehme Angelegenheit. Die Schwester wollte Martin etwas Gutes tun und hatte eine dünne Nasensonde genommen, die sich aber leider intern verhakt hatte und dabei wohl Schmerzen verursacht hatte. So musste die Prozedur mit einer dickeren Sonde wiederholt werden. Die dickere Sonde ging allerdings gut durch und saß beim ersten Versuch des Legens richtig.

 

Beim Abhusten scheint Martin Schmerzen zu haben, er weint fast jedes Mal und das leidige, notwendige Absaugen ist auch äußerst unangenehm.

 

Dafür ist die Schwester, die heute Dienst hat,  sehr nett und bemüht und ich bedaure, dass sie nicht öfters Dienst in Martins Zimmer hat. Sie redet mit ihm und hat sogar Nils, unsere Handpuppe benutzt, als Jürgen und ich uns verabschiedet haben.

 

Ricky wollte in der Zwischenzeit seine Schwester Steffi besuchen in  der Wohngruppe, kam aber dummerweise zur Abendbrotzeit dort an und wurde nur kurz von Steffi begrüßt, die schon mit Messer und Gabel am Esstisch saß. Jürgen war am Nachmittag mit Steffi einkaufen, aber wäre er zur Mittagszeit dort aufgekreuzt, wäre Steffi auch erst nach der Mahlzeit mit Papa zum Einkaufen gefahren.

 

Typisch Down-Syndrom. Alles muss nach Plan laufen, Abweichungen stören nur den Tagesablauf. Für Ricky war es natürlich traurig, aber so ist Steffimaus  nun mal. Erst in Ruhe die Mahlzeiten, dann der Rest.

 

Die Gruppe hat inzwischen ein großes Trampolin vor der Terrasse stehen und Steffi betätigt sich endlich sportlich. Trampolinspringen war schon in der Schule eine geliebte, sportliche  Tätigkeit von Steffi und Martin hätte seine Freude daran, seiner Schwester beim Trampolinspringen zu zuschauen.

 

Grausam ist, dass er wahrscheinlich  in diesem KKH Zimmer nun schon den zweiten Sterbefall mit erleben wird.

 

Nun hat Ricky netterweise in unseren PC eine andere Festplatte eingebaut und ich kann endlich wieder gut lesen und arbeiten an der Kiste. Mit dem Laptop bin ich eher aufgeschmissen, da ich die hellen Seiten schlecht sehen kann und die Tasten zum Schreiben sind zu zierlich für meine rustikalen Finger.

 

 

Sonntag, 28. Juni 2009

 

Jürgen ist wieder kurz nach sechs Uhr los gefahren und Ricky wird mit mir, gegen Mittag, bevor er nach Hause fährt, nochmal mit ins KKH kommen, sich von Martin verabschieden- bis in ein paar Wochen.

 

Leider war mir aus Zeitmangel ganz entgangen, dass es so einige neue Bewohner in unserem Gästezimmer, unter dem Dach gibt. Rickys Freundin  hätte wohl nicht dort geschlafen, wenn sie die Spinnen wahr genommen hätte.

 

Mich persönlich stören Spinnen nicht, da sie sich um die Entsorgung von Insekten kümmern, sind sie mir sogar angenehme Lebensgefährten. Ich jage ganz bestimmt nicht hinter ihnen her.

 

In den nächsten Tagen werden wir einen Brief an die Einrichtungsleitung schreiben, um sicher zu stellen, dass Martin auch, nicht nur durch die Gruppenmitarbeiter, als wieder förderungswürdig angesehen wird. Nicht dass der Gruppe Personal entzogen wird, weil der Gedanke entsteht, dass Martin ja nur noch im Bett liegen könne und somit nicht mehr viel Arbeit macht.

 

Inzwischen wissen wir, dass es durchaus auch Meinungen in der Einrichtung gibt, die genauso aussehen. Man soll es nicht für möglich halten, wie gleichgültig und einfach gestrickt manche Leute denken können.

