3. Februar bis 16. Februar 2010
Mittwoch, 3. Februar 2010
Martin weint heute wieder einmal fast ununterbrochen. Er scheint wieder Schmerzen zu haben, wir bekommen leider nicht heraus, wo ihm konkret etwas weh tut oder was ihn stört. Er muss extrem oft abgesaugt werden. Die Katheder für das Absauggerät sind fast auf gebraucht und hoffentlich kann sich die Gruppe von einem anderen Bewohner Katheder ausleihen, bis die Neulieferung kommt.
Nur wenn ich Martin auf das Himmelszelt , der geliebten kirchlichen Veranstaltung, angesprochen habe, kam ein Lächeln in sein Gesicht. Dort hat er Tanja wieder getroffen, die sich so rar gemacht hat, seit er so verändert in die Gruppe zurück kam. Tanja lebt noch bei ihrer Familie im Umland und ist eine sehr selbstständige, junge Dame . Martin und Tanja haben sich durch die Arbeit in der WfB kennen gelernt und waren viele Monate, vor der Hirnblutung unzertrennlich. Martin war so glücklich, dass er eine Freundin hatte und er kann es nur schwer annehmen, dass Tanja sich immer noch distanziert von ihm.
Mir geht es immer noch nicht besser, nun kommt auch noch etwas Husten hinzu. 23 Euro bin ich in der Apotheke los geworden in der Hoffnung , dass ich nichts Schlimmes ausbrüte. Wäre echt kein Wunder in dieser Jahreszeit.
Ständig treffe ich auf hustende, schniefende Menschen.
Donnerstag, 4. Februar 2010
Es taut auf einmal, im Moment ist der Frost anscheindend vorbei. Ich konnte mich heute tatsächlich aufraffen, ein wenig im Garten Vergessenes vom Herbst ab zu schneiden und in die Tonne zu packen, die wir zum Häckselplatz fahren müssen zum ausladen.
Martin geht es wieder etwas besser, aber er sondert immer noch erschreckend viel Sekret ab.
Freitag, 5. Februar 2010
Frau Hochstetter war wieder auf einen Besuch bei Martin vor bei gekommen und konnte ihn etwas aufheitern in ihrer munteren Art. Nono hat wieder ein paar Scheibchen Aufschnitt abgestaubt in der Gruppe und versucht inzwischen den Kühlschrank der Gruppe zu hypnotisieren. Sicher versucht heraus zu bekommen, wie er den Kühlschrank selber öffnen kann, der leider wegen übergriffiger Bewohner mit einem Sicherheitsschloss versehen sein muss.
Schon merkwürdig, dass bei nur 12 Bewohnern echt solche Vorkehrungen getroffen werden müssen, aber wir erleben es ja immer wieder aufs neue, wie respektlos sich ganz besonders zwei Bewohner der Gruppe verhalten können. Ihnen dürfen für Fehlverhalten oder Diebstähle keine Konsequenzen auf erlegt werden. Verstehe das wer will, ich nenne es, so, selbst gemachte Leiden, die nicht sein müssen.
Maria, Rickys Freundin, hat den praktischen Teil ihrer Prüfung zur Erzieherin mit einer eins bestanden und meine beste Freundin Ilse wird diesen Monat mit ihrem Studium fertig. Sie hat es tatsächlich geschafft sich einen Traum zu erfüllen und hat mit 50 Jahren mit dem studieren begonnen. Wir kennen und lieben uns, seit wir Teenager sind.
Und bei mir scheint alles stehen zu bleiben. Nicht mal mehr eine kleine Fortbildung habe ich im letzten Jahr besucht. Eigentlich muss ich daran unbedingt wieder etwas ändern. Bloß wie, wenn die Kräfte einfach nicht mehr da sind.
Samstag, 6. Februar 2010
Heute hatte ich die Bongos mit zu Martin genommen, die ich für Steffi erworben hatte und so kam auch Steffi neugierig in Martins Zimmer gewuselt, weil sie natürlich auch trommeln wollte. Schließlich hat sie es ja bei Raffael schon oft gesehen und Taktgefühl hat meine Tochter, dank den Kellys, schon seit Jahren.
Nun hoffe ich, dass Steffi auch am Abend, wenn Martin wieder im Bett liegt, mit den Bongos zu ihrem Bruder kommt und ein wenig für ihn trommelt, oder was auch immer mit ihm oder für ihn macht.
Ich bin jedenfalls froh für jede Annäherung von Steffi zu Martin , und hoffe, dass sie ihren Bruder nun endlich wieder so annehmen kann, wie früher auch und mit seiner gravierenden Veränderung endlich klar kommt.
Martin freut sich immer so sehr , wenn er seine Schwester sieht. Früher hat Steffi Martin gebraucht und nun braucht er sie, aber das kann unsere Tanzmaus leider nicht verstehen.
Sonntag, 7. Februar 2010
Nun bekomme ich wieder kalte Füße. Weiterhin ist etwas Blut in Martins Sputum. Er hat kein Fieber und macht mir nicht den Eindruck, als ob sich sein Zustand wieder verschlechtert, aber es ist eindeutig Blut zu erkennen, das beim Husten und Absaugen aus der Kanüle mit dem Sputum raus kommt.
