29. Juli bis 3. August 2009
Mittwoch, 29. Juli 2009
Mit Bauchschmerzen fahre ich heute Nachmittag mit meiner Freundin Bärbel zu Martin. Da das fiebersenkende Schmerzmittel vom Doc abgesetzt wurde, wird sich in den nächsten Tage zeigen, ob Martin weiter auf fiebert.
Das würde dann bedeuten, dass der ursprüngliche Virus von April immer noch in seinem Körper aktiv ist, oder die resistenten Krankenhauskeime in Martins Lunge nicht mehr zu vernichten sind, oder eine neue Aspirationspneumonie entstanden ist.
Hoffentlich sind die Entzugserscheinungen nicht zu heftig.
20.00 Uhr
Martin hat sich über Bärbels Besuch gefreut. Allerdings hatte er kurz vor unserem Besuch KG und war irgendwie total geschafft. Bärbel hat mit ihm eine mitgebrachte Oldtimerzeitung angeschaut und Martin hat geschaut und zugehört.
Martins Augen sahen müde aus, die Händchen waren wieder kalt und kurz, nach dem Bärbel gegangen war, musste Martin wieder erbrechen. 250ml Nahrung und vielleicht 50ml Wasser danach waren durch die PEG gelaufen und irgendwie war es wohl an Menge schon wieder zu viel.
In seinem Magen befindet sich auch immer noch sehr viel Luft, die dann einen beachtlichen Druck ausübt.
Das Erbrechen kam recht plötzlich und ich war nicht schnell genug mit einem Handtuch zum unterhalten. Etwas Anderes konnte ich schneller nicht greifen um größere Reinigungsaktionen zu verhindern.
Nun kann ich nur hoffen, dass Martin von seinem Mageninhalt nichts in seine Atemwege aspiriert hat.
Beim Abschied musste mein Kind wieder weinen und es fällt mir immer schwerer, zu gehen.
Beim nach Hause kommen, bog eine entferntere Nachbarin um die Ecke, die Krankenschwester auf der ITS ist, auf der Martin so lange lag. Wie es Martin nun gehen würde, wollte sie wissen. Es kostete mich Kraft, ihr zu sagen, dass Martin noch immer nicht über seine 50% Chance hinweg ist. Wie gerne wäre ich mit einem fröhlichen, gesunden Martin zu Besuch auf der ITS und auf der Station im 8.OG des KKK erschienen und hätte den Leuten vor Augen geführt, dass auch so eine traurige Entwicklung wieder in positiven Wegen verlaufen kann.
Steffi war gestern mit ihrer Lebenshilfetanzgruppe zum Jahresabschluss des Tanzkurses in einer Disco. Selber erzählt davon, hat sie nichts, aber allein die Tatsache, dass sie freiwillig mit gegangen ist, sicher wieder an der Hand ihres Tanzpartners Thomas, mit dem sie wohl auch Zärtlichkeiten austauscht, zeigt mir, wie gut ihr das Tanzen und die Bewegung tut.
Dieser Thomas, ein junger Mann mit Down-Syndrom, wohnt wohl nicht in der Nähe, so dass sich die Beiden öfters sehen könnten, außer, zu dem Tanzterminen.
Nun hat der Lebenshilfe Freizeitclub 7 Wochen Sommerpause und ich hoffe, Steffi kann dies verstehen. Im letzten Jahr hat sie versucht, sich alleine, zu Fuß, auf den Weg nach Ludwigsburg zu machen, weil sie nicht akzeptieren wollte, dass die Lebenshilfe Ferien macht und in dieser Zeit keine Kurse stattfinden.
Glücklicherweise fuhr ein Mitarbeiter der Einrichtung an diesem Abend durch Asperg und hat Steffi erkannt und zurück, zu ihrer Wohngruppe gebracht. Sie wäre wohl immer weiter gelaufen, irgendwann, ohne zu wissen, wo sie sich eigentlich befindet.
Hätte sie jemand nach ihrem Namen gefragt, hätt er schon einen Blick in ihren Kragen werfen müssen, um den Namen zu erfahren und dass die june Dame im BHM wohnt. Steffi hätte sicher keine Antwort gegeben.