 

Wir werden Martin weiterhin  begleiten müssen und auch richtig mit ihm arbeiten müssen, zumindest, bis er sich wieder dran erinnern kann, wie bewegen und kommunizieren funktioniert.

 

Aber erst mal muss er so stabil werden, dass er wirklich endlich wieder zur Gruppe zurückkehren kann.

 

Hoffentlich ist es mit diesen Antibiotika dann auch wirklich so, dass alle Erreger vernichtet sind und nicht wieder ein Rezidiv nachkommt.

 

20.00 Uhr

 

Das war wieder ein sehr anstrengender Tag für mein Bärchen. Der heftige Husten und das Absaugen kosten Martin viel Kraft.

 

Ricky hat sich auf den Heimweg begeben, als Martin wieder mal in den OP Bereich rein schauen musste, um einen neuen Venenzugang gelegt  zu bekommen. Ein junger Arzt hat es recht schonend und flott hin bekommen. Da am Sonntag dort kein Regelverkehr ist, durfte ich mit dabei sein und Martin gut zureden und ein bisserl ablenken. Ich habe Martin erzählt, dass Ricky heute Abend wieder arbeiten muss und er nun los fahren musste, weil er eine weite Strecke vor sich hat. Martin hat mir zugehört, aber den jungen Arzt dabei richtig gehend ab gescannt mit seinen Augen. Als wir dann wieder vor der Tür ankamen, suchten Martins Augen nach seinem großen Bruder, aber der war ja schon auf dem Weg nach Hause. Wegen der Stocherei in seinem Arm hat mein Hase keine Miene verzogen, aber Ricky nicht mehr da, war dann ein größeres Drama. Dabei hat er Ricky wieder so toll an gelächelt, als er heute Vormittag neben sein Bett trat. Es ist für meinen jüngsten Sohn immer noch schwer zu verstehen, dass alle Menschen, die er mag, auch ein eigenes Leben haben.

 

Immerhin blieben Martins Werte heute so stabil, dass er morgen wieder für das Legen der PEG angemeldet ist. Ich habe extra darum gebeten, ihm gleich am Morgen ein Mittelchen zu geben, dass er erst gar nicht in einen Streßzustand kommt,  und voller Panik ist.

 

Allerdings bin ich mir nicht sicher, wie es mir morgen Vormittag damit geht. Ich weiß, dass es kein schlimmer Eingriff ist und dass Martin die Magensonde braucht, und trotzdem sträubt sich in mir Alles dagegen.

 

Bitte lieber Himmel, lass mein Kind endlich wieder in seine Welt zurück kehren. Jeder Tag mehr in diesem Haus tut uns Allen weh. Wir wollen doch weiter leben- draußen, außerhalb dieser Krankenhauswelt.

 

 

Montag, 20. Juni 2009

 

Irgendwie ist in mir wieder eine Unruhe und ich habe richtigen Bammel vor dem heutigen Tag. Möge mein Kind diesen Tag und den Eingriff gut überstehen bitte ich, ohne jetzt, um 5 Uhr früh, zu wissen, wie Martin die letzte Nacht überstanden hat.

 

20.00 Uhr

 

Für Martin war es mal wieder ein heftiger Tag und er tut mir in der Seele leid.

 

Das Beruhigungsmittel, dass er am Morgen bekommen hat, hat nur wenig gewirkt. Er hat sehr genau gespürt, dass heute wieder üble Dinge mit ihm geschehen.

 

Sein verzweifeltes Weinen hat mir Alles gesagt.

 

Als mein Sohn abgeholt wurde von dem jungen Mann, der die Patienten in ihren Betten hin und her befördert, ich an seiner Seite, kam wieder dieser traurige, flehende Blick—Mama hilf mir doch endlich.

Es fiel mir sehr schwer, den armen Jungen zu beruhigen. In mir sah es auch schrecklich aus. Immer wieder kommen mir Zweifel, ob das alles so richtig ist, ob Martin diese Dinge wirklich alle braucht, die ihn so sehr quälen.