Ich hoffe, dass eine Untersuchung des Sputums ein Ergebnis bringt um wir noch früh genug medikamentös schlimmeres verhindern können.
Montag, 8. Februar 2010
Anfänglich war Martin fröhlich heute Abend, als Jürgen und ich zur Gruppe kamen. Er hatte KG und war mit der Tagesbetreuung in der Cafeteria der Einrichtung, ein Raum, in dem Martin sich früher gerne aufhielt und auch heute noch oft angesprochen wird von Mitarbeitern und Besuchern, die ihn kennen.
Aber dann fing Martin an zu weinen und war nicht mehr richtig zu beruhigen. Der arme Junge muss sich wieder so unwohl fühlen und ich denke immer noch, es ist das Spüren und die Erkenntniss, über seine Einschränkungen, mit denen er nun lernen muss, zu leben.
Dienstag, 9. Februar 2010
In ca. 14 Tagen werden wir den KV für einen neuen Rollstuhl für Martin bei der KK einreichen. Mir graut zwar schon wieder vor dem Stress, der sicher damit verbunden ist, aber ein Rollstuhl mit kleineren Rädern und verstellbarer Sitzschale ist die einzige Chance, Martin eventuell wieder in unserem Berlingo transportieren zu können. Das Geld für einen Kleinbus bekommen wir nie wieder zusammen. Ich verdiene, wenn ich einen Job habe nie mehr wie 450 Euro netto, eher noch weniger und wenn ich wieder arbeitslos werde und gar kein Einkommen mehr erwirtschaften kann, muss von Jürgens Gehalt auch noch meine Krankenversicherung gezahlt werden und das haut uns dann tüchtig rein.
Als Steffi und Martin och zu Hause gelebt haben, konnte ich von dem Pflegegeld weigstens meine Krankenversicherung zahlen und musste mir keine Gedanken über diesen Posten machen.
Martin durfte heute Nachmittag im Bett bleiben. Eine Mitarbeiterin war spontan heftig erkrankt und somit musste Melanie die nun die einzige Kraft war in der Gruppe, ihre Zeit und Kraft gut einteilen. Martin fand es gut, er liegt gerne in seinem Bett, TV schauen und knuddeln.
Melanies altes Hundchen liegt nun im Sterben und wir haben ihr, wenn es soweit ist, angeboten, das Tierle in unserem Gärtle zu beerdigen. Hier ruhen schon so viele von unseren Lieben Tieroldies, da hat es auch noch Platz für den kleinen Körper. Sie darf das Angebot gerne annehmen, wenn sie keine andere Möglichkeit findet, den kleinen Freund und Lebensgefährten zu beerdigen.
Sie ist sehr traurig darüber, dass ihr Hundchen nun gehen muss und kann sich nun nicht einmal wirklich Zeit für diesen Abschied und ihrer Trauer nehmen.
Mittwoch, 10. Februar 2010
Schon wieder Schnee. Ich mag ihn nicht mehr. Jürgen hat drei Tage Urlaub genommen und wollte mich heute Morgen zur Arbeit fahren. Wir waren ewig unterwegs, da keine Straße geräumt war. So war es keine gute Idee heute, nicht mit Öffis zu fahren
Nachmittags hatte Martin wieder Besuch von Frau Hochstetter, die gerne im Schnee spazieren geht und immer , egal bei welchem Wetter, von Tamm nach Markgröningen läuft. In den dunklen Monaten versuchen wir , sie nach ihren Besuchen bei Martin mit dem Auto ab zu holen, weil wir nicht wollen, dass sie diese Strecke über die Feldweg im Dunkel alleine läuft.
Martin war gut drauf für seine Verhältnisse,was auch uns auch gut tut. Martins Verfassung ist auch zustänig dafür, ob wir angespannt oder locker.
Donnerstag, 11. Februar 2010
Wir hatten Angst vor der Glätte und sind heute nicht zu Martin gefahren, mit sehr schlechtem Gewissen hat Jürgen angerufen und abgesagt.
Unser Auto eignet sich so gar nicht für dieses Wetter. Martin muss es verstehen und er weiß ja auch, welch große Angst wir bei Eis und Schnee haben, wenn wir fahren müssen.
Freitag, 12. Februar 2010
Nun hat es Jürgen auch erwischt, ich habe ihn wohl angesteckt. Trotzdem ist er über Mittag zu Martin gefahren, hat aber einen größeren Sicherheitsabstand gehalten, um ihn nicht auch noch an zu stecken.
Martin war recht gut drauf und musste lachen, wenn Jürgen sich seine Nase putzen musste oder hustete.
Samstag, 13. Februar 2010
Endlich konnte ich meine Kinder wieder sehen. Um nicht eine weitere Fahrt zu machen zu müssen bei den Witterungsbedingungen, haben wir für Steffi auf dem Weg nach Markgröningen schon mal eingekauft. An Alles hatten wir gedacht, bloß nicht an den Extrajoghurt, dessen Fehlen sie dann auch mit enttäuschten Augen bemängelt hat. Armes Kind aber auch.