Donnerstag, 30. Juli 2009
Es steht für mich noch ein Zahnarzttermin aus, von Anfang Mai, den ich heute endlich wahrnehmen werde. So langsam wird es Zeit für diese Reparaturarbeiten.
Irgendwie graut mir immer mehr vor nächster Woche, wenn ich wieder voll meinen Dienstplan erfüllen muss. Dabei bin ich gerade jetzt richtig urlaubsreif.
Dazu kommt noch, dass Martins Zustand nicht einmal minimal besser geworden ist und wir immer noch um sein junges Leben bangen müssen.
So kann ich nicht gelöst und Sorgenfrei in die Tage hinein gehen.
20.00 Uhr
Wie schnell Zahnklempner doch heute arbeiten. Zwei Zähne plombiert in 10 Minuten mit allem drum und dran und es hat auch kaum weh getan.
Seit heute ist Martin stolzer Besitzer eines mobilen Absauggerätes und ich bin baff, dass die Kasse echt innerhalb von zwei Tagen bewilligt hat und dass das Gerät heute Nachmittag schon ausgeliefert wurde. Hatte mich auf wesentlich länger und auf eine Ablehnung eingestellt.
Nun muss der Akku 17 Stunden aufgeladen werden und wenn es Martin am Wochenende entsprechend geht, können wir endlich mal wieder einen richtigen Spaziergang machen, voraus gesetzt, die Temperaturen bleiben unter der 30 Grad Grenze.
Am Nachmittag ging es Martin nicht so rosig und er hat wieder ein wenig erbrochen. Und wie gestern, war ich in seinem Zimmer und nicht schnell genug an der Quelle des Geschehens um größere Reinigungsaktionen zu verhindern.
Hoffentlich legt sich diese Empfindlichkeit und hoffentlich bekommt Martin wieder mehr Kraft.
Endlich hat auch der Haustechniker die Wandhalterung für den TV angebracht und den Apparat dann auch gleich aufgehängt. Für Martin finde ich diese Lösung optimal, zu Hause würde ich es auf keinen Fall so haben wollen. Es stört mich, wenn ich in einen Raum komme und der Fernseher dominiert den ganzen Raum.
Steffi hat angemeldet, dass sie am Samstag wieder mit Papa zum Einkaufen fahren will. So ist ihr gewünschtes Programm zum Wochenende schon geklärt.
Wie gerne würden wir mit den beiden Mäusen unsere Freunde und ihren Landwirtschaftlichen Betrieb besuchen. Gerade in der Erntezeit ist dort so viel Trubel und Leben. Martin hat immer ganz begeistert den Traktoren und Hängern nachgeschaut, Steffi ist immer zu den Pferden und Katzen gehuscht und meine Freundin backt sehr viel in dieser Zeit, weil viele Leute zu versorgen sind.
Wieder Wunschdenken, wie so Vieles. Unser Leben ist völlig aus den Fugen geraten und mir ist nicht klar, wie wir diese Fugen wieder dicht bekommen sollen.
Freitag, 31. Juli 2009
Mein letzter Urlaubstag. Für heute habe ich nichts geplant, will mich am Vormittag nur einfach ausruhen, mir ein paar Stunden, für mich ganz alleine, schenken. Einfach nur lesen, ein wenig im Garten sitzen.
Gestern Morgen habe ich, das erste Mal überhaupt, unseren Wecker nicht gehört, der wie immer, um 4.30 Uhr Alarm gemacht hat. Irgendwann hat Jürgen fassungslos die Krachmaschine ausgestellt und mich geweckt, kurz bevor er zum Bahnhof gehen musste.
Kann nur hoffen, dass es mir nicht noch einmal passiert.
20.00 Uhr
Es ist kaum zu glauben. Martin saß mal wieder von 10.30, bis wir es gemerkt haben, nach dem wir gegen 16 Uhr in seiner randvollen Windel, die schon überquoll.
Jürgen und ich haben Martin in sein Bett gelegt und versorgt.
So wie Martin sich anhörte und um seinen Kanüle herum aussah, wurde er auch schon länger nicht mehr abgesaugt.
Ich bin so traurig und langsam auch sauer, dass er in seiner Hilflosigkeit einfach so sich selber überlassen wird.