 

Ich durfte vor dem OP warten bis Martin von einer Schwester hinein gefahren wurde. Sie kam nach ein paar Minuten nochmal zu mir in den Warteraum um sich das Okay zu holen, Martin im Bauchbereich rasieren zu dürfen.

 

Trotz meines Medikamentes spürte ich, wie mein Blutdruck immer höher stieg. Wenn er letzte Woche bei meinem Hausarzt schon 170/100 war, dann war er heute sicher bei 250, so wie sich mein Kopf anfühlte. Stressblutdruck, ich kann einfach nichts dagegen tun.

 

Ich will nicht  dass mein Kind leidet, dass es Schmerzen hat, dass es Angst hat, dass es ihm schlecht geht und doch passiert es seit zwei Monaten nur noch, ohne, dass ich es beeinflussen oder verhindern kann.

 

Nach einer halben Stunde ließ mich die Schwester wissen, dass sie fertig seien und Martin nun im Aufwachraum bleiben müsse, sie würde mich dann rufen. Nach zwanzig Minuten bin ich dann einfach in den Aufwachraum gegangen. Martin hatte die Augen auf und sah mich verzweifelt an.

 

Nach weiteren zehn Minuten waren wir wieder zurück auf der Station.

 

Martin begann heftig zu Husten und auch zu erbrechen, alles tat ihm weh. Dann begann er wieder wärmer zu werden. Ab 13 Uhr war er dann nur noch am Schlafen, zwar sehr unruhig, aber er schlief.

 

Schweißperlen bildeten sich auf seinem Köpfchen und am Abend musste er wieder Fieber senkende Medikamente bekommen. Einen Teil seiner Tagesmedis bekam er durch die Venen und nun den Rest gemörsert mit den erlaubten 250ml Wasser für heute,  durch seine neue Sonde.

 

Als Jürgen und ich am Abend gegangen sind, war er noch nicht wieder aufgewacht.

 

 

Dienstag, 30. Juni 2009

 

Heute habe ich wieder Frühdienst und eine nette Dame der Hospizgruppe Ludwigsburg hat sich Zeit genommen wird ab acht Uhr bei Martin sein. Der evangelische Seelsorger hat sich erfolgreich für uns eingesetzt.

 

Angst um meinen Sohn habe ich trotzdem noch eine ganze Menge im Bauch.

 

20.00 Uhr

 

Heute Nachmittag hat uns der Oberarzt ganz offen gesagt, dass sie Martin nicht mehr stabil bekommen. Die Antibiotika die er bekommt, kosten bummelig 4000Euro pro Stück und seine Lunge ist wohl nicht mehr frei zu bekommen. Wir drehen uns immer wieder im Kreis.

 

Martin wird  wohl nächste Woche auf gut Glück zurück zur Wohngruppe entlassen und es steht 50% zu 50%, ob er es schafft, wieder wirklich stabil zu werden. Austherapiert nennt man diesen erschreckenden Zustand.

 

Ich habe den Arzt gefragt, was er machen würde, wenn es sein Kind wäre und er hat geantwortet, dass er es nicht weiß.

 

Es wurde Alles versucht, immer wieder, aber so wie es aussieht, spricht Martins Organismus auf Nichts mehr an.

 

Martin selber fühlt, dass es ihm einfach nicht besser geht und er weint und weint. Ich kann mein Kind mit Nichts mehr trösten und komme mir unheimlich link vor, dass ihm jedes Mal, wenn wir im KKH irgendwo hin gebracht haben, immer wieder aufs Neue Schmerzen zugefügt  werden.

 

Ein Funken Hoffnung ist noch, dass ihm vielleicht die Freude, wieder zurück zu kehren zu seiner Wohngruppe, die positive Kraft gibt, sein Immunsystem  wieder aufblühen zu lassen.