Martin war gut drauf, heute war kein Blut mehr beim Absaugen zu sehen. Vielleicht war nur ein kleines Äderchen geplatzt und hat sich wieder repariert.
Frau Kuhn kam mit Raffael zum Musizieren vorbei in der Grupe und wir fuhren wieder nach Hause. Zum Musizieren braucht uns die kleine Musikgruppe nicht, sie sind schon ein gutes Team geworden, dank Frau Kuhn.
Jedes Mal wenn wir die Einrichtung wieder verlassen habe ich schon vor der Tür Sehnsucht nach meinen Kindern und eigentlich will ich nur die Gewissheit haben, dass es Martin nicht schlechter geht.
Sonntag, 14. Februar 2010 - Valentinstag und Faschingssonntag
Martin hätte uns heute so gerne vieles erzählt, mit seinem Lachen, mit seinen Tränen, ich konnte es nicht verstehen, nicht deuten. Wie sehr mir seine Stimme, seine Worte fehlen. Seine Gabe glücklich zu sein, zumindest über einige Dinge hat er nicht verloren. Aber wo ist sein anderes Leben?
Azubi Alex erzählte uns später, dass er mit Martin draußen, auf dem Gelände war und dass sie plötzlich eine riesige Schneedusche, von einem Baum herab stürzend, ab bekommen haben. So richtig auf den Kopf und in den Nacken kam die kühle Freude vom Himmel auf sie hernieder.
Darüber musste Martin natürlich lange und anhaltend lachen, er konnte sich spüren und seine Schadenfreude darüber, Alex als überraschten Pseudoschneemann zu sehen.
Dass er auch eine neue Kanüle am Vormittag bekommen hat, berichtete uns Karin, als sie Martin aus dem Bett holte gegen 16 Uhr. Dafür waren die Tränen. Da Martin in den letzten Tagen sehr häufig abgesaugt werden musste, hatte ich mich auch heute nicht darüber gewundert, dass ich ihn ganze 3x in einer halben Stunde absaugen musste.
Wenn ihm wenigstens das Alles erspart bleiben könnte. Obwohl es Martin ausschließlich betrifft habe ich in der letzten Zeit immer häufiger das Gefühl, es nicht mehr ertragen zu können, mein Kind so sehr leiden zu sehen. Aber was soll nur tun? Ich kann es nicht mehr ändern und kann es noch immer nicht so ohne weiteres als gegeben annehmen.
Martin möchte immer noch gerne so vieles machen und erleben und kann es nicht mehr. Neun Monate sind es nun, in denen wir die Trauer tragen und unser aller Leben sich total verändert hat. Wir sind nicht mehr frei in uns.
Täglich sind es Selbstzweifel, ob das, was wirnoch tun können ausreicht und richtig ist. Zweifel daran, dass für Martin immer das Beste getan wird und genau dieses Gefühl wird immer stärker in mir.
Montag, 15. Februar 2010 - Rosenmontag
Armer Martin. Als wir am Nachmittag zu ihm kamen, war er fix und fertig. Gegen seine derzeitigen Gewohnheit musste er heute sehr früh aufstehen, da die Logopädin einen frühen Termin für heute geplant hatte, dann war noch KG und danach wurde Martin bei der Tagesbetreuung geparkt.
Das lange Sitzen heute hat ihn anscheinend sehr angestrengt und er wollte nur noch in sein Bett gelegt werden von uns. Gleich nach dem Hinlegen war sein Gesichtsausdruck wieder entspannter.
Steffi ist schwer erkältet und hat sich freiwillig in ihr Bett gelegt. Hoffentlich kann sie Morgen wieder fit sein. Auch Steffi freut sich auf den morgigen Tag und das Party machen.
Frau Hochstetter kam auch zu Besuch und im TV konnte Martin noch ein Stündchen Rosenmontagzug schauen, was er früher immer mit Begeisterung tat und von dann immer alles mögliche erklärt haben wollte zu den Wagen und Verkleidungen. Ich bin doch nie so ein großer Faschingsfan gewesen und war eigentlich immer froh, wenn die närrischen Tage wieder vorbei waren und die Leute sich wieder halbwegs normal verhalten haben.
Karin hat Martin eine Einheit Nahrung angehängt und wahrscheinlich noch durch die Empfindlichkeit der neuen Kanüle, musste Martin sich dann ziemlich bald übergeben. Armes Kerlchen, so abgrundtief hilflos.
Dienstag, 16. Februar 2010 - Faschingsdienstag
Heute findet die alljährliche, große Faschingsveranstaltung der Einrichtung in der Mehrzweckhalle statt und Martin möchte unbedingt dabei sein.
Karin hat uns zugesichert, dass Martin in die Halle gebracht wird und dass die Mitarbeiter regelmäßig nach ihm sehen und ihn absaugen.
Da wir auch in diesem Jahr keine Faschingsfans geworden sind, nehmen wir heute frei. Ich werde zum Friseur gehen und mich ausruhen.
Die nächsten drei Tage werden wieder anstrengend für mich.