Kurz vor 18 Uhr kam dann eine Pflegekraft in sein Zimmer und ich habe ihr –immer noch freundlich --- gesagt, dass das so wohl nicht ihr ernst sein kann.
Personalknappheit hin und her, aber auch damit muss es Prioritäten geben und die Bewohner, die absolut gar nichts alleine machen können, sollten wirklich vorrangig versorgt werden.
Im Moment wissen wir nicht, wie wir dieses Problem, wo noch ansprechen können, ohne für Jemanden Schaden damit an zu richten.
Ich weiß nur, so will ich es nicht mehr haben für meinen Sohn. Es ist in diesen drei Wochen ja absolut nicht das erste Mal und ich weiß definitiv, so gleichgültig würde ich nicht arbeiten wollen, auch wenn ein Bewohner arbeitsaufwendiger wäre.
Nun muss ich wirklich erst mal eine Nacht darüber schlafen und mich abregen, und dann überlegen, welche Schritte nun am sinnvollsten zu gehen sind, falls es überhaupt noch eine sinnvolle Möglichkeit gibt.
Samstag, 1. August 2009 - Rickys 33 Geburtstag
Kaum zu glauben, dass es schon so lange her ist, dass ich ein kostbares, süßes, winziges Baby, an einem Sonntagnachmittag zur Welt bringen durfte.
Es war auch irre heiß an diesem Tag, genauso heiß, wie es wohl heute wieder werden soll, aber ich war glücklich und stolz, Mutter geworden zu sein.
Hitze mag ich bis heute noch nicht, mein Mann auch nicht. Wir sind eher Wintertypen und leben nur dummerweise in der falschen Gegend.
Wie gerne würde ich Ricky, wenigstens einmal in seinem Leben, ein wirklich großes, tolles Geschenk machen können. Ob es irgendwann mal klappt, mit einem größeren Lottogewinn? Das wäre unsere einzige Chance, zu erfahren, wie es sich anfühlt, großzügiger haushalten zu können.
Steffi war schon drei Monate alt, als ich sie das erste Mal gesehen habe und Martin war 17 Monate alt. Aber die Schwangerschaft mit den beiden Kleinen dauerte wesentlich länger, als nur neun Monate.
Ricky feiert seine Party mit Freunden, er braucht uns Oldies an diesem Tag nicht.
20.00 Uhr
Mit Martins Hose hatten wir wieder ein reichhaltiges Ergebnis. Die personelle Situation der Gruppe ist zum Heulen. Die Leute sind geschafft durch den geteilten Dienst und es wird keine bessere Versorgung für Martin geben, was immer wir auch versuchen werden. Die Mitarbeiter können es nicht einrichten und von Seiten der Leitung wird es keine Notwendigkeit geben, den Personalschlüssel zu erhöhen. Die Bewohner und die Atmosphäre sind die Leidtragenden.
Anscheinend liegt Martin in der Nacht lange wach, so ist er tagsüber müde und kraftlos. Er hat seinen Rhythmus noch nicht wieder gefunden, bzw. das Schlafen in der Nacht und das Wachsein am Tag.
Das Wenige, an gymnastischen Übungen, die wir mit ihm machen, strengt ihn an, aber wir machen weiter damit. Martin braucht Muskeln und Bewegungsmuster. Er muss seine Mitte wieder finden und den Mut, sich wieder zu bewegen.
Nichts zu tun wäre verlorene Zeit für Martin, sofern er überhaupt noch Einiges an Lebenszeit übrig hat.
Sonntag, 2. August 2009
Dieser Sonntagmorgen beginnt mit Regen und Gewitter. Eigentlich wollten wir endlich wieder einmal eine Stunde im Wald spazieren gehen, etwas für die Seele tun - es wurden nur ein paar Minuten daraus.
20.00 Uhr
Martin ging es schlechter und wir mussten ihn um 14 Uhr wieder hinlegen. So ganz langsam erhöht sich die Körpertemperatur wieder und er hustet immer mehr.
Zwischendrin ein wenig Sitzen auf der Bettkante, Rumpf und Kopfbewegungen üben, das war unser Sonntag.