 

Der  Besuch der Hospizhelferin hat Martin gefallen und sie hat sich auch wohl gefühlt mit ihm. Ihr fiel auch auf, dass es schwer für ihn ist, den Tag gut zu überstehen. Schmerzvolles Blut abnehmen, nicht nur nette, auch burschikose Schwestern und Ärzte  und ein trister Tagesablauf.

 

Sandra von der Wohngruppe hat die Hospizhelferin  dann abgelöst und ich war um 12.30 Uhr wieder bei meinem Kind. Dann ging es gleich zum Röntgen und das ewige, schmerzhafte Absaugen, die Hitze draußen lassen erst gar wohl fühlen können auf kommen. Bei unseren Nachbarn zeigte das Thermometer im Garten  47 Grad, mittags in der Sonne.

 

Wir sind dankbar für die nette, verständnissvolle Hilfe, die wir nun für Martin bekommen haben.

 

Ansonsten fühlen wir uns hilflos, traurig, ausgelaugt.

 

Was können wir denn für Martin nur noch tun? Er bekommt unsere Liebe und sehr viel, von unserer Zeit, aber wie bekommen wir das Kerlchen wieder gesund?

 

 

Mittwoch, 1. Juli 2009 - unser Hochzeitstag

 

Unser einziger Wunsch ist, dass es Martin wieder besser gehen kann und dass wir durchhalten mit ihm, egal für welchen Weg er sich entscheiden muss.

 

Wir brauchen mehr Kraft und Gesundheit, mehr Stunden für jeden Tag und mehr Helfer.

 

Morgen wird sich wieder eine Hospizhelferin  ein paar Stunden zu Martin setzen am Morgen und am Nachmittag Siggi aus der Gruppe. Nun wird mir die Zeit, die ich in meinem Leben für andere Menschen da war, ein Stück zurückgegeben und ich bin sehr dankbar dafür, dass mein Kind nicht solange alleine sein muss.

 

20.00 Uhr

 

Heute war für Martin und mich ein schrecklicher Tag. Es sind keine guten Venen mehr zu finden um einen  neuen Zugang zu legen oder Blut ab zu nehmen.

 

Eine Ärztin hat etliche Male gepiekst und dann wurde ein Notarzt dazu gezogen der beim vierten  Mal Glück hatte. Sogar im Fuß hat er es probiert und Martin musste Schmerzen aushalten, es war einfach nur schlimm.

 

Aber es liegen nun noch vier Tage teure Antibiotika vor ihm gegen diese Krankenhauskeime in seiner Lunge und dann wird er Anfang nächster Woche entlassen und wir hoffen, er packt es.

 

Am Morgen empfing mich ein weinender Martin und ich habe mich durch gefragt, welches Problem er konkret hat. Er hatte Bauchschmerzen. Im Lauf des Tages bekam er dann ein abführendes Zäpfchen und bekam so etwas Erleichterung.

 

Das Absaugen war wieder schlimm und leider sehr oft nötig. Was passiert nur in der Nacht mit Martin, wenn Niemand an seiner Seite ist und nach der Schwester klingelt? Schreckliche Gedanken voller Angst.

 

Martins Leidensweg macht mich fast wahnsinnig. Als Jürgen und ich dann am Abend gehen wollten, ich war immerhin 12 Stunden bei meinem Sohn heute, fing er wieder an zu weinen. Es tat  mir leid ihm wieder erklären zu müssen, dass ich sehr müde bin und duschen möchte nach dem heißen Tag. Wahrscheinlich denkt er, dass ich auch genauso gut hier auf der Station duschen kann- das Duschbad liegt genau gegenüber von Martins Zimmer, er weiß das. Sicherlich hätte er auch nichts dagegen, wenn ich mich zu ihm, in sein Bett legen würde.

 

Es ist einfach alles nur abgrundtief traurig. Mein Kind würde mich den ganzen Tag brauchen und ich kann ihm diese Zeit nicht geben, weil ich menschlich bin und auch Ruhen muss.