Heute erst hat Steffi uns erzählt, dass sie letzten Dienstag mit dem Tanzkurs und ihrem Tanzpartner in der Disco war. Irgendwie braucht das gute Kind immer noch so lange, um Dinge in ihrem Köpfchen zu sortieren und zu bearbeiten. Aber immerhin, sie hat es uns endlich erzählt.
Die letzte Woche hatte Steffi Urlaub. Sie will diese Unterbrechungen in ihrem geregelten Alltag nicht haben und bittet darum und weint sogar, wieder zur Arbeit gehen zu dürfen.
Wenn Steffi doch gar nichts mit Urlaub und freien Tagen anfangen kann und will, warum kann man sie damit nicht in Ruhe lassen? Dann verfällt der Urlaub halt, für Steffi ist es nicht schlimm.
Jürgen hat Migräne. Draußen kündigt sich auch heute Abend ein Gewitter an und in Anbetracht, dass ab Morgen mein Urlaub vorbei ist, werden wir heute früh zu Bett zu gehen.
Montag, 3. August 2009
Nach dem ersten Arbeitstag nach dem Urlaub bin ich ziemlich müde. Naja, wir hatten ja auch keinen wirklichen Urlaub und Zeit zum Erholen.
Mit Martin konnten wir aus Zeitgründen nur ein paar Minuten vor die Tür gehen heute Nachmittag, da der Fachmann für Tracheostomas zum Kanülenwechsel gekommen ist.
Da wir wissen, dass dies für Martin unangenehm ist, obwohl es nichts Schlimmes ist und auch sehr schnell geht, und unser Mausebär sich, auf Hilfe von uns hoffend, dann bei so einigen Dingen sehr aufregt, sind wir gegangen als Herr Mauch kam. Vorsichtshalber, da Martin sehr empfindlich und mit Würgen reagiert, wenn an seiner Kanüle hantiert wird, habe ich ihn noch mit Handtüchern abgedeckt.
Alex wollte bei Martin bleiben in dieser Zeit und hat sich heute Abend übrigens unseren Hund Nono zum ewigen Freund gemacht. Ein halbes Würstchen blieb wohl vom Abendbrot übrig und wer würde sich besser für diese Resteverwertung eignen, als ein kleiner, schwarzer Dackelterriermix?
Vor dem Umsetzen in Martins Bett konnten wir noch zehn Minuten Kopfhaltetraining machen. Es wird noch dauern, bis Martin seine Kopfkotrolle wieder erlangt, aber so schlimm, wie vor drei Wochen, ist es schon nicht mehr. Die Muskeln bauen sich langsam auf und ich hoffe, dass Martin bald genügend Mut hat, sie auch richtig ein zu setzen.
Wir wissen nicht, ob es überhaupt möglich ist, Martin wieder auf zu bauen. Wie es mit der noch möglichen Hirnleistung aussieht, können wir auch nicht einschätzen. Die Hoffnung geben wir nicht auf.
Die Aussagen des Neurologen waren niederschmetternd. Die Vorschädigungen von Martins Gehirn sind in der Tat mehr wie beachtlich. Wären sie nicht vorhanden, gäbe es gute Chancen, die Defizite durch die Blutung bald ungeschehen zu machen, bzw. andere Gehirnzellen könnten die verlorenen Funktionen übernehmen.
Martins Denken und Fühlen ist immer noch, so wie es war, aber er leidet unter seinem jetzigen Zustand. Ob er versteht, dass er selber etwas daran ändern wollen muss, können wir nicht erkennen.
Dass Martin Hilfe von uns erwartet, spüren wir sehr wohl. Er möchte, dass wir diese Blockaden von ihm nehmen, das Tracheostoma einfach raus ziehen, und er weint verzweifelt, weil wir es nicht können.
Er merkt es selber, dass er seinen Kopf wieder ein wenig bewegen kann und es sieht eigentlich gut aus. Ob es viel oder wenig Entwicklung ist, für die Zeit, die Martin nun nicht mehr ausschließlich liegend verbringt, können wir nicht einschätzen.
Der nette, junge zukünftige Azubi Alex blieb an Martins Seite und wird uns morgen berichten.
Es fällt mir schwer, Martin den ganzen Tag seinem Schicksal überlassen zu müssen, den lieben, langen Tag.